Renault hat den Scénic neu erfunden, ohne das Konzept zu verändern.Der Franzose bleibt ein kompakter Van und trotzt dem Trend zum SUV. Mit guten Argumenten, wie unsere Testfahrt im Scénic 130 dCi zeigt.
Zwei Jahrzehnte schon hat Renault den Scénic im Programm. Der erste wurde "Auto des Jahres 1997" und zum Begründer einer ganzen Klasse: die der kompakten Vans. Ihr haben mittlerweile viele den Rücken gekehrt. In keiner Klasse setzt der Zeitgeist den Absatzzahlen so zu, wie im Segment der Vans. Angesagter sind derzeit die SUV oder die auf Crossover-Optik getrimmten Kompakten. Erfreulich, dass Renault sich trotzdem treu bleibt und dem neuen Scénic nur leichte Design-anleihen an ein SUV verpasst. Somit bleibt er das, was er schon immer war: ein Auto, das anders ist als andere.
Sein auffälliges Äußeres entstammt einer Studie, die Renault bereits 2011 auf dem Genfer Salon präsentiert hatte. Nach hinten stufenförmig ansteigende Fensterlinien, die kurze Motorhaube sowie die weit nach vorne gezogene Frontscheibe sind noch sehr nahe dran an diesem Designprojekt. Auch wurden dessen große Räder umgesetzt. Der Scénic kommt serienmäßig auf 20-Zoll-Rädern. Die kurzen Überhänge vorne und hinten verstärken noch mal den Hinguckeffekt der Riesenräder. Aber machen sie auch Sinn in einem 4,40 Meter langen Auto mit gut 2,70 Metern Radstand? Solchen Riesen-Zöllern sagt man unkomfortablere Fahreigenschaften nach als etwa
16 Zoll großen Rädern. Im Scénic ist davon nichts zu spüren. Selbst holprige Nebenstraßen mit Querfugen und Fahrbahnschäden bringen den Franzosen gebaut wird er in Douai bei Lille auf unserer Teststrecke nicht aus der Ruhe. Ein Sieg der Vernunft über den Rotstift. Entgegen aller Sparzwänge hat Renault dem Scénic 195/55er Pneus mit 107 Millimetern Flankenhöhe spendiert. Reifen in dieser Größe sind eine Neuheit auf dem Markt und noch entsprechend teuer, lassen die großen Räder allerdings überraschend sanft abrollen.
Berganfahrhilfe
ist serienmäßig
Vorne sind die Räder über eine McPherson-Achse mit unteren Dreieckslenkern geführt. Hinten kommt eine Verbundlenkerachse mit Schraubenfedern und diagonal eingebauten Stoßdämpfern zum Einsatz. Auf der Überlandfahrt gleitet der Scénic damit durchaus geschmeidig über die Straße. Auch die recht breite Spur (vorne 1,602 Meter, hinten 1,596 Meter) trägt zum unaufgeregten, entspannten Fahrverhalten bei. Mit dem 1,6 Liter dCi 130 scheint der Scénic zudem vernünftig motorisiert. Die Leistungsspitze von 130 PS wird bei
4.000 Umdrehungen erreicht, das Höchstdrehmoment von 320 Newtonmetern bei 1.750 Umdrehungen. Damit gewinnt man weder Le Mans noch Monaco, dafür aber die Herzen der Sparfüchse. Der Normverbrauch des immerhin 1,6 Tonnen schweren Autos ist mit 5,1 Litern angegeben.
Die Motor-Getriebekombination bietet ausreichend Reserven für kurze Beschleunigungen, etwa beim Überholen oder auf der Autobahnauffahrt. Reisetauglich ist dieses Auto auf alle Fälle, auch wenn der Tank mit 52 Litern Fassungsvermögen für einen Van leidlich knapp ausfällt. Andere Ideen der Renault-Ingenieure waren da besser. So zum Beispiel die serienmäßige Berganfahrhilfe, die auch dann funktioniert, wenn der Fuß gerade das Kupplungspedal drückt. Zurückrollen am Berg Fehlanzeige, die Sperre hält den Wagen bis zu zwei Sekunden lang. Eine gute Idee war es auch, im Innenraum mehr als 60 Liter Ablagestauraum unterzubringen. Wo auch immer man etwas ablegen möchte: Ein Plätzchen wird sich finden.
Ausstattungsfinessen sind auch bei Renault abhängig vom Füllstand des Kundengeldbeutels. Im Grunde und für Geld natürlich gibt es für den Scénic nichts, was es nicht gibt. Digitales Cockpit und optionales Riesendisplay über der verschiebbaren Mittelkonsole so etwas kennt man schon vom Espace. Richtig cool: Die hinteren Sitze lassen sich per Finger-Berührung auf dem Display zu einer flachen Ebene klappen. Eindruck, zumindest beim Nachwuchs, schindet vorne rechts ein 11,5 Liter fassendes Kühlfach, dass sich auf Knopfdruck automatisch im Stile einer Schublade öffnet.
Apropos Kinder: Fliegt ein Stoffaffe durchs Auto, ist das nicht weiter schlimm. Ungesicherte Spielkonsolen oder Smartphones dagegen können tödlich sein. Spezielle Klapptische verfügen daher über Gummibänder und Schiebevorrichtungen, um das Elektronikarsenal der lieben Kleinen zu sichern.
Neu an Bord sind einige Assistenten, die man eher in höheren Klassen vermutet. Zum Beispiel ein Spurhalteassistent, der korrigierend in die Lenkung eingreift. Zudem beinhaltet der Notbremsassistent jetzt eine Fußgängererkennung. Auch wenn die Sicht für den Fahrer in Richtung Heckflanken mehr als dürftig ist, lässt sich in Sachen Sicherheit nicht meckern.
Mit allen Extras
ein stolzer Preis
Wundern muss man sich allerdings über die Preisspannen. Vier Ausstattungsvarianten gibt es. Wer den 130 PS Diesel will, muss mindestens zur zweitbesten Version "Intense" greifen und 28.490 Euro hinlegen. Zwar sind die meisten der genannten Extras dann mit an Bord aber nicht jeder braucht sie. Eine Basisversion namens "Life" für unter 20.000 Euro gibt es ausschließlich mit einem mageren 115 PS-Benziner. Unser Testwagen dagegen kam in Bestausstattung und mit all seinen Extras auf einen stolzen Preis von 35.840 Euro. Das sind fast 16.000 Euro mehr, als die Basisversion kostet. Scénic ist also keineswegs gleich Scénic.
Alex Mannschatz
INFO:
Renault Scénic Energy dCi 130
Hubraum: 1.598 ccm
Motor: 4-Zylinder-Reihenmotor
Getriebe: 6-Gang-Schaltgetriebe
Leistung: 96 kW (130 PS) bei 4.000 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 194 km/h
Beschleunigung:
0-100 km/h in 11,4 Sek.
Verbrauch (Stadt/außerhalb/Mix):
5,1/4,1/4,5 l/100km
Preis: ab 28.490 Euro