Märkische Provinz, janz weit draußen, etwas spießig über Spandau wird oft gelästert. Dabei steckt seine Geschichte voller Geheimnisse. Ein kleiner Einblick.
Spandau investiert. 50 Millionen aus der Städtebauförderung damit kann man schon etwas anfangen. Ein erweitertes Kulturhaus, Künstlerateliers, ein neu gestalteter Marktplatz, die alte Hauptpost, die heute die Volkshochschule beherbergt Helmut Kleebank, dem Bezirksbürgermeister, merkt man den Stolz ein wenig an. Wir wandeln mit ihm ja eigentlich auf den Spuren "seines" Stadtteils aber kaum auf der Straße, will ein Bürger Aktuelles wissen: "Sagense mal, wozu muss denn der Markplatz barrierefrei werden?" Kleebank nimmt sich Zeit, erklärt, dass der Boden an manchen Stellen schräg abfällt, sodass man keine Stände aufbauen kann, und dass jetzt Geld da sei, man wisse ja nicht... Dem Fragesteller reicht das: "Na, dann nehmse das Geld und machense mal."
Es ist nicht das erste Mal, dass der Bezirksbürgermeister, der seit 2011 im Amt ist, bei unserer Stadtführung erkannt wird. Eine alte Dame gratuliert zum neu geborenen Enkel, viele grüßen mit einem "Tach" oder "Hallo". Wir gehen mit Kleebank durch die Spandauer Altstadt, er hat sich bereit erklärt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, etwas zur Geschichte Spandaus zu erzählen.
Spandau ist laut dem Gründungsdokument älter als Berlin
Angefangen hatte er schon im Rathaus: Im Foyer des mächtigen Gebäudes aus dem Jahr 1913 steht eine Bronzeplastik, der Eselreiter von August Gaul, aus dem Park des Gutshauses "Neu-Kladow". Dort traf sich um 1900 ein Künstlerkreis. Später verfiel die Villa, Ende der 30er-Jahre machte die NS-Luftwaffe aus dem Gelände einen militärischen Übungsplatz; da störte der nackte Reiter, er verschwand. Erst in den 50er-Jahren tauchte er wieder auf und die Stadt erwarb ihn. "Heute steht der Eselreiter genau da, wo bis 1945 eine riesige Hitlerbüste prangte, und jedes Kind will einmal darauf herumkrabbeln", sagt Kleebank.
Das Rathaus liegt ein wenig außerhalb der Altstadt, die ganz umgeben ist vom Mühlengraben. Der von der Havel abgeleitete künstliche Wasserlauf diente weniger als Befestigung denn als Transportweg für die Waren der Kaufleute. Die eigentliche Stadtmauer, die im 14. Jahrhundert errichtet und immer wieder ausgebaut wurde, verläuft rund um die Alt- und die später entstandene Neustadt. Ein Stück steht noch am Mühlengraben, beeindruckende sechs Meter hoch.
Spandau ist eine Wasserstadt: Von Norden kommend bildet die Havel erst den Spandauer See und fließt dann durch die Schleuse an der Altstadt vorbei, um sich gleich darauf wieder in eine Seenlandschaft zu verbreitern. Vom Osten her mündet die Spree samt einem Altarm in die Havel. Überall wimmelt es von Wassergräben und "Werdern", also Inseln oder kleine Erhebungen in einem Feuchtgebiet. Auch die Spandauer Zitadelle ist ganz vom Wasser umgeben.
Wieso brauchte man bei so vielen Gräben und Flussläufen noch eine Stadtmauer? Zum einen holten sich die Brandenburger Markgrafen im 12. Jahrhundert immer wieder christliche Siedler ins Land, die die heidnischen Slawen bekehren sollten. Schon früh entstand eine befestige Burganlage. Zum anderen hatte sich Spandau bis zum 14. Jahrhundert zu einer blühenden Handelsstadt entwickelt, die sich schützen musste. 1594 wurde die Zitadelle errichtet, im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) zog eine Garnison in Spandau ein. Es blieb nicht dabei. Kasernen und Festungen, das Militär, wurden zu dem bestimmenden Faktor für die Stadt.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts ließ der "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. an der Spreemündung eine Gewehrfabrik errichten. Eine Geschossfabrik, eine Geschützgießerei und eine Artilleriewerkstatt folgten später, auf der Insel Eiswerder eine Munitionsfabrik. Rundherum die mit Bastionen bewehrte Stadtmauer.
Auch später noch, als die Mauer längst ausgedient hatte, blieb Spandau eine Waffenschmiede. Das erste deutsche Maschinengewehr ging in Spandau in Serie. Es wurde 1917 unter der Bezeichnung 08/15 an das kaiserliche Heer ausgeliefert, eine Abkürzung, die zu einer Redewendung für etwas ganz Gewöhnliches, nichts Besonderes wurde.
Kriegerisch geht es heute in der Havel- und Zitadellenstadt längst nicht mehr zu. Allerdings zeugt das Stadtwappen, wie uns Helmut Kleebank erklärt, noch von dieser Vergangenheit: Die Zinnen am oberen Rand, die beiden Türme, der Helm mit Federbusch deuten auf diese Epoche hin. "In der Mitte prangt das Brandenburger Wappen mit dem roten Adler. Das Wasser darunter steht für den Zusammenfluss von Spree und Havel."
Das Wappen geht auf ein Siegelbild aus dem Jahre 1282 zurück. Die heute als Stadtgründungsdokument angesehene Urkunde ist sogar noch älter sie stammt vom März 1232. Damit läge Spandau knapp vor Berlin: Cölln, der eine Teil der Doppelstadt Berlin-Cölln, wurde 1237 erstmals urkundlich erwähnt. "Hat uns aber nichts genutzt 1920 wurde Spandau als achter Bezirk von Berlin eingemeindet", schmunzelt Bürgermeister Kleebank.
Ein gespaltener Granitblock erinnert an die alte Synagoge
Gerade haben wir den Marktplatz verlassen, da stehen wir schon unvermittelt vor dem Gotischen Haus an der Breiten Straße, einem Bau aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Das typische Netzrippengwölbe im Erdgeschoss zieht die Blicke nach oben. "Hier baute sich ein Kaufmann ein steinernes Haus im gleichen Stil wie eine Burg oder eine Kirche", erläutert Kleebank, "das war damals ungewöhnlich und lässt darauf schließen, dass der Mann Geld hatte." Heute sind in dem Haus eine Galerie, ein kleines Museum und die Touristeninformation untergebracht.
Über den Mühlengraben geht es zur Schleuse und nach Behnitz, das älteste Stück Spandaus: enge Gassen, niedrige Häuschen, Fachwerk. Die St. Marienkirche ist die zweitälteste katholische Kirche im Raum Berlin. "Ein vermögendes Ehepaar aus Neukölln hat sie 2001 gekauft und auf eigene Kosten sorgfältig restaurieren lassen", erklärt der Bürgermeister.
Doch katholisch ist es sonst eher selten: Am Brauhaus "Spandauer Havelbräu" vorbei, das in der ehemaligen Garnisonswaschanstalt untergebracht ist, führt der Weg zurück in die Altstadt direkt auf den Reformationsplatz. Hier hält Kurfürst Joachim II. Wacht, der 1539 zum Protestantismus übertrat und mit ihm sein ganzes Land Brandenburg. Hinter Joachim ragt die Nikolaikirche in die Höhe. 1323 wurde mit dem Bau begonnen. Die dreischiffige gotische Halle ist noch im Original erhalten. Der Turm, der mehrmals abbrannte, erhielt 1744 eine barocke Haube. Links vom Portal in halber Höhe steckt noch eine Kanonenkugel aus der französischen Belagerung im Jahre 1813. Den Renaissance-Altar stiftete 1582 der Graf zu Lynar, der Baumeister der Spandauer Zitadelle.
Dieser Graf hieß eigentlich Rochus Guerini, kam aus der Toskana und lebte als gefragter Architekt in Frankreich, bis er wegen seines protestantischen Glaubens fliehen musste. Die Sachsen nahmen ihn auf. Das Dresdner Zeughaus stammt von ihm, später hat er am Berliner Schloss mitgewirkt, sämtliche Spandauer Befestigungsanlagen unterstanden ihm. In Spandau baute er sich in der Altstadt auch ein schlossartiges Wohnhaus. 100 Jahre später machten Preußens Kurfürsten daraus ein Zuchthaus und Ende des 19. Jahrhunderts schließlich eine Kaserne. 1906 riss ein Bauherr alles ab und errichtete an der Stelle Wohnhäuser.Auch eine jüdische Gemeinde muss es bereits zu Anfang des 14. Jahrhunderts gegeben haben. Am Lindenufer, im Westen der Altstadt, stand die Synagoge Spandaus. Im Jahr 1895 wurde sie eingeweiht.
Das geschäftliche Leben in Spandau prägte um die Jahrhundertwende die aus Posen zugezogene jüdische Familie Sternberg. Julius Sternberg, der Enkel des Gründers, führte mit großem Erfolg ein Kaufhaus an der Breiten Straße. In den 30er-Jahren arbeiteten dort bis zu 100 Angestellte. Sternberg war Arbeitsrichter, führend in der Industrie- und Handelskammer und musste doch 1938 alles verkaufen und flüchten. Die Synagoge brannte im gleichen Jahr bis auf die Grundmauern ab, in der Pogromnacht hatten SA-Männer aus Spandau sie angezündet.
Heute erinnert ein gespaltener dunkler Granitblock an den Ort. "Wir haben später noch eine Backsteinmauer an das Mahnmal angeschlossen. Auf den Steinen stehen alle Namen der ermordeten Juden in Spandau", erläutert Bürgermeister Kleebank. Die Gedenktafel für die Sternbergs ließ er an der Anlegestelle am Lindenufer anbringen, dort, wo viele Touristen in die Ausflugsschiffe aus- und einsteigen.
Inzwischen ist es dunkel geworden, der Blick geht zurück zum Rathaus. Helmut Kleebank zeigt auf die Charlottenbrücke. "Das ist unser jüngstes historisches Projekt", erklärt er. "Spandau im Westen Berlins war in den letzten Kriegstagen ein Fluchtpunkt. Rings um die Stadt standen Truppen, überall wurde gekämpft, besonders im Osten und im Süden. Die Menschen strömten also nach Westen und über diese einzig noch intakte Brücke und wurden doch immer wieder beschossen, mal von den Russen, mal von fanatischen SS-Einheiten, auch aus dem Turm des Rathauses." Zwölf Zeitzeugen hatten erzählt, wie das damals war. Vom besagten Rathausturm leuchtet es jetzt rot eine Spende von Osram macht es möglich. "Wenn Hertha gewinnt, leuchten wir auch mal blau", sagt Kleebank. Spandau hat noch viele historische Geheimnisse zu bieten: Da wäre der Juliusturm in der Zitadelle, wo nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 viel Gold eingelagert war; der "Knüppelkrieg" 1566 der Spandauer gegen die Berliner, eine Seeschlacht auf der Havel (Ausgang: unentschieden); die Geschichte von Carl Schurz, 1848er Radikaldemokrat und später Senator in den USA.
Spandau ist nicht Berlin, aber auch nicht "jott we deh": Der Regionalexpress braucht 14 Minuten bis zum Potsdamer Platz, die U7 knapp eine halbe Stunde bis nach Kreuzberg. Es ist das Flair einer märkischen Kleinstadt direkt vor den Toren Berlins, das Spandau ausmacht mit seinen vielen Wasserflächen, Uferpromenaden und stillen Waldwegen. Und natürlich seiner reichen und abenteuerlichen Geschichte.
Von Volker Thomas
Info:
Spandau ist flächenmäßig der viertgrößte Berliner Bezirk, bevölkerungsmäßig aber mit knapp 240.000 Einwohnern der kleinste. Zum Bezirk gehören außer dem namensgebenden Spandau die Ortsteile Haselhorst, Siemensstadt, Staaken, Gatow, Kladow, Hakenfelde, das Falkenhagener Feld und die Wilhelmstadt. Bekannt ist Spandau wegen seiner Industrieansiedlungen: Siemens, Osram, das BMW-Motorradwerk, Dr. Mann Pharma und andere. Die Arbeitslosigkeit beträgt 11,6 Prozent, der Ausländeranteil liegt bei 11,5 Prozent.