Scheitern ist menschlich und passiert jedem im Laufe des Lebens unzählige Male. Das Versagen hat aber ein mieses Image. Dabei muss ein Fehlschlag nicht unbedingt etwas Schlechtes sein, sondern ist oftmals genau das Gegenteil.
Können Sie sich noch an Ihren letzten Fehler erinnern? Das letzte Mal, an dem Ihnen so richtig was danebengegangen ist? Und würden Sie den auch vor anderen zugeben oder gar öffentlich davon erzählen?
In Deutschland tut man sich schwer damit. Der Wirtschaftspsychologe Michael Frese von der Leuphana Universität in Lüneburg hat untersucht, wie verschiedene Kulturen mit Fehlern umgehen. 61 Länder hat er dabei verglichen. Zweitletzter: die Deutschen. Nur in Singapur zeigt man sich noch intoleranter im Umgang mit Verfehlungen. Während angloamerikanische Kulturen pragmatisch und offen auf das reagieren können, was nicht so klappt, pflegt der Deutsche oft eine Haltung nach dem Motto: "Fehler? Machen wir nicht." Wenn Frese Managern die Frage nach dem letzten großen Fehler stellt, erzählen die Amerikaner meist ehrlich von einem Patzer. Die Deutschen hingegen antworten oft, den Fehler eines Kollegen nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Denn in Deutschland neige man dazu, unnachsichtig auf Fehler zu reagieren. Warum eigentlich?
Das letzte Tabu
der Moderne
Der US-amerikanische Soziologe Richard Sennett schreibt, scheitern sei das letzte Tabu der Moderne. Alle denken daran, kaum einer spricht darüber. Während im Mittelalter individuelles Scheitern kein Thema war der Mensch war ja ohnehin verdammt wird das Versagen heute zur Bedrohung für den Einzelnen. Jeder kann jederzeit scheitern, hat der Mensch doch die Vorstellung entwickelt, alles erreichen zu können. Klappt das nicht, stellt das Versagen gerade in individualistisch orientierten Kulturen eine Gefahr für den Selbstwert dar. Dazu kommt die Erwartungshaltung einer Leistungsgesellschaft. Je wichtiger Leistung ist, desto größer ist das Versagen, erklärt es der Fehlerforscher Olaf Morgenroth von der Hamburg Medical School. Zu weit entfernt ist man von der Samuel Beckett Philosophie "Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better" (grob übersetzt: Versuche es. Scheitere. Egal. Versuch es wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser). Und das, obwohl an jeder Ecke gescheitert wird. Johannes Haushofer ist Psychologe, Ökonom, Professor in Princeton und gerade einmal 36. Bekannt gemacht hat ihn sein "CV of Failures", der Lebenslauf der Fehler. Der man mag es kaum glauben mit dem Satz beginnt: "Das meiste, was ich versuche, gelingt mir nicht. Aber diese Rückschläge sind meistens unsichtbar, während meine Erfolge sichtbar sind." Haushofer listet Programme, in die er nicht aufgenommen wurde, Forschungsförderungen, die er nicht erhielt und Absagen von wissenschaftlichen Zeitschriften, die seine Forschungsergebnisse nicht veröffentlichen wollten. Den Lebenslauf mal schnell bei Twitter gepostet, eigentlich nur um eine Freundin aufzumuntern, "scheitert" er dann fast schon auf ironische Weise: Für den "CV of Failures" bekommt er mehr Aufmerksamkeit als für seine komplette akademische Forschung.
Die Wissenschaft lebt vom Scheitern. Beispiel Penicillin: Es wurde nur erfunden, weil Alexander Flemming eine Nährbodenplatte mit Bakterien vergaß und Sommerferien machte. Beispiel Albert Einstein: Er flog von der Schule, wurde von der Technischen Hochschule Zürich abgelehnt und entwickelte trotzdem die Relativitätstheorie. Und nicht zuletzt die Natur selbst: Die Evolution zeigt, wie nützlich Scheitern sein kann. Zufällige Mutationen schaffen eine neue Vielfalt. Manches davon verschwindet wieder, anderes wird zum Erfolg oder eignet sich für eine Nische.
Die Botschaft ist klar: Macht euch locker, Fehler gehören dazu! Verschiedene Initiativen fördern auch hierzulande ein Umdenken und versuchen, das Scheitern zu enttabuisieren. So gibt es in Berlin beispielsweise sogenannte FuckUp Nights, auf denen Gescheiterte berichten. Das Ganze ist Teil einer globalen Bewegung, die 2012 in Mexiko ins Leben gerufen wurde. Ein paar Freunde erzählten sich beim Feierabendbier von ihren Jobs und unternehmerischen Projekten. Das Gespräch nahm eine Wendung, denn plötzlich standen nicht mehr nur Erfolge im Mittelpunkt, sondern sie sprachen offen über das, was schief läuft. Weil ihnen das gut tat, machten sie daraus eine öffentliche Veranstaltung. Mittlerweile gibt es die FuckUp Nights in 150 Städten und 50 Ländern weltweit. Das Prinzip bleibt gleich: Jeder Sprecher erzählt in einem kurzen Vortrag davon, wie er gescheitert ist. Das Publikum feiert ihn regelrecht und zieht im besten Fall eine Lehre daraus. Bei den FuckUp Nights in Berlin heißt es, man wolle das Scheitern politisch, gesellschaftlich und persönlich entstigmatisieren. Die Macher der FuckUp Nights haben mittlerweile sogar ein kostenlos downloadbares Buch herausgebracht. Es ist denen gewidmet, "die gescheitert sind, die scheitern werden oder denen, die lügen". Dann folgt eine Anleitung zum Scheitern von "Einen Wettbewerb verlieren" bis zu "Gefeuert werden". Die Idee: sich absichtlich in Situationen begeben, in denen man scheitern kann. Und sich nach dieser Erfahrung dann nicht zurückzuziehen, sondern weiterzumachen. Wut, Verzweiflung oder Schuldgefühle schneller abschütteln.
Aus dem
Scheitern lernen
Was deutlich wird: Öffentliches Scheitern kann nicht nur unterhaltsam sein, es wirkt auch entlastend. Denn die anderen haben eben auch schon Projekte vermasselt, Beziehungen gegen die Wand gefahren oder erfolglos Unternehmen gegründet. Der Mensch ist immer auch ein bisschen Trottel. Das gilt und das ist das Schöne ausnahmslos.
Wie kann man also mit dem Scheitern besser umgehen? Vor allem, indem man seine Haltung gegenüber (vermeintlichen) Niederlagen ändert. Dazu hilft es beispielsweise, sich klarzumachen, dass man aus dem Scheitern lernen kann. Der Philosophie-Professor Ferdinand Rohrhirsch formuliert es gravierender: "Erst die Zumutung, sich dem eigenen Scheitern auszusetzen, eröffnet die Möglichkeit eines selbstbestimmten, glückenden Lebens." Scheitern zwingt einen zuerst zu der unangenehmen Einsicht, wer man nicht ist oder was man nicht kann. Das heißt aber auch: Man lernt sich selbst besser kennen, gewinnt Klarheit und Orientierung. Dadurch könne man selbstbestimmter leben, passendere Entscheidungen treffen. Aufhören mit dem "Ich weiß nicht, was ich tue, aber dafür tue ich es in halsbrecherischer Geschwindigkeit." Rohrhirsch befasst sich auch mit unternehmerischen Aspekten des Scheiterns und geht noch einen Schritt weiter: "Nur wo Scheitern zugelassen wird, kommt Erfolg in den Blick."
Forscher empfehlen außerdem: Schluss mit endloser Grübelei, hin zu "Trial and Error", zu Versuch und Irrtum. Konzentrieren soll man sich dabei auf Handlung statt Erfolg. Carol Dweck ist Psychologin an der Stanford Universität. Sie hat herausgefunden, dass Kinder, die nach einem Test dafür gelobt wurden, dass sie sich bemüht hatten, sich danach an einen schwierigeren Test wagten. Wurden Kinder hingegen für ihre Intelligenz gelobt, suchten sie sich als Nächstes einen leichteren Test aus. Sie wollten sichergehen, weiterhin als schlau angesehen zu werden und das Bild von sich nicht zu gefährden. Wer für sein Handeln statt für seine Eigenschaften gelobt wird, fühlt sich nicht so sehr unter Druck und ist weniger ängstlich. Er ist motivierter, sich neuen Herausforderungen zu stellen.
Letztlich ist Scheitern eine Frage der Bewertung, schreibt Dr. Sebastian Kunert vom Artop Institut an der Humboldt Universität in seinem Buch "Failure Management". Ob man versagt hat oder doch erfolgreich war, hängt maßgeblich vom Standpunkt ab. Vielleicht war es nur ein momentanes Versagen, das sich später als unbedeutend herausstellt. Vielleicht ist es im Vergleich mit dem Scheitern anderer gar nicht so schlimm. Vielleicht entpuppt es sich hinterher sogar als großer Erfolg, wie bei Christopher Columbus. Er wollte eine Westpassage nach Indien erkunden, machte seinen Geldgebern im Vorfeld große Versprechungen und scheiterte dann an schlechtem Kartenmaterial und ungenauen Berechnungen. Stattdessen strandete er in Amerika.
Scheitern kann harte und unbequeme Einsichten bergen. Aber Scheitern kann eben auch schöne Aussichten bergen: auf selbstbestimmtere Entscheidungen und auf ungeahnte Möglichkeiten.
Laura Kutsch