Als Züchter unserer treuesten Begleiter Pferd und Hund hat sich der Mensch als hochproduktiv erwiesen. In Sachen Gen-Design lief es allerdings weniger gut. Durch Genmutation wurden nicht nur positive Merkmale gefördert, sondern auch negative Charakteristika wie Erbkrankheiten.
Bei dem Mann, der vor 2.300 Jahren mit allen Ehren im Altai-Gebirge, im heutigen Kasachstan gelegen, bestattet wurde, muss es sich fraglos um eine herausragende Kriegergestalt des geheimnisumwobenen Reiternomadenvolks der Skythen gehandelt haben. Denn ansonsten hätte man ihm wohl kaum gleich elf prächtige Hengste als Grabbeigaben beigelegt. Dank des Permafrostbodens waren die Erbgutproben der Tiere sehr gut erhalten und konnten daher für eine fundierte wissenschaftliche Untersuchung zur Frühphase der Pferde-Domestizierung genutzt werden. Die Ergebnisse der Studie, an der insgesamt 33 Forscher unter Leitung des Geogenetikers Ludovic Orlando von der Universität Kopenhagen beteiligt waren, wurden kürzlich im Fachmagazin "Science" veröffentlicht. Dabei wurden neben den besagten elf Pferden auch noch die DNA-Proben zweier Hengste, die vor 2.700 Jahren in der Region lebten, und einer Stute, die vor 4.100 Jahren im heutigen russischen Bezirk Tscheljabinsk graste, bei der Forschungsarbeit berücksichtigt. Die Stute entstammte übrigens der Sintaschka-Kultur, die die ersten von Pferden gezogenen Streitwägen entwickelt hatten.
Seit 2.000 Jahren "Haremsprinzip"
Die Domestizierung der Pferde hatte vor rund 5.500 Jahren im heutigen Kasachstan begonnen. Die Forscher wollten daher der Frage auf den Grund gehen, ob die Skythen etwa drei Jahrtausende später schon eine gezielte Zucht betrieben oder ob sie bei ihren Herden auf bloße Reproduktion gesetzt hatten. Die Pferde der Skythen waren genetisch noch deutlich vielfältiger als ihre heutigen Nachfahren. Die Wissenschaftler konnten bei den untersuchten Proben keinerlei Spuren von Inzucht feststellen. "Die Skythen wussten um deren Gefahr und haben sie bewusst vermieden", erklärt der Genetiker und Studien-Mitautor Arne Ludwig vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Die Skythen hatten daher noch keine starre Linienzucht betrieben, sondern die natürlichen Herdenstrukturen erhalten und auch belebende Mischungen mit Wildpferden ermöglicht. Dadurch konnten sie schädliche Erbgut-Veränderungen offenbar ganz gezielt vermeiden.
Dennoch ließ sich nachweisen, dass bereits die Skythen frühe Pferdezucht betrieben. Es wurden Tiere mit breiter Brust, starken Muskeln, festen Knochen in den Vorderbeinen, einem leistungsfähigen Herz-Kreislauf-System, niedrigem Wasserbedarf und hoher Milchleistung (die Skythen liebten Stutenmilch auf ihrem täglichen Speiseplan) gefördert. Insgesamt konnte das Forscherteam 121 Gene identifizieren, für die die Skythen bei der Zucht offensichtlich selektierten. Dabei hinfen die meisten Gene mit der Entwicklung der Vorderbeine zusammen, weil die Skythen bei ihren Pferden eine robuste Statur bevorzugten. Aber auch ästhetische Gesichtspunkte spielten schon damals eine große Rolle, wie die Fellfarbe. Mit kaum etwas ließen sich Rang und Bedeutung des Besitzers aussagekräftiger zur Schau stellen als mit einem stattlichen Pferd samt glänzendem Fell. Außerdem stießen die Forscher auf eine Genvariante, die bei heutigen Rennpferden mit der Sprint-Leistung zusammenhängt. Offenbar hatten die Skythen bei ihren Pferden eine Spezialisierung vorgenommen. "Sie hatten zwei getrennte Zuchtlinien für Sprinter und für eine hohe Ausdauerleistung", erklärt Arne Ludwig. Die Sprinter wurden wahrscheinlich auf der Jagd eingesetzt, die Dauerläufer waren nötig, um die weiten Strecken des vom heutigen Ungarn bis zur Chinesischen Mauer reichenden Riesenreiches bewältigen zu können.
Erst vor gut 2.000 Jahren begann sich die heute gängige Praxis des "Haremsprinzips" zu entwickeln. Bei diesem wurde in der Zucht nur auf wenige männliche Tiere gesetzt, was starke Inzucht zur Folge hatte. Nur wenige Hengste dürfen Nachkommen zeugen. Dadurch können sich erwünschte Merkmale oder positive Eigenschaften rasch und nachhaltig in einer Population ausbreiten, aber gleichzeitig auch negative Charakteristika wie Krankheiten verursachende Mutationen oder Erbkrankheiten. "Das akzeptieren wir heute bei unseren Haustieren, weil wir gute Tierärzte und Haltungsbedingungen haben", so Arne Ludwig. Die zunehmende Inzucht hat jedenfalls die genetische Konstitution der Pferde deutlich geschwächt. "Heute tragen nahezu alle domestizierten Pferde dieselben oder sehr ähnliche Y-Chromosom-Haplotypen, sind also fast alle miteinander verwandt", stellt der Genetiker und Studien-Mitautor Tosso Leeb von der Universität Bern klar.
Heute sind fast alle Pferde verwandt
Dennoch nimmt das Pferd im Reigen der Domestizierungsversuche durch den Menschen eine Sonderstellung ein. Anders als es die "Hypothese von den Kosten der Domestikation" besagt, ging bei ihm die Wandlung zum Haustier nicht von Anfang an auf Kosten der Fitness. Bei Hunden war dies hingegen schnell der Fall. Was damit zusammenhängen dürfte, dass das Pferd noch immer offiziell zu den Nutztieren gezählt wird und von ihm eine entsprechende Leistung erwartet wird. Beim Hund, der früher als Jagd- oder Wachhund auch Nutztier-Funktion innehatte, ist das inzwischen gänzlich anders. "Hunde sind keine Nutztiere", so die österreichische Populationsgenetikerin und Hundezucht-Expertin Irene Sommerfeld-Stuhr von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. "Auch wenn ich Hunde nicht generell als Nichtsnutze bezeichnen will, so sind doch in den meisten Fällen die Anforderungen, die an Hunde gestellt werden, eher im emotionalen Bereich zu finden als im Bereich körperlicher Leistungsfähigkeit."
Das war in der langen, je nach Schätzungen 40.000 bis 100.000 Jahre alten Co-Evolution von Mensch und Hund schon mal ganz anders gewesen. Niemand wäre in früheren Zeiten auf die Idee gekommen, sich einen Hund einfach nur so, zur eigenen Freude oder Unterhaltung, zu leisten. Hunde mussten Leistungen erbringen. Wobei die Jagdqualitäten von den Hüte- und Schützerqualitäten neuer Hunderassen ergänzt wurden. Diese erste "Züchtungswelle" liegt schon Jahrtausende zurück, wobei eine gezielte Selektion lange Zeit nicht stattfand. "Die Selektion beruhte vor allem darauf, dass Hunde, die in den erwarteten Leistungen erfolgreich waren, besser versorgt wurden und damit einfach bessere Chancen hatten, zur Fortpflanzung zu kommen", erklärt Sommerfeld-Stuhr. "Kaum einer konnte es sich leisten, Hunde, die nichts taugten, weiter durchzufüttern. Sie wurden sich selbst überlassen oder getötet, und damit sank ihre Chance auf Fortpflanzung. Diese simple, aber bewährte Selektionsstrategie änderte sich erst mit der Einführung der verbandsmäßigen Rassehundezucht."
"Monstren" gezüchtet
Sprich: Die eigentliche Zunahme der Hunde-Rassenvielfalt ist ein vergleichsweise neues Phänomen, gestartet eigentlich erst in den letzten 200 Jahren, wie eine neue Studie amerikanischer Hundegenomforscher wieder unter Beweis stellte, die im Magazin "Cell Reports" veröffentlicht wurde. Darin präsentierten die Forscher die bislang detailreichste Stammtafel von 161 weltweit verbreiteten Hunderassen und listeten anstelle der zehn von Züchtungsverbänden "offiziell" anerkannten Hauptrassegruppen 23 Schwerpunkt-Zuchtlinien im Stammbaum der Hunderassen auf. Die Wissenschaftler konnten auf Basis des Genmaterials von insgesamt 1.346 Hunden nachweisen, dass erst seit dem Viktorianischen Zeitalter die hauptsächliche Jäger-Wächter-Funktion gezielt bei der Zucht hinter Kriterien wie Aussehen oder besonderen Charaktereigenschaften ins Hintertreffen geriet.
"Aus einem Prototyp mit funktionell angepasstem Körperbau wurden in vielen Rassen Monstren herausgezüchtet", erklärt Sommerfeld-Stuhr. "Extrem groß, extrem klein, extrem kurzbeinig, extrem kurznasig, extrem faltig, extrem gefärbt, extrem kurzlebig. Und aus großen Populationen mit mehr oder weniger natürlichen Selektionsbedingungen und weitgehender Zufallspaarung wurden kleine bis kleinste geschlossene Populationen gemacht, in denen die Inzucht traurige Rekorde feiert." Viele der Neuzüchtungen haben den betroffenen Tieren wenig Glück gebracht, weil sie offensichtlich auch schädliche Genmutationen vervielfältigt haben. Mit Erbanlagen, die in einer regelrechten genetischen Abwärtsspirale das Auftreten von Nierenleiden, Diabetes, Epilepsie oder Krebs deutlich befördert haben.
Peter Lempert