Die vor 115 Jahren geborene Leni Riefenstahl gilt weltweit als eine der wichtigsten Filmemacherinnen des 20. Jahrhunderts. In Deutschland werden ihre Leistungen hinter der Kamera zwar anerkannt, kritisiert wird aber auch ihre Arbeit für das Nazi-Regime.
Das US-Magazin "Time" zählte sie als einzige Frau zu den "100 einflussreichsten und beeindruckendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts". Für die "New York Times" war sie "der größte weibliche Filmemacher aller Zeiten". George Lucas, der im Finale seines "Kriegs der Sterne" unverhohlen die Schlusssequenz des NSDAP-Reichsparteitagsfilms "Triumph des Willens" kopiert hatte, ehrte sie einmal als "die modernste Filmemacherin" überhaupt. Für Lucas Kollegen Quentin Tarantino, der sich im Vorfeld seines 2009 vorgestellten Kriegsfilm-Blockbusters "Inglourious Basterds" ausgiebig mit den 1987 veröffentlichten Memoiren der laut "Emma"-Chefin Alice Schwarzer "umstrittensten Deutschen seit 1945" beschäftigt hatte, war sie "die beste Regisseurin, die jemals lebte. Um das zu erkennen, muss man nur ihre Olympia-Filme sehen".
Mitläuferin und kein NSDAP-Mitglied
Letztere waren 2016 mal wieder Thema einer von der britischen BBC ausgestrahlten Kultur-Sendung. Darin ging es um die Frage, ob man diese Streifen lediglich als perfekte Nazi-Propaganda anzusehen habe oder ob man sie nicht einfach nur als beste Sportfilme überhaupt bewerten könne. Eine klare Antwort blieb die Sendung zwar schuldig, aber immerhin wurde explizit bestritten, dass es sich um ein reines Nazi-Machwerk gehandelt hatte. Die den Film prägenden Symbolik-Sequenzen mit dem Fetisch des Körperkults, der Glorifizierung einer mythischen Vergangenheit oder der Teilung der Welt in miteinander wettstreitende Nationen brauchten nicht zwangsläufig aus der NS-Ideologie abgeleitet zu sein, weil sie schon immer fester Bestandteil der Olympischen Spiele waren und sind.
1955 wurde Riefenstahls Olympia-Werk von einer Gruppe bedeutender Hollywood-Regisseure unter die zehn besten Filme der Geschichte eingereiht. Im Ausland hatte man nach dem Zweiten Weltkrieg weniger Probleme damit, das Werk der "Reichsfilmregisseurin" vor allem nach ästhetischen und künstlerischen Kriterien zu bewerten. In Deutschland sah das ganz anders aus. Zwar bestand auch hier weitgehendes Einvernehmen über die herausragende künstlerische Bedeutung Leni Riefenstahls. Aber ihr wurde der Vorwurf gemacht, dass sie ihre Seele an einen Henker namens Adolf Hitler verkauft, einem verbrecherischen System gedient, dem Faschismus zu kraftvoll-heroischen Bildern verholfen und mit politischer Naivität dem Dritten Reich ihre Kunst geliehen habe.
Sie galt neben dem Schauspieler und Intendanten Gustav Gründgens und dem Bildhauer Arno Breker als das prominenteste Beispiel für die Verführbarkeit des Künstlers durch die politische Macht in Deutschland. Im Unterschied zu Gründgens wartete Riefenstahl vergeblich auf die Absolution und sollte daher im Filmgeschäft nie mehr auf die Beine kommen. Bei ihr brachte man zusätzlich den gravierenden Vorwurf der Uneinsichtigkeit ins Spiel. Zwar hatte sie schon 1948 ihre einstige Bewunderung für Adolf Hitler öffentlich eingestanden "Nie habe ich bestritten, dass ich der Persönlichkeit Hitlers verfallen war. Dass ich das Dämonische zu spät an ihm erkannt habe, ist zweifellos Schuld oder Verblendung" , doch darüber hinaus war sie sich keinerlei Schuld bewusst. Sie bezeichnete sich als "unpolitisch", war der NSDAP nie beigetreten und wurde nach dem Krieg lediglich als "Mitläuferin" eingestuft. Das wollte eine ganze Reihe von Kritikern nicht akzeptieren, weshalb es zu rund 50 Prozessen kam, in denen sich Riefenstahl meist erfolgreich gegen üble Nachrede zur Wehr setzen konnte. Sie stritt den Propaganda-Charakter ihrer Dokumentarfilme stets ab und berief sich auf die Reinheit ihrer ästhetischen Ideale.
Helene Bertha Amalie Riefenstahl wurde am 22. August 1902 in Berlin-Wedding geboren. Da ihr Vater ein florierendes Installationsgeschäft führte, wuchs "Leni" wohlbehütet in gutbürgerlichen Verhältnissen im elterlichen Haus in Zeuthen auf. Das private Kollmorgensche Lyzeum in Berlin-Tiergarten verließ sie 1918 mit der mittleren Reife und nahm hinter dem Rücken ihres strengen Vaters heimlich Tanzstunden. Als Alfred Riefenstahl davon erfuhr, schickte er seine Tochter im Sommer 1919 auf ein Mädchenpensionat in Thale im Harz. Doch schon ein Jahr später war Leni wieder zurück in Berlin und arbeitete bis 1923 als Bürokraft im Betrieb ihres Vaters. Der erlaubte ihr nun nicht nur den Tanzunterricht, sondern bezahlte auch eine klassische Ballettausbildung sowie eine Schulung im Ausdruckstanz. Den letzten Schliff holte sie sich 1923 mit einem halbjährigen Studium bei der legendären Mary Wigman in Dresden. Wenig später konnte sie im Oktober 1923 in München ihr Debüt als Solo-Tänzerin feiern. Der Weg zu einer erfolgreichen Tanz-Karriere schien geebnet, zumal sie von Max Reinhardt für Solo-Auftritte in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin engagiert worden war. Doch dann machte ihr im Sommer 1924 eine schwere Knieverletzung einen Strich durch die Rechnung.
Der erste Kontakt mit der Filmbranche kam eher zufällig zustande, weil für den Ufa-Stummfilm "Wege zu Kraft und Schönheit" anno 1925 mehrere Tänzerinnen gesucht wurden. Den Entschluss, Filmschauspielerin zu werden, fasste Leni wenig später, nachdem sie den Streifen "Der Berg des Schicksals" von Arnold Fanck gesehen hatte. Nachdem sie selbst Kontakt zu dem Bergfilm-Pionier aufgenommen hatte, war dieser von Fräulein Riefenstahl so begeistert, dass er ihr die Hauptrolle in seinem nächsten Film "Der heilige Berg" quasi auf den Leib schrieb. Aus Lenis Zusammenarbeit mit Arnold Fanck sollten auch noch die Bergfilme "Der große Sprung" (1927), "Die weiße Hölle vom Piz Palü" (1929), "Stürme über dem Mont Blanc" (1930) sowie "Der weiße Rausch" (1931) hervorgehen. Während der langen Produktionsmonate weihte der Regisseur seine Lieblingsschauspielerin, die wegen ihrer Bergfilm-Vergangenheit im Dritten Reich den despektierlichen Spitznamen "Reichsgletscherspalte" verpasst bekommen sollte, in alle Geheimnisse des Filmemachens ein.
1931 gründete Riefenstahl ihre eigene Produktionsfirma, deren Erstling "Das blaue Licht" 1932 in die Kinos kam. Aus Kostengründen hatte Leni alles selbst gemacht von der Regie über die Hauptrolle bis zum Schnitt.
Ab 1931 eigene Produktionsfirma
Mit einer Vielzahl von Verfremdungseffekten und wegen seines expressionistischen Inhalts fiel das Werk völlig aus dem Rahmen. Charlie Chaplin war davon ebenso begeistert wie ein gewisser Adolf Hitler, zu dem Riefenstahl im Mai 1932 erstmals direkten Kontakt aufnahm. Im Mai 1933 erhielt sie von Propagandaminister Joseph Goebbels den Auftrag für eine Dokumentation über den fünften Reichsparteitag der NSDAP. Obwohl die Regisseurin mit "Der Sieg des Glaubens" wegen kleinerer Unvollkommenheiten nicht so recht zufrieden war, erhielt sie von Adolf Hitler persönlich den Auftrag, auch den sechsten Reichparteitag Anfang September 1934 wieder zu dokumentieren.
Für "Triumph des Willens" konnte sie aus dem Vollen schöpfen. Sie nutzte die schier unbegrenzten Möglichkeiten für ungewöhnliche Kameraführungen, für innovative Auf- und Untersichtperspektiven, für eine ausgeklügelte Licht- und Tonregie oder für neuartige Schnitt- und Montagetechniken. Und machte sich damit zumindest in den Augen vieler deutscher Nachkriegskritiker zur "begabtesten Propagandistin des Herrenmenschentums", wie es die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich einmal formuliert hatte. Luis Buñuel kommentierte "Triumph" seinerzeit als "ideologisch grauenhaft, aber fantastisch gemacht".
Noch mehr Aufwand konnte Riefenstahl für ihre beiden im Auftrag des IOC produzierten und von den Nazis mit üppigen Mitteln finanzierten Olympia-Filme "Olympia Fest der Völker" und "Olympia Fest der Schönheit" betreiben. Ihre Körper-Inszenierungen sollten später in zahlreichen Werbe- und PR-Filmen aufgegriffen werden. Allein zum Schneiden des rund 400.000 Meter umfassenden Filmmaterials benötigte die Regisseurin 18 Monate, weshalb das Opus erst im April 1938 die deutschen Kinobesucher begeistern konnte. Der zwischen 1940 und 1942 unter Mitwirkung von aus Konzentrationslagern zwangsrekrutierten Roma und Sinti gedrehte Streifen "Tiefland", der erst 1954 mit mäßigem Erfolg in der Bundesrepublik gezeigt wurde, sollte Riefenstahls letzter Spielfilm sein.
Mangels Angeboten aus der Filmbranche wandte sich Riefenstahl ab den 1960er-Jahren der Fotografie zu. Vor allem wegen ihrer Reportagen über den sudanesischen Nuba-Stamm wurde sie international gefeiert. Im Alter von 71 Jahren absolvierte sie eine Tauchausbildung. Sie machte fortan auch noch Unterwasseraufnahmen in tropischen Meeren. Die Bilder wurden der Öffentlichkeit in Buchform zugänglich gemacht, es entstand sogar 2002 noch ein Dokumentarfilm "Impressionen unter Wasser". Am Abend des 8. September 2003 starb Leni Riefenstahl in ihrem Haus in Pöcking am Starnberger See im Alter von 101 Jahren.