Ohnmächtig auf 10,8 Kilometern Höhe im Ballon-Korb: Solche Geschichten gehören ebenso zur Berliner Luftfahrt wie Katastrophen, Bomber oder die unendliche Geschichte um den BER. Ein Rundflug.
Wieso sollte die Luftfahrt anders sein als die gesamte Stadt, die sich ständig selbst neu erfindet? Natürlich geht es der Fliegerei und allem, was dazu gehört, in Berlin genauso. Und nicht erst seit dem BER-Desaster: Das fängt schon lange vorher, bei der Historie der Flugplätze und Flughäfen, an.
Als zweiter Flugplatz überhaupt wurde der "Motorflugplatz Johannisthal-Adlershof" 1909 in Deutschland von den Behörden ausgewiesen. Mit der Eröffnung des Flughafens Tempelhof 1923 rückte Johannisthal in den Hintergrund, die zivile Nutzung kam fast völlig zum Erliegen. Zwischen 1909 und 1913 jedoch war das Flugfeld im Südosten Berlins Schauplatz von Flugschauen. Auch die ersten Überlandflüge in Deutschland und ihre Stars waren dort verortet: Namen wie Hubert Latham (Start in Tempelhof, Landung in Johannisthal), Paul Grade, Paul Engelhard und Adolphe Pégoud gehören dazu. Melli Beese erwarb im September 1911 als erste Frau in Deutschland ihren Privatpilotenschein in Johannisthal. So stolz sie gewesen sein mag, kurz darauf fiel sie in Ungnade: Im Ersten Weltkrieg wurde sie gemeinsam mit ihrem französischen Ehemann inhaftiert. Das warf Melli Beese aus der Bahn, sie starb 1925 in Berlin.
Natürlich passierten in Johannisthal auch Katastrophen: So kamen am 17. Oktober 1913 insgesamt 28 Menschen zu Tode, als der Zeppelin LZ 18 Feuer fing und abstürzte. Kurz darauf, im Ersten Weltkrieg, wurde der Flugplatz ausschließlich militärisch genutzt, vor allem als Produktionsstätte. Fast 13.000 der rund 48.000 deutschen Militärflugzeuge wurden in Johannisthal gebaut; die wichtigsten Hersteller waren Albatros, Rumpler und die Luftverkehrsgesellschaft (LVG).
Nach dem Krieg wurde Johannisthal zum Standort der zivilen Luftpost bis die Nazis an die Macht kamen. Schon ab 1933 rüsteten sie dort die Luftwaffe auf, was eigentlich nach den Versailler Verträgen strikt verboten war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzten für kurze Zeit die Sowjets den Flugplatz. Aber der Ausbau von Schönefeld unmittelbar außerhalb der Berliner Stadtgrenzen ließ Johannisthal bald in der Bedeutungslosigkeit versinken. Noch gab es den kleinen Flugplatz offiziell. Erst im Jahr 1995, nach politischer Wende und Wiedervereinigung, wurde er mit einer Flugveranstaltung geschlossen. Sein Ende jedoch war nicht minder dramatisch als seine Geschichte: Ausgerechnet bei der Abschlussveranstaltung verlor der deutsche Astronaut Reinhard Furrer sein Leben, als seine Messerschmitt Bf108 abstürzte.
Dramatisches Ende für Johannisthal
Nicht am südöstlichen Rande der Stadt, sondern viel zentraler, auf dem Tempelhofer Feld, wurden seit dem späten 19. Jahrhundert Flugversuche unternommen. Längere Zeit nicht wirklich erfolgreich: Für Otto Lilienthal, dem bald der Ruf des erfolgreichen Flugpioniers vorauseilte, war das ebene Tempelhofer Feld nicht besonders gut geeignet. Als erster Mensch, der so sah man es systematisch und wiederholbar den Flug der Vögel nachahmen konnte, bekam Lilienthal extra eine eigene Startrampe gebaut: Die meisten seiner Flugversuche in den 1890er-Jahren startete er vom eigens für ihn aufgeschütteten "Fliegeberg" in Lichterfelde im heutigen Berliner Südwesten. Der Fliegeberg hat bis heute überdauert.
Dennoch, auch auf dem platten Tempelhofer Feld gab es Großes zu feiern: Am 31. Juli 1901 stellten Arthur Berson und Reinhard Süring mit dem Ballon "Preußen" dort einen Höhenweltrekord auf, der 30 Jahre Bestand haben sollte. Bei ihrer Fahrt in einem offenen Korb auf 10,8 Kilometer Höhe das ist in etwa die Reisehöhe heutiger Jets wurden die beiden Meteorologen zeitweise ohnmächtig.
1909 war der Motorflug-Pionier Orville Wright auf dem Tempelhofer Feld zu Gast. Ab 1922 wurde das Gelände mit Geld der Firmen Junkers und Aero-Lloyd zu einem richtigen Flughafen ausgebaut. 1923 zog der Magistrat von Groß-Berlin nach und fasste auch förmlich den Beschluss zum Flughafenbau. Das damalige Flugaufkommen klingt für uns heute ausgesprochen niedrig: Anfang der 20er-Jahre wurden bei etwa 100 Starts und Landungen rund 150 Passagiere von und nach Tempelhof befördert. Das sollte sich rasch ändern, ab den späteren Jahren der Goldenen Zwanziger galt Tempelhof bereits als Großflughafen mit einer Verkehrsleistung, die sogar noch vor London und Paris lag.
Auch in Firmengründungen schlug sich die Aufbruchsstimmung nieder: 1926 entstand hier aus dem Zusammenschluss von Junkers Luftverkehr AG und Deutscher Aero Lloyd die "Deutsche Luft Hansa AG", für die Tempelhof fortan als Heimatbasis fungierte.
Der ab 1934 von den Nationalsozialisten initiierte Ausbau zum "Zentralflughafen" bescherte Berlin eines der längsten Gebäude der Welt im NS-Monumentalstil. Nach Plänen von Ernst Sagebiel entstand ein Gebäude mit 307.000 Quadratmetern und einer Länge von 1,2 Kilometern.
Tempelhof war Landeplatz für Rosinenbomber
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Flughafen Tempelhof militärisch genutzt. Tausende Zwangsarbeiter aus ganz Europa mussten dort unter anderem die Sturzkampfbomber der Luftwaffe warten. Pausenlos starteten die Flieger von Tempelhof aus, um ihre tödliche Fracht über feindlichen Gebieten abzuwerfen. Aber auch Frauen waren mit von der Partie: die jungen Testfliegerinnen der Luftwaffe wie Elly Beinhorn, Hanna Reitsch und Beate Uhse. Ihre Kollegin Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg, Schwägerin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, wurde nach dem Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 zeitweise in Sippenhaft genommen. Sie kam Anfang April 1945 bei einem Absturz in ihrer Bücker Bü 181 in der Nähe von Straubing (Bayern) ums Leben auf der Suche nach ihrem inhaftierten Mann Alexander Schenk Graf von Stauffenberg.
Nach Kriegsende wurde das Tempelhofer Gelände auch wieder als ziviler Flughafen genutzt. während der Berlin-Blockade 1948/49 war Tempelhof das wichtigste Ziel der "Rosinenbomber", mit denen die Westalliierten die Inselstadt West-Berlin versorgten. Zwischen 1945 und 1990 hatten die Alliierten ohnehin die alleinige Lufthoheit über der Viersektorenstadt. Das bedeutete in der Konsequenz, dass der Westteil der Stadt ausschließlich von amerikanischen, britischen und französischen Fluglinien bedient werden durfte. Anders in der "Hauptstadt der DDR": Dort flog auch die DDR-Fluglinie Interflug und zwar über den Flughafen Schönefeld, der unmittelbar südlich des sowjetischen Sektors und somit außerhalb der Stadt lag.
Die Bedeutung Tempelhofs für West-Berlin sank ab 1970, als der Ausbau Tegels der Teilstadt einen moderneren, leistungsfähigeren Flughafen bescherte. Zwischen 1975 und 1981 war der zivile Luftverkehr in Tempelhof ganz eingestellt. Als der Bedarf wieder stieg, wurde der zentrale Flughafen für den Geschäftsreiseverkehr wieder geöffnet, was so bis zur endgültigen Schließung 2008 weiter lief. 1993 war die U.S. Air Force, die Tempelhof seit 1945 ununterbrochen genutzt hatte, abgezogen. 2001 stürzte dann ein einmotoriges Reiseflugzeug in ein Wohngebäude in Neukölln. Die beiden Insassen starben glücklicherweise und fast unvorstellbar traf es sonst niemanden. Aber die Diskussionen über die Schließung des doch inzwischen vergleichsweise kleinen Flughafens mitten in den Wohngebieten kochten hoch. Nachdem ein Volksentscheid zur Offenhaltung von Tempelhof 2008 scheiterte, wurde der Flughafen geschlossen.
Ein Schicksal, das dem heute größten Berliner Flughafen Tegel ebenfalls bevorstehen soll. Vorausgesetzt, der Großflughafen Berlin Brandenburg (BER) südlich des bisherigen Standorts Schönefeld wird irgendwann tatsächlich eröffnet. Die Haupterschließungsstraße am künftigen Flughafen Berlin Brandenburg ist übrigens nach Melli Beese benannt.
Wann der BER in Betrieb geht? Mehr dazu und zu weiteren Themen rund um die Berliner Luftfahrt finden Sie auf den kommenden Seiten: So hat unser Autor Frank M. Wagner mit dem Risikomanager Peter Hess über den BER gesprochen. Den einzigen dort bereits in Betrieb befindlichen Flughafenteil, den Technik-Hangar der Lufthansa, hat sich Ute C. Bauer angesehen. Gaby Berndt hat versucht, bei Geschäftsleuten in Tegel herauszufinden, wie sie mit der seit Jahren unklaren Situation umgehen.
Um die Geschichte der Air Berlin hat sich nochmal Frank M. Wagner gekümmert. Eine Ahnung, wie sich die harten Preiskämpfe innerhalb der Branche für die Luftfahrt-Arbeitnehmer darstellt, vermitteln die Gewerkschafter Daniel Flohr und Thomas Wolff. Last but not least: Daniela Nock hat Menschen getroffen, die von oder nach Schönefeld gereist sind. Der Airport ist kürzlich in einer Studie zum schlechtesten Flughafen der Welt gekürt worden. Ob die Fluggäste das genauso sehen?
Von Frank Behrens