Charles Lindbergh war 1927 der erste Mensch, der den Atlantik im Alleinflug überquerte. Für die 5.808 Kilometer lange Strecke von New York nach Paris benötigte er mit seiner Maschine "Spirit of St. Louis" insgesamt 33 Stunden und 30 Minuten. Seine fliegerische Leistung und sein nonchalantes Auftreten machten Lindbergh zum amerikanischen Helden jedoch zu einem mit Schattenseiten.
Er war erst Held und später Buhmann; Flugpionier, Pulitzer-Preisträger und Antisemit; er bekam die Medal of Honor, die höchste militärische Tapferkeitsauszeichnung der USA, ebenso überreicht wie das von Adolf Hitler gestiftete Großkreuz des Deutschen Adlerordens. Charles Lindbergh war ein Mann mit vielen Facetten. Nur eines war er nicht, auch wenn das oft so dargestellt wird: Lindbergh war nicht der erste Mensch, der mit dem Flugzeug von Amerika nach Europa flog.
Jedes Gramm Gewicht wurde eingespart
Das hatten vor ihm schon 66 andere geschafft, als erste bereits im Juni 1919 die beiden Briten John Alcock und Arthur Whitten Brown. Doch Lindbergh war am 20./21. Mai 1927 der erste Mensch, der den Atlantik im Alleinflug überquerte. 33 Stunden und 30 Minuten benötigte er für die 5.808 Kilometer lange Strecke von New York nach Paris. Damit gewann Lindbergh auch den vom New Yorker Hotelier Raymond Orteig ausgeschriebenen Orteig-Preis, der 25.000 US-Dollar für den ersten Nonstopflug zwischen diesen beiden Metropolen gestiftet hatte.
Charles Lindbergh, damals 25 Jahre alt, war zuvor schon Stuntman und Postflieger gewesen, als er vom Orteig-Preis erfuhr und die Herausforderung annahm. "Ich kenne die Windwirbel um die Rocky Mountains und die Stürme im Tal des Mississippi. Warum sollte ein Flug über den Atlantik nicht genauso gut möglich sein?" Doch noch fehlte ihm ein Flugzeug. In der Freimaurerloge in St. Louis, der Lindbergh angehörte, fand er Sponsoren die Maschine bekam daher den Namen "The Spirit of St. Louis".
Konstruiert hatte sie der kleine und ziemlich unbekannte Flugzeughersteller Ryan Airlines aus San Diego, der Lindbergh in nur zwei Monaten eine Maschine nach seinen Wünschen baute. "An erster Stelle stehen Flugleistung und Maximalgewicht, an zweiter die Stabilität, an letzter mein Komfort", so seine Vorgaben an die Werft. Das Flugzeug aus Stahlrohr und mit Kunststoff bezogenem Fichtenholz war achteinhalb Meter lang, hatte eine Spannweite von 14 Metern und anders als andere Flugzeuge, die zum Gewinn des Orteig-Preises gebaut wurden lediglich einen Motor. Lindbergh war der Meinung, dass beim Ausfall eines Motors eines voll beladenen mehrmotorigen Flugzeugs die verbleibenden Motoren die Maschine auch nicht in der Luft halten könnten, das Risiko eines Motorenausfalls aber mit der Zahl der Motoren steigen würde.
Um Gewicht zu sparen und somit mehr Treibstoff mitnehmen zu können, gab es keine Heizung und keine Benzinuhr, kein Funkgerät und keinen Sextanten. Lindbergh navigierte mit Armbanduhr, Karten und Kompass. Er hatte sogar auf einen Fallschirm verzichtet, der nur zusätzliches Gewicht bedeutet hätte. Kein Wunder, dass die Presse seine Maschine angesichts dieser spartanischen Ausstattung als "fliegende Apfelsinenkiste" bezeichnete.
Am 20. Mai 1927 um 7.54 Uhr startete Charles Lindbergh vom Roosevelt Field in New York zu seinem Alleinflug. Fast wäre das Abenteuer vorbei gewesen, noch ehe es richtig begonnen hatte: Das Flugzeug gewann nur langsam an Höhe, die Telefonleitungen am Ende der Rollbahn verfehlte die "Spirit of St. Louis" nur um wenige Meter. Lindbergh wandte sich zunächst nach Norden in Richtung Neufundland, dann drehte er nach Westen übers offene Meer. Schon nach vier Stunden überfiel ihn die Müdigkeit, denn Lindbergh hatte den Tag vor dem Abflug kaum geschlafen. Zeitweise ließ er die Maschine deshalb nur drei Meter über dem Wasser fliegen, um sich damit quasi selbst zu Wachsamkeit zu zwingen. Auch ließ er das Fenster offen, um für frische Luft zu sorgen, was dazu führte, dass es im Inneren der Maschine bitterkalt wurde. Zeitweise bildete sich sogar Eis auf der Frontscheibe. Lindbergh begann zu halluzinieren, er sprach mit einer Fliege, die im Cockpit umherschwirrte, sah Gespenster.
Unterwegs zog Nebel auf, mehrmals musste er Stürmen ausweichen. Trotzdem: Als Lindbergh die Küste von Irland erreichte, war er nur um fünf Kilometer vom geplanten Kurs abgewichen. An der Küste von Irland und England entlang und über den Ärmelkanal erreichte er schließlich Frankreich. Am 21. Mai um 22.24 Uhr landete er schließlich auf dem Pariser Flughafen Le Bourget, wo bereits fast 100.000 Schaulustige sehnsüchtig auf ihn warteten. Manche standen seit sechs Stunden dort, und als Lindbergh zur errechneten Ankunftszeit von 19.30 Uhr nicht auftauchte, rechnete manch einer schon mit dem Schlimmsten. Umso größer war der Jubel, als er Paris schließlich doch heil erreichte. Ein Reporter schrieb: "Seit dem Waffenstillstand 1918 war in Paris nicht mehr so ausgelassen gefeiert worden."
Nach der Landung wurde festgestellt, dass die "Spirit of St. Louis" bereits größere Risse in der Bespannung aufwies sowie ein 20 Zentimeter langes Loch im Tank. Bis heute ist jedoch nicht geklärt, ob diese Beschädigungen schon während des Fluges auftraten oder erst durch den Sturm der Menge entstanden waren. Charles Lindbergh spielte später jedenfalls jegliche Gefahr herunter: "Ein gutes Flugzeug zu fliegen erfordert bei Weitem nicht so viel Aufmerksamkeit wie Autofahren", erklärte er. Und betonte, er hätte noch viel weiter fliegen können: "Ich hatte vier Sandwiches dabei, als ich New York verließ. Ich habe nur anderthalb davon gegessen und ein bisschen Wasser getrunken. Ich hätte auch gar keine Zeit gehabt, mehr zu essen ich war überrascht, wie kurz die Distanz nach Europa ist."
Umtriebiges Liebesleben und zwölf Kinder
Seine fliegerische Leistung und sein nonchalantes Auftreten machten Charles Lindbergh zum amerikanischen Helden. "Der hatte Zeitungsberichte wenn Sie das mit heute vergleichen, wäre das Boris Becker plus Franz Beckenbauer plus Bayern München zusammen", sagte Lindbergh-Biograf Rudolf Schröck. In New York wurde zu seinen Ehren eine riesige Konfettiparade organisiert. Das "Time"-Magazin erklärte ihn zum Mann des Jahres, der US-Kongress verlieh ihm die Medal of Honor, die höchste militärische Tapferkeitsauszeichnung der USA: "Für seinen heldenhaften Mut und seine Fähigkeiten als Navigator, unter Einsatz seines Lebens, beim Nonstopflug mit seinem Flugzeug ,Spirit of St. Louis von New York nach Paris am 20. und 21. Mai 1927, mit dem Captain Lindbergh nicht nur den größten persönlichen Triumph eines jeden amerikanischer Bürgers erreichte, sondern auch demonstrierte, dass eine Reise mit dem Flugzeug über das Meer möglich war."
Doch das Leben von Charles Lindbergh hatte auch Schattenseiten. So pflegte er mehrere Verhältnisse, unter anderem mit zwei Schwestern aus München, und hatte mit vier Frauen insgesamt zwölf Kinder. 1932 wurde sein zweijähriger Sohn Charles III. entführt. Obwohl die Familie das Lösegeld bezahlte, wurde das Kind zwei Monate später tot gefunden. Bruno Hauptmann, ein deutscher Emigrant, wurde für die Tat verantwortlich gemacht und später hingerichtet. Bis heute gibt es jedoch Zweifel an seiner Schuld. Das Urteil beruhte unter anderem auf einer zweifelhaften Aussage Lindberghs, er habe die Stimme Hauptmanns eindeutig als die des Lösegeldempfängers erkannt obwohl er bei der Geldübergabe 70 Meter entfernt gewesen war. ",Crime of the Century schrieb die Presse damals. 80 Jahre später ist in den USA noch immer von einem Jahrhundertverbrechen die Rede. Doch der Inhalt hat sich gewandelt: Mit ,Crime of the Century meinen Kritiker heute das Urteil und die Hinrichtung des Angeklagten", so beurteilte die deutsche Journalistin Solveig Grothe 2012 den Fall.
Jahrhundertverbrechen mit Zweifeln
Zusätzliche Flecken bekam Lindberghs Ruf durch seine antisemitischen Äußerungen. Während einer Rede bei einer Versammlung des America First Committee (AFC), einer isolationistischen Bewegung, die die Teilnahme der USA am Zweiten Weltkrieg verhindern wollte, nannte er im Jahr 1941 "die Briten, die Juden und die Regierung Roosevelt" als die drei Gruppen, die die USA in den Krieg treiben wollten. Die größte Gefahr der Juden "für dieses Land liegt in ihrem großen Besitzanteil an und ihrem Einfluss auf unsere Filmindustrie, unsere Presse, unseren Rundfunk und unsere Regierung", hetzte er.
In seiner Autobiografie machte Lindbergh 1954 allerdings deutlich, dass er über die Konzentrationslager der Nationalsozialisten entsetzt gewesen sei. Er starb 1974 auf Hawaii.
Jan Philip Häfner