Die einen befürworten Impfungen jeglicher Art nach dem Motto "Vorsorge ist besser als Nachsorge", andere wiederum vertrauen auf die eigenen natürlichen Abwehrkräfte. Die Experten Dr. Hans-Jürgen Schrörs, Impfbefürworter, und Hans U. P. Tolzin, Impfkritiker, erklären, was für und gegen das Impfen spricht.
"Wir haben eine gesellschaftliche Verpflichtung"
Impfbefürworter Dr. Hans-Jürgen Schrörs ist Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung der Impfmedizin, Berlin. Der Facharzt für Allgemeinmedizin ist Lehrbeauftragter der Ludwig-Maximilians-Universität München und beteiligt sich an Versorgungsstudien zum Thema Impfen. Er ist zudem Herausgeber der WHO-zertifizierten Onlinezeitschrift www.impfbrief.de.
Herr Schrörs, das Thema Impfen ist für Sie eine Art Berufung. Warum engagieren Sie sich so?
Vor etwa 15 Jahren erkrankte ich an der Grippe (Influenza Typ B) und zog mir dabei einen Herzmuskelschaden zu. Langjährige gesundheitliche Einschränkungen und sechs Herzeingriffe zwangen mich zur Aufgabe meiner Praxis.
Moderne Impfstoffe sind ziemlich sicher
Als Arzt müssten Sie doch über die Gefährlichkeit der Influenza-Viren Bescheid gewusst haben? Warum haben Sie sich nicht vorher impfen lassen?
Wie viele meiner Kollegen habe ich das Impfen für mich selbst nicht so wichtig genommen. Ich habe mich aber immer schon mit dem Impfen beschäftigt, vor allem im Bereich Reisemedizin. Heute ist man klüger. Eine Influenza ist alles andere als harmlos. Das zeigen auch die Zahlen. Allein in Deutschland schätzt man, dass mehr als 10.000 Menschen während einer Grippe-Epidemie an den Komplikationen wie etwa einer Lungenentzündung sterben. Impfpraxen sind übrigens auch unsere Hauptzielgruppe. Teilweise sind sie unzureichend informiert. Andererseits ist die Beratung der Patienten nicht immer optimal, oft fehlt es an der Zeit. Für eine Impfberatung werden Ärzte nicht bezahlt. Es gibt aber noch viele weitere Impfhindernisse, wie zum Beispiel komplizierte Abrechnungssysteme. Ganz zu schweigen von den Mühlen der Bürokratie.
Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam?
Das kann man so sagen. Wenn die ständige Impfkommission Empfehlungen herausgibt, müssen diese erst vom gemeinsamen Bundesausschuss legitimiert werden. Darüber vergeht meistens ein halbes Jahr. Der bürokratische Berg ist vielschichtig.
Es gibt öffentliche Empfehlungen auf der einen Seite und Verordnungen der Kassen andererseits. Die Zahlungspflicht der Krankenkassen deckt sich oft nicht mit den Empfehlungen, wenn man zum Beispiel an die Influenza-Impfstoffe denkt. Dann wieder gibt es Unterschiede zwischen Bundes- und Länderempfehlungen oder zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den kassenärztlichen Vereinigungen. Das macht alles sehr kompliziert und ist kontraproduktiv für die Impfprävention.
Es gibt eine gewisse Impfmüdigkeit. Viele sind misstrauisch.
Es ist immer ein Abwägen. Welches Risiko ist höher? Das der Impfung oder das der Erkrankung? Auch da sprechen die Zahlen eine klare Sprache. Das Risiko einer Schädigung liegt bei einigen Impfungen bei 1:1 Million. Bei der Erkrankung liegt das Risiko aber bei 1:1.000. Viele vergessen, dass auch die als "harmlos" eingeschätzten Kinderkrankheiten schwere gesundheitliche Schäden verursachen können. Zum Beispiel gibt es, wenn auch selten, den kindlichen Schlaganfall nach Windpockenerkrankungen. Trotzdem haben viele mehr Angst vor Impfungen, besonders vor den Zusatzstoffen im Impfserum. Die modernen Impfstoffe aber verursachen so gut wie keine ernsten Komplikationen mehr.
Weshalb aber kursieren Gerüchte, durch Impfungen könnte Autismus oder Multiple Sklerose ausgelöst werden?
Das Autismus-Gerücht hat sich im Nachhinein als Betrugsversuch eines Arztes herausgestellt. Die in England veröffentlichte Studie von Andrew Wakefield, so hieß der Arzt, war nachweislich gefälscht. Dem Arzt wurde mittlerweile die Zulassung entzogen. Was die Multiple Sklerose betrifft, empfehlen viele MS-Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen zum Beispiel die Grippeschutzimpfung. Denn durch schwere Infektionen können neue Schübe ausgelöst werden.
Aber die Ängste halten sich hartnäckig.
Leider. Aus Angst sind gerade Frauen im gebärfähigen Alter schlecht gegen Keuchhusten und Masern geschützt. Viele junge Frauen wollen sich nicht gegen das HPV-Virus impfen lassen, welches Gebärmutterhalskrebs auslösen kann. Jede Frau kann sich damit infizieren. 2.000 bis 3.000 Frauen sterben jährlich an Gebärmutterhalskrebs, dazu kommen viele Operationen bei denen die Gebärmutter ganz oder teilweise entfernt wird. Auch das ist mit Risiken verbunden.
Geringe Wirksamkeit der Grippe-Impfung
Viele wollen sich nicht gegen die Grippe impfen lassen, weil sie meinen, dass sie nicht zu den Risikogruppen gehören, und auch, weil der Impfstoff keine Immunität garantiert.
Wir wissen, dass auch gesunde Personen, insbesondere aber Kinder und ältere Menschen schwere Verläufe aufweisen können. Die Grippeimpfung ist nicht ganz so wirksam wie andere Impfungen. Aber mit einer Wirksamkeit von 50 bis 80 Prozent je nach regionalem Erreger, bietet sie doch einen ganz guten Schutz. Der Schutz könnte noch besser sein, wenn die Kassen den etwas teureren Impfstoff, in dem alle Erregertypen enthalten sind, zahlen würden. Dieser Impfstoff wird übrigens auch von der WHO empfohlen. Doch die Kassen haben sich für die kostengünstige Variante entschieden und übernehmen die Kosten für den viervalenten Impfstoff nur für Schwerkranke.
Kann eine Influenza-Impfung eine Grippe hervorrufen?
Nein, die eingesetzten Impfstoffe können keine Influenza hervorrufen. Das haben große Untersuchungen gezeigt. Wenn jemand eine echte Grippe bekommt, obwohl er geimpft ist, kann das daran liegen, dass er mit dem Virus infiziert wurde, bevor sich der Schutzeffekt aufgebaut hat. Der Eintritt des Impfschutzes kann bis zu zwei Wochen dauern.
Insbesondere Anthroposophen behaupten, dass Kinder geistig und körperlich reifen, wenn sie zum Beispiel die Masern durchmachen.
Leider ist das Gegenteil der Fall. In großen internationalen Studien mit Millionen von Daten wurde kürzlich nachgewiesen, dass Masern das Immunsystem so stark schädigen, dass bis zu dreieinhalb Jahre nach der Infektion noch Abwehrschwächen auftreten. Dadurch können sich andere schwere Infektionen breitmachen. Bei Menschen, die Masern hatten, treten in dieser Zeit mehr Todesfälle auf, als bei Menschen die nicht erkrankt oder geimpft waren.
Impfgegner ruhen sich leider oft darauf aus, dass andere sich impfen lassen. Ich weiß von Waldorfschülern, die sich partout nicht impfen lassen wollten. Als es aber darum ging, im Ausland zu studieren, war ihnen plötzlich die Ausbildung wichtiger als ihre Anschauung. Impfen ist zwar eine individuelle Entscheidung, aber gleichzeitig haben wir auch eine gesellschaftliche Verpflichtung, uns impfen zu lassen, um Risikogruppen wie Säuglinge, alte Menschen, Schwangere oder Krebskranke vor einer Ansteckung zu schützen.
"Mich überzeugt zurzeit kein einziger Impfstoff"
Der Impfkritiker Hans U. P. Tolzin ist Medizin-Journalist und Autor von Sachbüchern wie "Macht Impfen Sinn?", "Die Seuchen-Erfinder" und "Die Tetanus-Lüge". Seit 2005 gibt Tolzin die Zeitschrift "Impf-Report" heraus und leitet das "Netzwerk für unabhängige Impfaufklärung (NFUNI)". Außerdem hält der Vater von zwei Kindern regelmäßig Vorträge und gibt Seminare zu den Themen Impfentscheidung und Injektionskrankheiten.
Herr Tolzin, würden Sie Ihre Kinder impfen lassen?
Meine Töchter wurden zunächst gegen die angeblich wichtigsten Infektionskrankheiten geimpft. Nachdem ich mich dann näher mit dem Thema beschäftigt habe, nicht mehr. Grundsätzlich ist der Gedanke der Vorsorge gegen Infektionskrankheiten und deren schwere Verläufe gut und richtig. Nur gibt es derzeit keinen einzigen Impfstoff, der mich überzeugt. Dazu müsste durch Placebo-kontrollierte Doppelblindstudien belegt sein, dass Geimpfte einen deutlichen gesundheitlichen Vorteil gegenüber Ungeimpften haben. Solche Studien gibt es nicht. Alles, was es gibt, ist der Anstieg eines Laborwerts, des sogenannten Antikörpertiters, durch die Impfung.
"Ich bezeichne mich als Impfkritiker, nicht als Impfgegner"
Was genau hat Sie zum Impfgegner werden lassen?
Ich bezeichne mich als Impfkritiker, nicht als Impfgegner. Mitte der 90er-Jahre begann ich medizinkritische Literatur zu lesen, was zunächst ein starkes Unbehagen in Bezug auf Impfungen erzeugte.
Ich hätte damals aber nicht wirklich argumentieren können. Dann fand 1999 ein impfkritischer Kongress in meiner Nähe statt, den Angelika Müller von "EFI Eltern für Impfaufklärung" organisiert hatte. Das, was ich dort von den referierenden Ärzten und Experten hörte, erschütterte mich derart, dass ich anfing zu recherchieren.
Und was haben Sie herausgefunden?
Ob der Antikörpertiter, der bei den meisten Geimpften nachweislich ansteigt, wirklich mit mehr Gesundheit einhergeht, konnten mir die zuständigen Bundesbehörden nicht sagen entsprechende Langzeitstudien gibt es schlichtweg nicht. Das ist sicherlich der wichtigste Grund für mich, ein gesundes Kind nicht dem Risiko von Nebenwirkungen auszusetzen. Ich weigere mich, eine fragwürdige medizinische Maßnahme in blindem Glauben an Massenmedien, Ärzte und Politiker zuzulassen. Um eine mündige Einwilligung geben zu können, muss man mich mit Fakten überzeugen.
Aber es wird doch immer mit diversen Studien und Zahlen argumentiert. Das Risiko einer Schädigung sei bei einer Impfung tausend Mal geringer als bei einer Erkrankung, heißt es.
Die Aussagen der Behörden und Impfexperten sind widersprüchlich, manchmal geradezu schizophren. Wenn man genauer hinschaut, wie die Datengrundlage für solche Aussagen zur Impfstoffsicherheit aussieht, so kommt regelmäßig dabei heraus, dass sie schlichtweg nicht ausreicht, um belastbare Angaben zu machen: Die Zulassungsstudien sind zu klein, außerdem nehmen ja nur gesunde Personen an ihnen teil. Wie sich die Impfungen bei chronisch Kranken auswirken, wissen wir einfach nicht.
Die Dunkelziffer ist unbekannt. Meiner Schätzung nach wird maximal ein Promille aller möglichen Impfkomplikationen überhaupt als solche erkannt und gemeldet. Bei 4.125 Meldungen allein im Jahr 2015 wären das über vier Millionen mögliche Impfvorfälle.
Die Hersteller wurden von der Haftung befreit warum sollte sich denn ein Hersteller mehr um die Sicherheit seiner Impfstoffe bemühen als unbedingt notwendig? Nehmen wir die unverbindlichen europäischen Richtlinien für die Impfstoffsicherheit etwa der Masernimpfung: Demnach gilt ein neuer Impfstoff, der in Deutschland jährlich nicht mehr als 600 Todesfälle verursacht, als "sicher".
Aber können nicht die so "harmlosen" Kinderkrankheiten noch schlimmere gesundheitliche Schäden verursachen?
Natürlich gibt es vereinzelte schwere Verläufe bei den sogenannten Kinderkrankheiten. Jedoch: Die Sterberate bei Masern sank zwischen 1900 und dem ersten Impfstoff in den 60er-Jahren um etwa 99 Prozent! Das muss Gründe haben, über die man doch nicht einfach hinweggehen kann. Außerdem liegt der Anteil der Klinikeinweisungen aufgrund von Masern bei herkömmlichen Ärzten zwischen zehn und 20 Prozent, in naturheilkundlichen Praxen jedoch bei nahezu null Prozent. Die Hauptursache dürfte das hemmungslose Fiebersenken sein.
Zugelassene Impfstoffe sollten überprüft werden
Was würden Sie am Gesundheitssystem ändern?
Die Zulassungsvoraussetzungen für neue Impfstoffe müssen verschärft werden, wie dies bereits etwa 300 Ärzte und Apotheker der Initiative der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für unabhängige Impfaufklärung (DAGIA) vorschlagen. Bereits zugelassene Impfstoffe müssen innerhalb einer Frist neu überprüft werden. Das Meldesystem für Impfkomplikationen muss aus der Zulassungsbehörde herausgenommen werden, da hier Interessenskonflikte bestehen. Die Meldepflicht muss der Ärzteschaft wesentlich stärker bewusst gemacht werden. Dann muss endlich dafür gesorgt werden, dass der Kinderarzt das Aufklärungsgespräch, zu dem er gesetzlich verpflichtet ist, auch dann mit der Krankenkasse abrechnen kann, wenn sich keine Impfung an das Gespräch anschließt.
Kann durch Impfen wirklich Autismus oder Multiple Sklerose ausgelöst werden?
Die Fakten und Beobachtungen sind eindeutig, auch wenn unabhängige Wissenschaftler, die dem nachgehen, systematisch diskreditiert werden. Der Skandal um einen leitenden Mitarbeiter der US-Seuchenbehörde CDC, der öffentlich zugab, im Auftrag seiner Vorgesetzten eine entsprechende Studie im Nachhinein manipuliert zu haben, weil die Ergebnisse "unerwünscht" waren, spricht für sich.
Haben Sie keine Angst, dass schlimme Krankheiten wie Polio, Keuchhusten und Diphterie wiederkommen und epidemiehaft auftauchen?
Dazu ein klares Jein. Es gibt keine einzige Infektionskrankheit, bei der die bloße Anwesenheit des Erregers ausreicht, um die Krankheit auszulösen. Es müssen also immer noch andere krankmachende Faktoren dazukommen. So gibt es einen bemerkenswerten statistischen Zusammenhang zwischen Pestiziden und Polio. Ich persönlich habe keine Angst vor Polio, Keuchhusten und Diphtherie, weil ich mich gesund ernähre und mich ausreichend mit Vitaminen versorge, denn das ist meiner Ansicht nach mitentscheidend für die Empfänglichkeit. Wir wissen heute, dass wir aus mehr Bakterien und Viren bestehen als aus eigenen Körperzellen. Ohne Bakterien wären wir gar nicht überlebensfähig. Da haben wir noch eine Menge Forschung und sicher so manche Überraschung vor uns.
Daniela Noack