"Solar Flares", Sonnenstürme und Teilchenströme: Die Sonne ist ein unvorhersehbarer Stern. Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt am Standort Neustrelitz haben den Himmelskörper genau im Blick. Denn das dadurch verursachte Weltraumwetter hat auch Auswirkungen auf uns.
Unendliche Weiten, ferne Sterne, majestätische Planeten: Damit verbinden die meisten von uns eine Art erhabener Stille. Aber das Gegenteil ist der Fall. Mit geeigneten Empfängern kann man nicht nur den elektronischen Lärm hören, der dort draußen herrscht, sondern auch das kosmische Wetter beobachten.
Genau das tun Forscher am Standort Neustrelitz des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dort bauen Mitarbeiter des DLR-Instituts für Kommunikation und Navigation sowie des Deutschen Fernerkundungs-Datenzentrums das "Ionosphere Monitoring and Prediction Center" (IMPC, etwa: Überwachungs- und Vorhersagen-Zentrum Ionosphäre) auf. Die Ionosphäre ist Teil unserer Atmosphäre und beginnt in etwa 80 Kilometern Höhe. Sie erreicht ihre größte Dichte in etwa 300 Kilometern Höhe und besteht aus Ionen und freien Elektronen. In der Ionosphäre sammeln sich elektrisch geladene Teilchen aus dem Weltraum und erzeugen wiederum geladene Teilchenströme. Diese sind beispielsweise auch für das Polarlicht verantwortlich. Außerdem reflektiert die Ionosphäre elektromagnetische Signale und sorgt so dafür, dass sich UKW-Wellen weltweit verbreiten und für den Funkverkehr zur Verfügung stehen.
Aber zurück zum kosmischen Wetter, das die Forscher in Neustrelitz beobachten. Das Weltraumwetter in unserer kosmischen Umgebung hat eine Hauptquelle. "Der wesentliche Anteil, mehr als 90 Prozent, kommt von der Sonne", sagt Dr. Jens Berdermann, der die Gruppe "Ionosphärische Effekte und Korrekturen" am DLR-Institut für Kommunikation und Navigation leitet. Er arbeitet am Aufbau des IMPC mit. "Den kleineren Anteil liefert die kosmische Strahlung", erklärt Berdermann weiter.
Seine Kollegen und er beobachten den gesamten Raum zwischen Erde und Sonne sowie das gesamte Spektrum der Sonnentätigkeit. Wichtig ist diese Beobachtung, weil das Weltraumwetter direkt menschliche Nachrichtentechnik beeinflusst also Satelliten, Funk und Fernsehen, satellitengestützte Navigationssysteme wie GPS, Galileo oder das russische Glonass-Netz.
Der Wettermacher Sonne sendet einen Strom elektrisch geladener Partikel aus, den sogenannten Sonnenwind. Diese Teilchen erreichen nach zwei bis vier Tagen die Erde. Außerdem können auf der 5.500 Grad Celsius heißen Sonnenoberfläche jederzeit Eruptionen ausbrechen, die hohe Konzentrationen geladener Partikel in den Weltraum hinausschleudern. Diese Ausbrüche lassen sich bislang nicht vorhersagen, dafür können aber die entstehenden Teilchenwolken beobachtet und ihr Eintreffen in Erdnähe eingeschätzt werden. Wissenschaftler wie Berdermann unterscheiden dabei drei verschiedene Großereignisse auf der Sonne, die Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation haben können. Erstens wären da die sogenannten "Solar Flares", massive Strahlungsausbrüche, die mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind und die Erde innerhalb von acht Minuten erreichen. Ihre Kraft ist variabel. Starke Flares können Satelliten, den Funkverkehr und die Navigation stören. "Im Extremfall können Radarsysteme ausfallen", erklärt Jens Berdermann.
Drei Satelliten zur Beobachtung
Das zweite Großereignis kann ungleich heftiger wirken: koronale Massenauswürfe oder Sonnenstürme. Hier wird Sonnenmaterie hinaus ins All geschleudert. Die Partikel schießen aus der obersten Schicht der Sonnenatmosphäre, der Korona, heraus. Starke "Solar Flares" können einen Sonnensturm ankündigen. Bei einem solchen Sturm fliegt Plasma, elektrisch geladenes Gas, ins All. Massenauswürfe erreichen zwischen 800 und 2.000 Kilometer pro Sekunde und erreichen die Erde innerhalb von ein bis zwei Tagen. Als erstes treffen diese Plasmawolken dabei natürlich auf Satelliten. Da die Wolken selbst elektrisch geladen sind, können sie in einem Satelliten Kurzschlüsse auslösen oder seine Signale stören. Dann treffen sie in Höhen um 500 Kilometer über der Erde auf die obersten Regionen der irdischen Lufthülle. Diese Thermosphäre reicht hinunter bis in 80 bis 85 Kilometer Höhe. Ein Sonnensturm kann nun die Thermosphäre aufheizen, sodass sie expandiert und einen Satelliten aus seiner Bahn drücken kann. Außerdem kann ein sehr starker Sturm elektrische Ströme in der Ionosphäre verursachen. Die können über das Erdmagnetfeld in Stromnetze eindringen und diese lahmlegen.
Das dritte Großereignis sind energiereiche Teilchenströme. Sie brauchen etwa 50 bis 60 Minuten bis zur Erde. "Diese Ereignisse können über Wechselwirkungen mit der Erdatmosphäre höhere Strahlenbelastungen in der Luftfahrt bewirken", erläutert Berdermann. Betroffen wären Passagiere und Besatzungen von Verkehrsflugzeugen, die in großen Höhen unterwegs sind und deren Routen durch die Polarregionen oder nahe an ihnen vorbei führen.
Das Weltraumwetter und die Sonne genau im Blick zu halten, ist also für uns auf der Erde durchaus wichtig. Die DLR-Forscher nutzen für ihre Beobachtungen drei Satelliten. Soho, "Solar and Heliospheric Observatory", befindet sich etwa 1,5 Millionen Kilometer innerhalb des Erdorbits auf einer bestimmten Position, an der sich die Anziehungskräfte von Sonne und Erde ausgleichen, am so genannten L1-Punkt. Raumsonden können dort ohne großen Energieaufwand verharren. Soho ist eine europäisch-amerikanische Mission und liefert Daten über das Sonneninnere, die Sonnenatmosphäre und den Sonnenwind. Zwei weitere Sonden funken Daten über Sonnenwind und Strahlung zur Erde und messen die Stärke des interplanetaren Magnetfelds.
Die Früherkennung von Sonnenstürmen beginnt bereits mit der direkten Beobachtung der Sonne. Mit Echtzeitdaten des Königlich-Belgischen Observatoriums und Daten des gerade entstehenden globalen Flare-Beobachtungsnetzes verfolgen die Forscher in Neustrelitz die Aktivität auf der Sonnenoberfläche. Stellen sie einen Solar Flare oder einen Massenauswurf fest, bleibt eine Vorwarnzeit von ein bis drei Tagen. Passiert ein Sonnensturm den L1-Punkt, bleiben zwischen 30 und 60 Minuten Vorwarnzeit, bevor der Sturm die Erde erreicht. Wie er sich auswirkt, hängt von seiner Stärke ab. Die Störungen breiten sich dann über die Ionosphäre von den Polarregionen bis in die mittleren Breiten aus. Das dauert zwischen zwei und drei Stunden.
Sehr starke Sonnenstürme machen sich weltweit bemerkbar. Das früheste überlieferte Ereignis ist der Carrington-Effekt von 1859. Damals beobachtete der Hobbyastronom Richard Carrington eine gewaltige Eruption auf der Sonne, deren Partikelsturm auch die Erde traf, denn später erlitten Arbeiter an Telegraphenleitungen Stromschläge. Der Mai-Sturm von 1921 hatte wegen der stärkeren Technisierung schon drastischere Auswirkungen. Er erzeugte auf der ganzen Welt höhere Spannungen in Stromleitungen. Auf der Nordhalbkugel reichte die Wirkung bis nach Mexiko und Puerto Rico, auf der Südhalbkugel von der südlichen Polarregion bis Samoa.
Obwohl schwächer als der Mai-Sturm, sorgte ein Sonnensturm 1989 für einen neunstündigen Stromausfall in der Region um das kanadische Montreal. Fernwärme und Verkehrsleitsysteme fielen aus, Flughäfen wurden geschlossen.
Noch einschneidender waren die Wirkungen des Halloween-Sturms von 2003. Die Partikelwolke war etwa 13 Mal so groß wie die Erde. Damals traten innerhalb von zwei Wochen 17 Sonnenfackeln auf. Der Funkverkehr war gestört, Luftkorridore über Nord-Kanada wurden geschlossen. In Teilen der schwedischen Stadt Malmö fiel der Strom aus. Außerdem wurde ein Satellit komplett zerstört und 27 andere in ihrem Betrieb eingeschränkt.
Globales warnsystem
In Europa und in den USA gaben Wissenschaftler Mitte der 90er-Jahre die ersten Vorhersagen heraus. Seit 2007 betreiben die USA ein eigenes Vorhersagezentrum. Allerdings sind die Vorhersagen noch nicht so genau wie irdische Wetterprognosen. Trotzdem nutzen bereits heute Betreiber von Satelliten die Daten, um ihre Flugkörper rechtzeitig aus dem Sonnenwind zu drehen oder zeitweise abzuschalten. Allerdings ist die moderne Gesellschaft wesentlich abhängiger von funktionierenden Strom- und Kommunikationsnetzen als zur Zeit des Mai-Sturms von 1921. Der würde heute halb Nordamerika lahm legen. Umso wichtiger also, dass das entstehende Vorhersagezentrum in Neustrelitz das globale Warnsystem weiter verbessert.
Friedrich List