In den vergangenen Jahren haben Airlines und Flughäfen die meisten Streiktage in der neueren Geschichte des deutschen Luftverkehrs gesammelt. Das ist kein Zufall, denn wenn ein Flug nach Mallorca unter zehn Euro liegt, ist klar, dass das Geld woanders geholt werden muss.
Ein Gastbeitrag von Daniel Flohr (Sprecher IGL) und Thomas Wolff (Geschäftsführer IGL)
Grenzenlose Freiheit grenzenlos billig
Mit Ryanair für unter zehn Euro in den Süden fliegen das klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Wir greifen trotzdem zu. Aber genau wie bei der Milch für 39 Cent den Liter oder auch bei einem T-Shirt für 5,99 Euro ist uns eigentlich klar das ist wirklich zu gut, um wahr zu sein. Denn wenn einmal ein Schnitzel mit Pommes tatsächlich mehr kostet als der Flug nach Mallorca, dann muss etwas falsch laufen. Und das tut es auch: Wenn Ryanair ab Ende März täglich Flüge von Frankfurt nach Alicante, Faro, Málaga und eben Palma de Mallorca anbietet, soll der billigste Flug 9,99 Euro kosten. Davon muss Ryanair Kerosin, Personal, Flughafen, Flugzeug und vieles mehr zahlen. Trotzdem macht Ryanair gutes Geld. Weil alle anderen draufzahlen.
Abheben zum Spartarif
Beispiel Flughäfen: Ryanair bekommt einen Neukundenrabatt in Frankfurt, denn Ryanair sorgt für Wachstum. Nicht nur in Frankfurt, auch in Berlin sind die Iren ein gern gesehener Kunde. In drei Jahren steigerte Ryanair dort die Anzahl der Passagiere von 500.000 auf 5,1 Millionen. Mehr Passagiere bedeuten auch mehr Arbeit für die Flugsicherung, mehr Arbeit an Bord, mehr Arbeit am Boden. Der Flughafen wächst. Aber dieses Wachstum bringt Probleme. Denn Ryanair bekommt Rabatte und macht gleichzeitig Druck auf die Preise. So schrumpft bei allem Wachstum der Betrag, der pro Passagier für all die wichtigen Leistungen rund um den Flug zur Verfügung steht. Weniger muss für mehr reichen. Und das merken vor allem die Beschäftigten in der Luft und am Boden.
Sozialer Sinkflug
Beispiel Beschäftigte: Im Luftverkehr wird seit Jahren mehr gearbeitet für weniger Geld. Eine große Belastung für die Mitarbeiter, denn die Tore zur Welt sind Metropolen wie Frankfurt, Berlin, München oder Hamburg. Das Leben dort ist teuer. Und der Flugbetrieb läuft fast rund um die Uhr. Boden- und Bordpersonal arbeiten deshalb im Schichtdienst, sind von kurzen Wegen zur Arbeit abhängig. Das Einkommen reicht so oft gerade für die teure Miete. Für eigene Reisen in den Urlaub bleibt nichts übrig.
Bruchlandung
Seit Beginn des Jahres befinden sich die Beschäftigten der Berliner Flughäfen im Arbeitskampf. Sie führen den Verteilungskampf um die wenigen Euro, die das bombastische Wachstum von Ryanair und Co noch einbringen. Damit sind sie nicht alleine. Auch in Stuttgart oder Hamburg sind die Mitarbeiter im Ausstand. In den vergangenen Jahren haben Airlines und Flughäfen die meisten Streiktage in der neueren Geschichte des deutschen Luftverkehrs gesammelt. Der Kampf um den kleiner werdenden Kuchen ist in vollem Gange. Die Folge sind ärgerliche Flugausfälle und Verspätungen bis hin zur ungewollten Übernachtung am Flughafen. Züge sind überfüllt und auf den Autobahnen ist Stau. Ohne Fliegen geht heute nichts mehr, wir sind darauf angewiesen. Denn Fliegen ist inzwischen so normal wie Bus oder Bahn fahren. Die Billigflieger haben dazu beigetragen. Sie haben mit Traditionen gebrochen und den vermeintlich Großen gezeigt, was möglich ist. Mehr Menschen haben dadurch Zugang zum Fliegen. Und das ist gut so. Aber egal, ob ein Ticket zehn oder 1.000 Euro kostet: wir wollen pünktlich ankommen, wir wollen bequem sitzen, und vor allem wollen wir uns vom Check-in bis zum Kofferband sicher fühlen.
Das alles hat seinen Preis. Gehen Sie wirklich davon aus, dass 9,99 Euro reichen?
Info:
Die Industriegewerkschaft Luftverkehr (IGL) wurde im September 2015 gegründet. Die IGL versteht sich nicht als Dachverband, sondern als eine selbstständige und aus sich heraus tariffähige Gewerkschaft. Anders als bei anderen Branchen- und Industriegewerkschaften können bereits etablierte Gewerkschaften wie UFO (Unabhängige Flugbegleiter-Organisation) oder GdF (Gewerkschaft der Flugsicherung) als Ganzes Mitglied der IGL werden. Der Schritt zur Gründung war von der Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO ausgegangen und zwar als Reaktion auf die dort als ungenügend erachtete Vertretung der Angestellten des Luftfahrtsektors seitens Verdi. Die IGL beklagt insbesondere befristete Beschäftigung, Werkverträge, Leiharbeit und sinkende Löhne.
WIRTSCHAFT
Getty Images / Sezeryadigar
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