Haben Fair-Trade-Programme oder Entwicklungshilfe positive Auswirkungen? Solche Fragen stellen die Soziologen im Saarbrücker Centrum für Evaluation: Seit 15 Jahren erforschen sie, wie wirksam soziale, politische und wirtschaftliche Programme tatsächlich sind.
Bringt der Fair-Trade-Kaffee den Bauern in Brasilien wirklich ein faires Einkommen? Und hat das Label "Fair Trade" wirklich Einfluss auf den deutschen Supermarkt-Besucher? Forschungsfragen, die das Centrum für Evaluation (Ceval) in Saarbrücken regelmäßig stellt. Hier geht es um Umwelt, Nachhaltigkeit und Ökologie. Gerade hat das Ceval eine Studie darüber veröffentlicht, inwiefern fairer Handel unsere Gesellschaft verändert. Verantwortlich für diese Evaluation war Dr. Stefan Silvestrini, Geschäftsführer der Ceval GmbH und Koordinator des Bereichs Entwicklungszusammenarbeit. Laut Studie hat die "Fair-Handels-Bewegung" in allen Bereichen der Gesellschaft zu einem veränderten Bewusstsein und Verhalten geführt. "Trotzdem sind immer noch zahlreiche dicke Bretter zu bohren, um tatsächlich strukturelle Veränderungen zu erreichen", räumt Silvestrini ein. Jedoch sei laut Studie insgesamt und unverkennbar die Bereitschaft gestiegen, für fair gehandelte Produkte mehr Geld auszugeben.
Mit der "Größe" des Themas Nachhaltigkeit wachse aber gleichzeitig auch die Zahl derer, die es ge- oder missbrauchen. Besonders der sogenannte "Label-Dschungel" sei ein Ausdruck davon. Dadurch werde es immer schwieriger, zwischen verschiedenen, oft in die Irre führenden, Siegeln zu unterscheiden. "Eine der zentralen Herausforderungen für den fairen Handel in der nahen Zukunft wird es sein, das in den vergangenen Jahren mühsam aufgebaute Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu erhalten und dafür eine entsprechende Orientierung zu bieten", prognostiziert Dr. Silvestrini.
Mehr Geld für Fair-Trade-Produkte
Seit 15 Jahren erforscht das Ceval Saarbrücken Programme und Strategien aus Politik und Gesellschaft und entwickelt wissenschaftliche Theorien und Methoden weiter. Eine Vielzahl von Lehrbüchern und Forschungsberichten dazu hat es bereits veröffentlicht. Daneben sorgt das Institut mit dem Aufbaustudiengang "Master of Evaluation", der gemeinsam von der Universität des Saarlandes und der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes angeboten wird, für qualifizierte Nachwuchs-Wissenschaftler.
In erster Linie betreibt das Centrum für Evaluation angewandte Forschung, die abhängig ist von Auftraggebern. Prof. Dr. Reinhard Stockmann, Direktor des Ceval und Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie der Universität Saarbrücken, sieht darin Fluch und Segen zugleich: "Wir können eben nur tätig werden, wenn ein Auftraggeber das wünscht, weil wir sonst gar nicht an unseren Forschungsgegenstand herankommen. Da man uns für unsere Forschung bezahlt, müssen die Auftraggeber auch mit unseren Methoden einverstanden und bereit sein, ihr Programm für uns vollständig transparent zu machen." Das mache es manchmal ein wenig schwierig. Anderseits sei angewandte Forschung besonders spannend, weil sie immer konkret in Empfehlungen mündet. Damit nimmt sie auch direkten Einfluss auf wirtschaftliche oder politische Strategien und deren Initiatoren und somit auf Entscheidungen, de in der Regel hohe gesellschaftliche Relevanz besitzen.
Es sei jedoch oft auch im Interesse der Auftraggeber, die entsprechenden Ergebnisse so günstig und schnell wie möglich verwerten zu können. "Um eine Frage umfassend und wissenschaftlich korrekt zu beantworten, braucht man aber oft viel Zeit und Geld", betont Prof. Dr. Stockmann. Viele Kunden erwarten die entsprechenden Ergebnisse zu bestimmten Anlässen. Danach brächten Auswertungen für die Kunden oft keinen Nutzen mehr. Dies sei ein Spannungsfeld, mit dem man sich immer wieder arrangieren müsse, gibt Stockmann offen zu.
Neben bildungs- und kulturpolitischen Fragen beschäftigt sich das Ceval auch mit Entwicklungspolitik. Auch dabei geht es oft darum, welchen Nutzen Programme in Entwicklungsländern tatsächlich haben.
Laut Prof. Dr. Stockmann zeigen alle bisherigen Analysen, dass nicht die Menge des zur Verfügung gestellten Geldes entscheidend sei, sondern es um die strukturellen Voraussetzungen in den Empfängerländern gehe. "Das Schlüsselwort ist gute Regierungsführung. Die Frage ist, ob die Regierung eines Landes überhaupt gewillt ist, die erhaltene Geldsumme in Armutsminderung, Infrastruktur oder Bildung zu investieren." So habe man es in vielen afrikanischen Staaten mit korrupten Eliten zu tun. "Und da bringt es gar nichts, diese mit 100 Millionen statt 50 Millionen zu unterstützen. Das ist absoluter Unsinn", ist sich Stockmann sicher. Vielmehr müsse man sich fragen, warum Entwicklungshilfe schon seit über 50 Jahren in bestimmten Staaten kaum Erfolg bringt.
Oft geht es um nackte politische Interessen
Voraussetzung für Entwicklung sei in erster Linie eine kluge Politik, die in Bereiche investiert, die für ein Land erfahrungsgemäß wichtig sind. Dafür gebe es auch einige positive Beispiele, darunter Stadtstaaten wie Singapur oder Länder wie Taiwan oder Südkorea, die entwicklungstechnisch stark aufgeholt haben. Neben Investitionen in Bildung und Infrastruktur sei für Firmen laut Prof. Stockmann auch ein politisch stabiler Rahmen wichtig. Sonst seien Firmen weniger dazu bereit, zu investieren.
Wirksamer, als immer neues Geld in korrupte Länder zu pumpen, sei eine effiziente Unterstützung zum Beispiel bei der Entwicklung von Verfassungen, Rechts- und Bildungssystemen oder Wirtschaftsverfassungen. "Es gibt tausend Felder, auf denen man mit Entwicklungszusammenarbeit sinnvoll intervenieren kann. Aber die Voraussetzung ist, dass die Partner auch ernsthaft zusammenarbeiten und nicht nur die Gelder abgreifen wollen. Wenn man da einfach nur noch mehr Geld reinpumpt, wie das unser Entwicklungsminister Müller momentan versucht, das wird scheitern!", mahnt der Experte.
Seiner Meinung nach werde Entwicklungshilfe größtenteils für andere politische Zwecke instrumentalisiert. "Warum ist Ägypten seit Jahrzehnten eines der Länder, das am meisten Entwicklungshilfe absahnt? Weil es für Stabilität im Nahen Osten sorgt und nicht, weil es dort eine besonders demokratisch legitimierte Regierung gäbe mitnichten", stellt Stockmann klar. So bekämen bestimmte afrikanische Länder nur deshalb Geld, damit sie keine Flüchtlinge mehr über die Grenze ließen und nicht, damit sich das Land entwickelt.
Prof. Dr. Stockmann bleibt jedoch realistisch: "Wenn jemand Ägypten kein Geld mehr geben will, weil das Land eine Militärdiktatur ist, werden viele sagen, dass dann die Islamisten an die Macht kommen und ob man das denn verantworten wolle? Dann heißt es natürlich nicht!"
Aber was ist die Alternative? Stockmann ist sich dieser Zwickmühle bewusst: "Ich meine, was ist die Alternative dazu, dass man Milliarden in Afghanistan, einem der größten Drogenexportländer der Welt, versenkt? Dann kommen eben wieder die Taliban an die Macht. Klar ist das schwierig. Aber man sollte das nicht unter dem Deckmantel der Menschenfreundlichkeit und der Entwicklungszusammenarbeit machen, sondern offen zugeben, dass es da um nackte politische Interessen geht. Das würde Politik durchaus glaubwürdiger machen."
Seit der Gründung des Centrums für Evaluation im Jahre 2002 wird es übrigens vom Saarland finanziell unterstützt wenn auch wegen der Sparmaßnahmen nicht mehr mit zwei, sondern nur noch mit einer Personalstelle. Wie es mit diesen Mitteln in Zukunft aussieht, ist fraglich.
Prof. Dr. Reinhard Stockmann sieht dennoch positiv in die Zukunft. Immerhin ist er gerade im Ausland unterwegs, um dort Möglichkeiten auszuloten, den in Saarbrücken entwickelten Studiengang auf die internationale Ebene zu hieven. Sogar auf Sri Lanka soll der "Master of Evaluation" bald eingeführt werden. Schließlich ist der Export von Wissen darüber, wie man eigene Strategien selbstkritisch und realistisch bewertet, sicherlich ein bedeutender Schritt in Richtung positiver Entwicklung. Und das nicht nur in Entwicklungsländern.
Markus Trennheuser