Im ersten Teil unserer neuen Serie "Die sieben Weltwunder" stellen wir den Koloss von Rhodos vor. Kein Monument der Weltgeschichte war so kurzlebig wie die Riesenstatue des Sonnengottes Helios über der antiken Hafenmetropole Rhodos. Schon nach 66 Jahren wurde sie zerstört und überdauerte dennoch als liegendes Artefakt mehrere Jahrhunderte.
Gerade mal 66 Jahre lang thronte die bronzene Riesenstatue über der griechischen Insel Rhodos. Dann stürzte sie im Jahr 226 v. Chr. infolge eines schweren Erdbebens in sich zusammen. Obwohl der Koloss von Rhodos damit das mit Abstand kurzlebigste aller sieben Weltwunder der Antike war, konnte er sich doch, im Unterschied zu den berühmten Mauern von Babylon, über die folgenden Jahrhunderte auf der wichtigsten Monumente-Liste des Altertums behaupten. Seitdem liefert er jede Menge Stoff für fantasievolle Darstellungen oder Standortzuweisungen, weil es keinerlei konkrete Überlieferungen über sein Aussehen gibt. Sicher scheint nur, dass der Sonnengott Helios keinesfalls mit gespreizten Beinen die Hafeneinfahrt von Rhodos überspannt hat. Diese falsche Vorstellung war erst in der Renaissance von christlichen Pilgern nach der Rückkehr aus dem Heiligen Land in Europa verbreitet worden, nachdem sie von der Legende bei ihrer Zwischenstation auf der von den Kreuzrittern beherrschten Insel erfahren hatten. Bei der Statue handelte es sich um eine Dankesgabe der Rhodier an ihren Schutzgott Helios. Weil dieser, so der feste Glaube der Inselbewohner, im Jahr 305 v. Chr. die damals reiche Handelsmetropole Rhodos vor Eroberung und Plünderung durch das übermächtige Seefahrerheer von Demetrios I. Poliorketes, dem Sohn des makedonischen Diadochenherrschers Antigonos I. Monophtalmos, bewahrt hatte. Es sei Helios persönlich gewesen, der die Stadtbewohner angewiesen habe, im Schutz der Nacht einen Graben vor der Stadtmauer auszuheben. Sie sollten darauf vertrauen, dass die scheinbar unbezwingbaren Angriffsgerätschaften des Feindes, vor allem eine angeblich 30 Meter hohe, neunstöckige, mit Katapulten und Rammböcken ausgestattete Belagerungsmaschine, beim Vorrücken durch den sorgfältig getarnten Graben unschädlich gemacht werden konnten.
Als das Ungetüm am folgenden Tag in den Graben gestürzt war und bei seinem Fall eine Bresche wieder sicher verschlossen hatte, die die Angreifer zuvor schon in die Mauer geschlagen hatten, soll der Diadochensohn die Belagerung abgebrochen haben. Seine Frustration war offenbar so groß, dass er beim Abzug sämtliche Gerätschaften und den gesamten Fuhrpark zurückgelassen hatte. Der Erlös aus deren Verkauf wurde zur Finanzierung der Kolossalstatue verwendet, die die Unsumme von 300 Talenten oder umgerechnet neun Tonnen Silber gekostet haben soll.
Antike Quellen belegen eindeutig, dass die Riesenstatue des Sonnengottes Helios aus Bronze hergestellt war. Nach zwölfjähriger Bauzeit wurde das 70 Ellen hohe Monument, was mit 30 bis 35 Metern umgerechnet wurde, im Jahr 292 v. Chr. eingeweiht. Als Baumeister hatte man den erfahrenen, einheimischen Bildhauer Chares von Lindos verpflichtet, einen Schüler des Lysippos, des bedeutendsten Plastikers des 4. Jahrhunderts auf der gesamten Peloponnes. Einer antiken Anekdote zufolge soll sich Chares bei der Kostenkalkulation so gründlich verrechnet haben, dass ihn der daraus resultierende Bankrott in den Selbstmord getrieben habe. Völlig ungeklärt ist die Frage nach der Gusstechnik. Philon von Byzanz, ein vermutlich spätantiker Autor, fabulierte in seinem "Reiseführer zu den Sieben Weltwundern" von einem Etage auf Etage fortschreitenden Produktionsprozess.
Die Statue wurde vermutlich in Einzelstücken gegossen
Diese Technik war damals zwar schon bekannt, allerdings wäre dabei durch die nötigen Erdanschüttungen am Ende ein riesiger Berg entstanden, auf dessen Überreste man bei archäologischen Ausgrabungen zwangsläufig hätte stoßen müssen. Da das nicht der Fall war, geht man heute davon aus, dass die Statue wahrscheinlich ganz in der Nähe ihres geplanten Standortes in großen Einzelstücken gegossen wurde.
Apropos Standort: Darüber gibt es in den antiken Schriftquellen keine einzige Angabe, noch nicht einmal eine Andeutung. Was reichlich Raum für Spekulationen eröffnete. Mal wurde die Hafen-Mole St. Nikolaus, mal die Akropolis, mal die Stelle des mittelalterlichen Großmeisterpalastes ins Spiel gebracht. Von der Logik her am interessantesten scheint allerdings die Standortbestimmung durch die deutsche Archäologin Ursula Vedder. Weil es sich um ein Weihgeschenk an den Sonnengott handelt, kommt für sie nur das Helios-Heiligtum in Frage. Dieses konnte zwar bislang noch nicht eindeutig lokalisiert werden konnte, laut Vedder kommt dafür aber eigentlich nur der bislang dem Gott Apollon Pythios zugeschriebene Tempel in Frage. Nördlich von diesem Tempel, mit Blick auf die Stadt, sei aller Wahrscheinlichkeit nach das Standbild aufgestellt worden. Weithin sichtbar nicht nur für die Bewohner der Stadt, sondern auch für ankommende Seefahrer. Und gegossen wurde gleich nebenan, weil Vedder eine noch heute erhaltene Ruine für die Überreste der Werkstatt hält, in deren Hof einst zunächst der Sockel und dann in weiteren Arbeitsgängen die übrigen Teile der Statue montiert wurden.
Da es weder eine Beschreibung noch eine bildliche Darstellung der Statue aus der Antike gibt, kann nur angenommen werden, dass Helios dem üblichen Zeittypus folgend wohl als stehender, nackter junger Mann mit langem, lockigem Haar und einem den Kopf umrahmenden Strahlenkranz dargestellt war. Das Antlitz war in dieser Form jedenfalls schon im späten 5. Jahrhundert v. Chr. auf in Rhodos geprägten Münzen zu sehen gewesen. Nach dem Erdbeben anno 226, bei dem laut dem griechischen Geschichtsschreiber Strabon bei dem Koloss zunächst die Knie eingeknickt waren, kümmerte sich niemand um eine Wiederaufrichtung der Statue. Obwohl der Stadt Rhodos dafür finanzielle Hilfe von verschiedenen Seiten angeboten wurde. Vermutlich wollten die Rhodier vermeiden, dass der Koloss noch einmal umfallen könnte. Zur eigenen Rechtfertigung ließen sie das Gerücht verbreiten, dass ihnen ein Orakel mit dem Spruch "Was gut liegt, das soll man nicht von der Stelle bewegen!" von einer Wiederherstellung des riesigen Monuments abgeraten habe.
Fortan war das Weltwunder also nur noch als liegendes Artefakt anzuschauen. "Aber auch liegend erregt es Staunen", so Plinius der Ältere in seiner "Naturgeschichte", "Wenige umfassen seinen Daumen, und die Finger sind größer als die meisten Statuen." Nach einer byzantinischen Überlieferung verschwanden die Bronzeteile erst im Jahr 654 n. Chr. Der arabische Feldherr Muawija ließ das Metall nach Eroberung der Insel einsammeln und in den Orient verschiffen, wo es angeblich von einem jüdischen Händler aus Edessa gekauft und mit 900 Kamelen abtransportiert wurde. Der Koloss war endgültig verschwunden. Nur im Sprachgebrauch blieb die Erinnerung an ihn erhalten. Denn mit Bezug auf die Helios-Statue hatte sich die Bedeutung des Wortes "kolossos" gewandelt. Wurde damit vormals nur eine Statue in menschlicher Gestalt ohne spezifische Größenvorstellungen bezeichnet, wurde daraus nach dem Rhodos-Monument die Riesenstatue, die Kolossal-Statue. Und auch in der Bildenden Kunst lebte der Koloss weiter fort, allerdings zumeist nur in Phantasiedarstellungen mit den weit gespreizten Beinen. Wobei die 1572 von Philipp Galle gestochene Zeichnung seines niederländischen Landsmannes Maarten van Heemskerck aus dem
16. Jahrhundert bis heute am bekanntesten ist.
Peter Lempert
Wachender Christus
Die Christo Redentor ist die einzige Skulptur unter den neuen sieben Weltwundern. Und was die Größe betrifft, braucht die monumentale Christusgestalt über Rio de Janeiro aus dem Jahr 1931 keinen Vergleich mit dem Koloss von Rhodos zu scheuen.
Das Projekt betreffs der Errichtung eines religiösen Denkmals auf dem Gipfel des Corcovados im Süden von Rio de Janeiro war der brasilianischen Prinzessin Isabella bereits 1859 unterbreitet worden. Später wurde ihr als Dank für ihr Engagement zur Abschaffung der Sklaverei der Ehrentitel "die Erlöserin" verliehen. Und doch sollte es nicht die "Erlöserin" sein, die den Christo Redentor (Christus, der Erlöser) in Auftrag gab. Im Vorfeld der Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit Brasilien hatten die Stadtoberen eine von 20.000 Personen unterschriebene Petition bezüglich der Aufstellung einer riesigen Christus-Statue erhalten. Die Grundsteinlegung erfolgte am 4. April 1922. Wegen finanzieller Probleme sollte sich die Fertigstellung der 30 Meter hohen, auf einem acht Meter hohen Sockel stehenden Monumentalskulptur bis zum 12. Oktober 1931, dem Tag der feierlichen Einweihung, hinziehen. Ursprünglich war eine Metallskulptur im Stil der New Yorker Freiheitsstatue geplant. Doch letztendlich entschied man sich für eine Art-Déco-Stahlbetonkonstruktion, die mit einem wetterfesten Belag aus Millionen von zentimetergroßen Specksteindreiecken überzogen wurde. Die Entwürfe stammten von dem brasilianischen Architekten Heitor da Silva Costa, der sich in Paris die Dienste des Statikers Albert Caquot und des französisch-polnischen Bildhauers Paul Landowski sicherte. Letzterer hatte Kopf und Hände der Statue in seinem Pariser Atelier in Originalgröße in Gips modelliert wobei ihm eine Frau, die brasilianische Künstlerin Margarida Lopez de Almeida, Model gesessen hatte.
Peter Lempert