Je beliebter, desto teurer: In boomenden Städten gibt es immer weniger bezahlbare Wohnungen. Wird Wohnen zum Luxus? Während auf dem Land komplette Häuser leer stehen, wird der Wohnraum in beliebten Städten immer knapper. Auch in kleineren Städten wie Freiburg.
Monika Stoll (Name geändert) hatte ihre Traumwohnung schon fast in der Tasche. Ein heller, moderner Neubau, direkt an der Straßenbahn gelegen, nur ein paar Schritte bis in den Wald. Und das Ganze sogar zu einem anständigen Preis, zumindest für Freiburger Verhältnisse. Stoll, 30 Jahre, ledig, Festanstellung in der Forschung, war endlich am Ziel. Das monatelange Durchforsten von Annoncen, die endlosen Wohnungsbesichtigungen, die indiskreten Fragen der Vermieter: All das sollte sich nun ausgezahlt haben. Glaubte sie zumindest.
Doch just an dem Tag, an dem der neue Mietvertrag unterzeichnet werden sollte, meldeten sich die Vormieter zu Wort. Man könne ja beim Vermieter ein gutes Wort einlegen, damit auch sie den Zuschlag für das beliebte Objekt erhalte. Immerhin hätten sich über 50 Personen darauf beworben. Für so viel Einsatz werde allerdings eine Gegenleistung fällig: eine "Ablösesumme" von 1.000 Euro sowie die "freiwillige" Übernahme der bisherigen Möbel, ebenfalls gegen Geld. "Da war ich erst mal baff", sagt Stoll, die auch heute noch nach einer neuen Wohnung sucht. "Unglaublich, mit wie viel Dreistigkeit manche Leute durchkommen."
Während Stoll das Angebot ablehnte, simmten die nächsten Interessenten zu. Nicht, weil sie sich gerne über den Tisch ziehen ließen, sondern aus schlichter Notwendigkeit: Weil die 220.000 Einwohner zählende Studentenstadt boomt, wird der verfügbare Wohnraum immer knapper. Bis zu 30 Prozent ihres Einkommens müssen die Freiburger für ihre Miete berappen, hat das Onlineportal Immobilienscout24 berechnet Rekord in Deutschland! Zwar sind Metropolen wie München oder Stuttgart noch teurer. Doch dort verdienen die Einwohner im Schnitt auch mehr.
Besonders Geringverdiener konkurrieren um die wenigen bezahlbaren Wohnungen, die noch übrig sind. Besichtigungen verkommen zu regelrechten Castings; oft drängen sich Interessenten bis vor die Haustür. Wie häufig dabei das Gesetz gebrochen wird, ist nicht bekannt. Schon mehrfach berichteten Medien über Makler, die entgegen der geltenden Rechtslage ihre Provision auf die Mieter abwälzen wollten. Oder von Vermietern, die sich nicht scheuten, nach der sexuellen Orientierung ihrer Interessenten zu fragen. Die meisten Verstöße kommen freilich gar nicht ans Licht, da sie einfach hingenommen werden. Zu hartnäckig ist die Konkurrenz, zu groß die Gefahr, am Ende gar keine Bleibe zu bekommen.
Doch selbst dann, wenn alles nach Vorschrift verläuft, gerät die untere Einkommensschicht in Bedrängnis. "Wo ein Mangel herrscht, gehen die Mieten automatisch nach oben", sagt Udo Casper, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes in Baden-Württemberg. Auch neue Gesetze wie die Mietpreisbremse könnten wenig ausrichten, da sie nur bei Neuvermietungen greife. "Wer in Freiburg als Polizist arbeitet, kann doch nicht aufs Land ziehen, weil er sich in der Stadt keine Wohnung mehr leisten kann", schimpft Casper. "Da muss man doch gegensteuern." Die Forderung des Mieter-Lobbyisten: mehr Wohnungen bauen, und zwar schnell.
Wenn Freiburg weiterhin so stark wächst wie bisher, müssten 14.600 neue Wohnungen bis zum Jahr 2030 gebaut werden. Die Zahlen stammen aus einer Studie, die die Stadtverwaltung in Auftrag gegeben hat. Schließlich hat auch die Politik erkannt, dass sich die Not nur dann lindern lässt, wenn neue Häuser gebaut werden. So soll in naher Zukunft ein kompletter neuer Stadtteil mit bis zu 5500 Wohnungen in Freiburg entstehen. Auch im Innenraum werden die wenigen noch vorhandenen Baulücken geschlossen ein Vorhaben, das jedoch alles andere als unumstritten ist.
Geringverdiener
fallen hinten runter
"Die Geografie lässt uns nicht viele Spielräume", sagt Freiburgs Baubürgermeister Martin Haag (parteilos). Gemeint ist die Randlage am Schwarzwald, derentwegen sich die Stadt nur im Innenraum oder Richtung Westen entwickeln kann was dort heftigen Widerstand auslöst. "Gerade jetzt dürfen wir nicht den Fehler begehen, nur auf Masse zu gucken", sagt Haag. "Aber ohne neue Häuser, auch höhere Häuser, wird es nicht gehen." Obwohl das in Freiburg jeder weiß, ist der Aufschrei groß, sobald neue Baupläne vorgestellt werden. Die Baupolitik gleicht einem Balanceakt, der so sensibel ist, dass Neubauprojekte in der Vergangenheit immer wieder verschoben werden mussten.
Im Gemeinderat zeigt sich, wie verhärtet die Fronten sind. Während drinnen über neue Baugebiete diskutiert wird, läuft vor dem Rathaus eine Unterschriftenaktion: Mehrere Kleingärtner demonstrieren dagegen, dass ihre grünen Paradiese den Baggern zum Opfer fallen. Politisch stoßen solche Proteste durchaus auf Gehör. Seit 2014 sitzt eine Fraktion namens "Freiburg Lebenswert" (FL) im Gemeinderat, die mit dem Versprechen angetreten ist, den vermeintlichen Bauwahnsinn zu stoppen. "Wir sind von Bürgern gewählt worden und nicht von potenziellen Zuzüglern", empört sich ein FL-Stadtrat während der Debatte. Der Baubürgermeister giftet zurück: "Ihnen gehts doch nur ums Konservieren unter der Käseglocke."
Am Ende sprechen sich 40 von 44 anwesenden Stadträten für das Bauvorhaben aus, das bis zu 1000 neue Wohnungen bringen soll. Doch das grundsätzliche Dilemma bleibt: Wie weit können die Vertreter der (grün regierten) Öko-City gehen, um die Wohnraumnot zu lindern? Dürfen im Notfall auch Parks geopfert werden? Landwirtschaftliche Flächen? Naturschutzgebiete? Oder doch lieber Kleingärten? Fest steht: Kein einziges Vorhaben, das derzeit zur Diskussion steht, verläuft ohne Konflikte.
Schon lange geht es in der Freiburger Wohnungspolitik heiß her. Vor zehn Jahren wollte der Oberbürgermeister 8.000 städtische Wohnungen verkaufen, um den kommunalen Haushalt auf einen Schlag zu sanieren. Prompt bildete sich eine Bürgerinitiative, die gegen "Heuschrecken" und Miet-Spekulanten auf die Straße ging. Mit Erfolg: Bei einem Bürgerentscheid sprach sich eine große Mehrheit dafür aus, die städtischen Immobilien zu behalten.
Trotzdem übersteigt die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum das Angebot bei Weitem. Zwar hat die Bundesregierung den Länderzuschuss für sozialen Wohnungsbau erst kürzlich auf gut eine Milliarde Euro verdoppelt. Doch bisher ist nur wenig von den versprochenen Leistungen in den Boom-Städten angekommen. Immer mehr Mieter gehen deshalb dazu über, sich selbst zu helfen, zum Beispiel durch alternative Wohnmodelle. In Freiburg erfreuen sich Baugenossenschaften besonderer Beliebtheit. Wer dort Mitglied wird, erwirbt einen Anteil der Immobilien, die sich im genossenschaftlichen Besitz befinden. Zudem sind die Mieten günstiger als auf dem freien Markt und es gibt kein Kündigungsrecht wegen Eigenbedarf.
Zweckentfremdung
ist auch hier verboten
"Wir sind eine Mischform aus Wohnen und Eigentum", sagt Anja Dziolloß, geschäftsführender Vorstand der Freiburger Familienheim-Genossenschaft, die 2650 Immobilien verwaltet. Wer dort Mitglied wird, muss je nach Stadtteil im Schnitt zwischen einem Jahr und fünf Jahren auf eine Wohnung warten. "Wir suchen natürlich weiterhin Grundstücke, um den Bedarf zu decken", sagt Dziolloß. "Aber es wird schwieriger."
So sieht es auch Jochen Schmidt vom "Mietshäuser-Syndikat", das nach einem ähnlichen Modell arbeitet. "Das Interesse ist riesig. Oft ist es für die Leute frustrierend, wenn wir ihnen nicht helfen können." Beim Syndikatsmodell tun sich mehrere Menschen zusammen, um ein Haus zu kaufen und es langfristig zu bewohnen. "Man ist also Mieter und Vermieter gleichzeitig", sagt Schmidt. Der Knackpunkt dabei: Um ein Haus zu kaufen, muss erst einmal Geld aufgebracht werden. Doch selbst wenn dies der Fall ist, stoßen die Mitglieder schnell auf das Freiburg-spezifische Problem: "Es gibt einfach nicht genügend freie Häuser. Da nützt alles nichts."
Hinzu kommt, dass viele Eigentümer ihre Immobilien lieber tageweise an Touristen vermieten, weil sich damit mehr Geld verdienen lässt. Mit dem Erstarken von Internetportalen wie "Airbnb" oder "Wimdu", die genau das unterstützen, hat sich die Situation weiter verschärft. Doch auch die Stadt ist nicht untätig geblieben. Ähnlich wie in Berlin gibt es auch in Freiburg ein sogenanntes Zweckentfremdungsverbot, nach dem es verboten ist, Wohnraum für Touristen oder Geschäftszwecke zu nutzen (ähnliche Regelungen gelten auch in Stuttgart und Konstanz).
Anders als etwa in Berlin, wo Beamte das Internet durchforsten und bei verdächtigen Wohnungen klingeln, gibt es dafür in Freiburg aber kaum Personal. Die Stadt verlässt sich lieber auf Anwohner, die ihre Nachbarn anschwärzen. Und das mit Erfolg: Etwa hundert Verfahren gebe es pro Jahr, teilt die städtische Pressestelle auf Anfrage mit. Eine gerichtliche Auseinandersetzung habe es noch nicht gegeben, dafür viele gütliche Einigungen.
Andere Ideen haben weniger Erfolg. So wollte die Stadtverwaltung die Mieten von geförderten Wohnungen langfristig drücken, indem sie Investoren ein Angebot machte: Wenn diese sich verpflichten, weiterhin Sozialwohnungen mit günstigen Mieten anzubieten oder neue zu bauen, erhalten sie einen finanziellen Zuschuss. Doch die gut gemeinte Idee floppte: Wie die "Badische Zeitung" berichtet, ließ sich kaum ein Investor auf den Vorschlag ein. Mit Wohnungen, die zu normalen (also teuren) Freiburger Mieten angeboten werden, lasse sich schlicht mehr Geld verdienen.
Fortschritte gibt es dennoch. So entsteht derzeit auf dem Gelände des ehemaligen Freiburger Güterbahnhofs ein 700 Quadratmeter großes Wohn- und Geschäftsviertel. Wenn alles fertig ist, werden rund 2500 Menschen dort leben. Auch wird die Stadt allen Prognose zufolge ihr selbst gestecktes Ziel erreichen, 1000 neue Wohnungen in diesem Jahr zu bauen. "Die Leute wollen, dass neue Wohnungen ökologisch, inklusiv und am besten noch billig sind", fasst Baubürgermeister Haag die Herausforderung zusammen. Ob das wirklich gelingt, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.
Steve Przybilla
INFO: Andere Städte, andere Mieten
Während in Freiburg günstige Wohnungen fehlen, plagen sich andere Regionen mit Leerstand. Die "Immobilienweisen" (ein Expertengremium, das die Bundesregierung berät) schreiben in ihrem Frühjahrsgutachten: "Deutschland spaltet sich demografisch zwischen ausgewählten Schwarmstädten, die junge Menschen anziehen, und anderen Regionen." So seien in 14 Prozent aller Landkreise die Mieten um mehr als fünf Prozent gestiegen; in 8,5 Prozent aller Kreise allerdings gefallen. Als besonders günstige Regionen gelten ländliche Gebiete sowie der Osten Deutschlands. Angespannt ist die Lage vor allem in Großstädten und im Südwesten. So benötigt Konstanz rund 5.300 neue Wohnungen bis 2030.