Bei der Heim-WM in Altenberg geht Francesco Friedrich als großer Titelfavorit im Zweier- und Viererbob an den Start. Der Sachse kann in der Bestenliste den legendären Italiener Eugenio Monti überflügeln.
Das Siegen war Francesco Friedrich fast schon ein bisschen langweilig geworden. „Die anderen könnten jetzt am Start wieder mehr Gas geben, dann hoffen wir, dass es wieder etwas spannender wird“, sagte der alles überragende Bob-Pilot der vergangenen Jahre. Kaum hatte der Doppel-Olympiasieger dies ausgesprochen, kassierte er am ersten Februar-Wochenende eine Niederlage. Beim Weltcup auf der Naturbahn in St. Moritz musste er sich im Zweier um zwei Zehntelsekunden seinem Teamkollegen Johannes Lochner geschlagen geben. Ein höchst seltenes Gefühl für Friedrich, der ansonsten in einer anderen Liga fährt. Auch bei den Weltmeisterschaften im heimischen Altenberg (21. Februar bis 1. März) geht er als ganz großer Favorit an den Start.
Auf keiner Bahn kennt sich der Sachse so gut aus wie im Kohlgrund. Er wohnt nur eine halbe Autostunde entfernt, kennt jeden Zentimeter des Eiskanals aus Hunderten Trainingsfahrten. Und an der Strecke werden ihn Familie und Freunde anfeuern. Beste Voraussetzungen also für eine neue Rekord-Show des Doppel-Olympiasiegers. Mit einem sechsten WM-Sieg in Serie im Zweierbob würde Friedrich am legendären Italiener Eugenio Monti vorbeiziehen, der von 1957 bis 1961 alle Titel im kleinen Schlitten abgeräumt hatte. „Wenn ich diesen Rekord aufstelle“, mutmaßt Friedrich, „würde es in der Zukunft fast unmöglich sein, diese Marke zu brechen. Da müsste schon alles passen. Es müsste einer im richtigen Land geboren sein, damit er über das nötige Material verfügt, er müsste schnell starten können, ein starkes Team haben und mit Anfang 20 Weltspitze sein.“ Dass so etwas noch einmal zusammenkommt, erscheint fast unmöglich. „Deshalb denke ich“, so Friedrich, „wäre es schon ein Rekord für die Ewigkeit.“ Und so bleibt der 29-Jährige erfolgshungrig. „Mich faszinieren Rekorde für die Ewigkeit“, sagt er. „Daran arbeite ich, die möchte ich setzen. Ich möchte etwas erreichen, woran sich andere die Zähne ausbeißen.“
Seinen Platz in den Geschichtsbüchern des Kufensports hat „Friedrich, der Große“ schon jetzt sicher. Bei den vergangenen zwei Weltmeisterschaften und bei Olympia 2018 in Südkorea gelang ihm jeweils der Doppel-Triumph im Zweier und Vierer – das ist einmalig in der langen Bob-Geschichte. Und Friedrich ist ja längst noch nicht am Ende seiner Karriere angelangt. Die vermeintlich besten Jahre als Bob-Pilot kommen für Friedrich erst noch. Und die will er auskosten. „Ich werde das so lange machen, bis es nicht mehr geht“, sagt er. Denn das Bobfahren sei nicht nur sein Job, „sondern auch meine Leidenschaft.“
„Mich faszinieren Rekorde für die Ewigkeit“
„Es ist eigentlich fast nicht zu glauben“, sagt Bundestrainer René Spies über die Dominanz seines Überpiloten, der „in jedem Detail professionell“ sei. Und zwar „mehr als jeder andere“. Vor allem diese Einstellung mache Friedrich zu einem „Ausnahmekönner, der das Geschäft noch lange dominieren kann“, glaubt Spies. Friedrichs Heimtrainer Gerd Leopold schwärmt ebenfalls über seinen Schützling: „Ich bewundere ihn, mit welcher Professionalität er täglich seinen Job macht.“ Als Friedrich bei seinem Sieg in Königssee im Labyrinth ein paar Banden mitgenommen hatte, sagte sein Anschieber Thorsten Margis scherzhaft: „Das kann passieren, Francesco ist menschlich.“
Friedrich ist nie zufrieden, er findet immer etwas, was er verbessern möchte. „Die perfekte Fahrt gibt es eigentlich nur ganz selten“, sagt er. Selbst an Weihnachtstagen hat der Bobpilot Material getestet. „Es ist so eine Leidenschaft“, sagt er, „da muss man sich nicht motivieren.“ Mit dieser Besessenheit hat er es geschafft, auch im Vierer zum Siegfahrer aufzusteigen. Bei den letzten vier Weltcuprennen stand er in der Königsdisziplin des Bobsports immer ganz oben auf dem Treppchen. Dort will er auch bei der WM über Doppel-Gold jubeln. Friedrich begann seine Sportkarriere auf der Tartanbahn. Die 100 Meter ist er als Kind in 12,4 Sekunden gesprintet – gut, aber nicht gut genug. In der Leichtathletik habe ihm „ein bisschen die Perspektive gefehlt“, erinnert sich Friedrich. „Die Aussicht auf große Erfolge war begrenzt.“ Also wechselte der Sachse von der Leichtathletik in den Bobsport – wie so viele andere vor ihm auch. Doch die meisten heuern als Anschieber an, nur wenige haben das Talent zum Piloten. Bei Friedrich aber kommt beides zusammen: unbändige Kraft beim Anschieben und viel Gefühl an den Lenkseilen. „Francesco ist athletisch super. Dazu ein Wettkampftyp. Ihn bringt nichts aus der Ruhe. Und er kann sich eine neue Bahn extrem schnell erarbeiten“, sagt sein Heimtrainer Leopold. Trotzdem überraschte der schnelle Aufstieg seines Schützlings, schon mit 22 Jahren kürte er sich 2013 in St. Moritz zum jüngsten Zweierbob-Weltmeister der Geschichte.
„Ihn bringt nichts aus der Ruhe“
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste Friedrich, dass er mit dem Bobsport alles richtig gemacht hat. Zwischendurch waren Zweifel aufgekommen. Vor 15 Jahren verunglückte sein Bruder David im Altenberger Eiskanal schwer, er lag mit einem Schädeltrauma dritten Grades sogar zwei Wochen im Koma. „Damals habe ich gezweifelt“, gab Francesco Friedrich einmal zu, „ob dies der richtige Sport für mich werden könnte.“ Überhaupt keine Zweifel kamen ihm dagegen nach dem Olympia-Debakel 2014 in Sotschi, als er als amtierender Weltmeister nur die Plätze acht (Zweier) und zehn (Vierer) belegte. „Ich wusste ja, was ich eigentlich kann“, sagt er. „Da muss man auch einfach mal die Ruhe bewahren und weiter trainieren.“
Ruhe bewahren, weiter trainieren. Das ist das Mantra des Bob-Dominators – im Misserfolgsfall genau wie in der Stunde des Triumphes. Ein Entertainer wird aus dem zurückhaltenden Piloten nicht mehr, doch ganz so verbissen wie früher kommt er auch nicht mehr daher. „Die Olympiasiege haben ihm eine gewisse Lockerheit gegeben“, berichtet Rivale Lochner, „das merkt man in den Rennen.“
„Wir sind seit sechs Jahren die Gejagten“
Lochner dürfte mit seinem Anschieber Christopher Weber der größte WM-Konkurrent für Friedrich sein, zweimal hat ihn der Stuttgarter in dieser Saison schon besiegt. Dabei stand Lochners WM-Start auf der Kippe, erst mit seinem Triumph in St. Moritz hatte er sich das Startrecht für die Titelkämpfe gesichert. Zwischenzeitlich hatte ihn Bundestrainer Spies aus dem Weltcup gestrichen. Warum? Weil sich die teaminternen Konkurrenten Nico Walter und Richard Oelser bei der nationalen Ausscheidung besser präsentierten. Die wurden extra in Altenberg auf der WM-Bahn abgehalten, um die möglichst schlagkräftigste Truppe an den Start schicken zu können. „Wir müssen sehen, dass die Leute, die da nachkommen, auch Chancen bekommen, wenn sie die Leistung zeigen“, begründete Spies seine Entscheidung gegen den 29-jährigen Lochner. Der war mächtig sauer auf den Bundestrainer und dachte gar über ein Karriereende nach: „Du fängst dann mit dem Überlegen an und zweifelst ein bisschen an dir, ob das überhaupt noch Sinn macht, was du da machst.“ Statt aufzugeben fuhr Lochner schließlich mit Wut im Bauch herausragend schnell den Eiskanal herunter. Also gab ihm der Bundestrainer in St. Moritz noch eine Chance, seine „knallharte“ Forderung lautete: Podestplatz – oder WM-Aus. Lochner hielt dem Druck stand und darf dank des Sieges bei der WM sowohl im Zweier als auch im Vierer starten.
Der Heimvorteil spricht dennoch klar für Friedrich. Die Titelkämpfe in seiner sächsischen Heimat will er noch mehr genießen als sonst. „Es ist traumhaft und toll, wenn man Lob bekommt für das, was man das ganze Jahr macht. Wenn Fans an der Bahn stehen, mit Fahnen wedeln und Autogramme haben wollen“, sagt Friedrich. „Am schönsten ist es hier zu Hause in Altenberg.“ Dass hier alle Siege von ihm erwarten und der Erfolgsdruck noch mal größer ist, stört Friedrich nicht. „Wir sind ja seit sechs Jahren die Gejagten“, sagte er im Sportbuzzer-Interview. Außerdem wisse jeder in seinem Team durch die jahrelange Zusammenarbeit, „was er zu tun hat“. Und dazu gehört auch, ab und zu mal Spaß zu haben. „Wir sind nicht nur eingespielt, sondern auch richtig gute Freunde“, sagt Friedrich über seine Anschieber. Und wenn das Team Friedrich vom SC Oberbärenburg auf Platz eins über die Ziellinie fährt, gibt’s jedes Mal eine Belohnung vom Heimtrainer. „Wenn wir einen großen Titel holen, dann rauchen wir eine Zigarre“, verrät Leopold. Die dürfte nach der Weltmeisterschaft in Altenberg besonders gut schmecken, denn dann hätte „Friedrich, der Große“ den historischen sechsten WM-Titel in Folge perfekt gemacht.