Am Rathaus wurde Handel getrieben, gespielt, getrunken und geraucht: Das und noch viel mehr verraten archäologische Funde. Im Depot des Landesdenkmalamts Berlin liegen noch so einige Schätze, die von der Historie der Stadt erzählen.
Die Archäologen sitzen mittendrin. In der Klosterstraße, einen Steinwurf entfernt von den wichtigen Fundstätten des letzten Jahrzehnts, liegt das Landesdenkmalamt, Arbeitsplatz von Karin Wagner, Leiterin der Bodendenkmalpflege, und ihren Mitarbeitern. Dort befinden sich nicht nur ihre Büros, sondern auch die Lagerräume und Restaurierungswerkstätten: Arbeitsplatz für all jene, die die Funde vorsichtig säubern, dokumentieren und katalogisieren, bevor sie in säuberlich beschrifteten Plastiktüten verpackt und archiviert werden.
Bis Ende des Jahres werten der Archäologe Dr. Bertram Faensen und seine Kollegen aktuell die Funde aus, die beim Bau der U5 zum Vorschein kamen. Faensen schwärmt: "Der U-Bahn-Bau war aus archäologischer Sicht sehr ergiebig, insgesamt konnten wir etwa 300.000 Funde bergen."
Münzen dienen der Altersbestimmung
Ein besonderes Highlight waren die Ausgrabungen des mittelalterlichen Rathauses unmittelbar vor dem Haupteingang des heutigen Roten Rathauses. Faensen zeigt Fotos der Erdschichten: "Das gefundene Material vom 13. bis zum 19. Jahrhundert war schichtweise übereinander abgelagert." Datieren konnte man die Schichten zum großen Teil durch rund 1.200 Münzen, die aus dem Schutt herausgesiebt wurden. Zur Demonstration zeigt Faensen eine unrestaurierte korrodierte Münze, für einen Laien kaum als solche zu identifizieren: "Sie ist wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts." Funde wie die Knochenwürfel aus dem 14. Jahrhundert oder die zeitgeschichtlich jüngeren tönerne Pfeife weisen darauf hin, dass das Rathaus früher nicht nur Sitz des Rates und der Gerichtsbarkeit war. "Hier wurde Handel getrieben, hier wurde gespielt, getrunken und geraucht."
Zu vielen Funden existieren kleine Geschichten etwa zu dem grün glasierten Nachttopf aus dem 18. Jahrhundert: "Der Griff ist verstärkt, damit der Topf gut in der Hand liegt und nichts heraus schwappt." Die Altersbestimmung der Gegenstände ist Erfahrungssache: Materialien, Formen und die Art der Bearbeitung veränderten sich im Lauf der Jahrhunderte. Daraus lässt sich das Alter meist gut bestimmen.
Nicht alle Stücke bleiben im Depot
Anrührend ist der Kamm mit den filigranen Zinken aus Knochenmaterial. Wurde hiermit einem Kind durchs feine Haar gestrichen? Oder die Zahnbürste mit dem ergonomisch gewendelten Griff aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Borsten sind im Lauf der Zeit verschwunden, dennoch wird klar, dass Zahnpflege keine Erfindung der Moderne ist. Ebenfalls interessant: Eine schmale rechteckige Knochenplatte mit regelmäßigen Bohrlöchern: "Daraus wurden die Abschnitte für eine Rosenkranzkette gewonnen", erklärt Faensen. Nicht immer ist alles so eindeutig: Ein mit kryptischen Zeichen verzierter Keramikdeckel aus dem späten 13. Jahrhundert habe vermutlich dem Ausdrücken von Glut gedient. Genau wisse man es nicht.
Stücke von besonderem Rang verbleiben nicht in den Depots des Landesdenkmalamtes; Sie schaffen es in Ausstellungen und Museen. So etwa der Berliner Skulpturenfund, der in Deutschland auf Wanderschaft ging: 2010 konnten beim U-Bahn-Bau 16 Skulpturen der Klassischen Moderne geborgen werden. "Es hat sich herausgestellt, dass sich in der Königstraße heute Rathausstraße ein bis dato nicht bekanntes Lager mit Kunst befand, die von den Nazis als entartet gebrandmarkt worden war", sagt Karin Wagner. Als weitere Sternstunde bezeichnet sie den Fund einer NS-Arbeitslager-Akte. Die konnte in Zusammenarbeit mit der Werkstatt der Staatsbibliothek komplett restauriert werden und liefert nun Einblicke in das Lagerleben. Sie fand auch schon den Weg ins Neue Museum in den Raum "Archäologie in Berlin". Und man darf gespannt sein, was von den Funden aus dem Depot dort als nächstes den Weg in die Schau-Vitrinen finden wird.
Ute Christina Bauer