Mit der Mobilfunktechnologie 5G will die DFL das Stadionerlebnis nachhaltig verändern. Doch nicht jedem gefällt das.
Wer über die Zukunft von Kommunikation redet, kommt an einem Begriff nicht vorbei: Augmented Reality. Diese „erweiterte Realität", in der die menschliche Wahrnehmung per Computern um virtuelle Elemente ergänzt wird, macht vieles möglich. Sei es – wie vor einigen Jahren überaus angesagt – die Jagd nach virtuellen Monstern inmitten der realen Welt mithilfe der App „Pokemon Go" oder eben die längst alltägliche Einblendung einer Abseitslinie bei einer Fußballübertragung. Das Problem: Solche Anwendungen brauchen stabile und leistungsfähige Datennetze.
Das hat auch der VfL Wolfsburg erkannt und sein Stadion teilweise mit der neuesten Mobilfunktechnologie 5G ausgerüstet. Damit können mehr Daten in kürzerer Zeit übertragen und komplexere Anwendungen möglich gemacht werden. Spätestens bis zum Sommer 2021 soll 5G in der gesamte VW-Arena verfügbar sein. Das ist ganz im Sinne der Deutschen Fußball Liga (DFL). Deren Geschäftsführer Christian Seifert verspricht sich auf www.bundesliga.com von diesen Möglichkeiten ein ganz neues Spielerlebnis: „Immer mehr Fußballzuschauer nutzen einen zusätzlichen Bildschirm, um sich während des Spiels mit weitergehenden Informationen zu versorgen. Diese Möglichkeiten stehen dank 5G künftig auch im Stadion zur Verfügung". Um diese Entwicklung zu beschleunigen, hat die Deutsche Fußball Liga im vergangenen Sommer eine Zusammenarbeit mit dem Telekommunikationskonzern Vodafone gestartet.
Eine Kostprobe der neuen digitalen Optionen gab es im vergangenen September beim Gastspiel der TSG Hoffenheim in Wolfsburg. Einige Besucher waren Testnutzer einer neuen Stadion-App, entwickelt von DFL und Vodafone, die ihnen einen völlig neuen Blick auf das Spiel verschaffen sollte. In Echtzeit wurden Leistungsdaten von Spielern auf dem Handy eingeblendet, sobald die Kamera des Mobiltelefons auf das Spielfeld gerichtet war. Für Michael Meeske, beim VfL als Geschäftsführer für Marketing, Vertrieb, Internationalisierung und Digitalisierung beschäftigt, sind solche Angebote nur folgerichtig, denn „nach unseren Marktforschungserkenntnissen wird der Bedarf nach weiteren Services und nach zusätzlichen Informationen ständig größer". Der 48-Jährige genießt die Rolle seines Clubs als Innovationstreiber und erhofft sich davon natürlich auch einen dringend notwendigen Imageschub der notorisch grauen Maus aus Ostniedersachsen.
Kooperation mit Vodafone
Daran, dass Meeske und der VfL auf dem richtigen Weg sind, hat Andreas Heyden keinen Zweifel. Schließlich weist ihn schon seine Position als Executive Vice President Digital Innovation DFL Group als Fachmann für solche Themen bei der DFL aus. Unter Heydens Führung sollen digitale Innovationen gebündelt und vorangebracht werden. Heyden ist in seinen Gedanken schon ein paar Jahre weiter und denkt längst nicht nur an Smartphones als Medium der verlockenden Möglichkeiten. So erklärte er gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Menschen, die eine Brille tragen, haben ein Augmented-Reality-Gerät auf der Nase. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Menschen in fünf oder zehn Jahren auf ihrer Brille auch Informationen eingeblendet bekommen – auch im Stadion."
Doch ist all das, was technisch möglich ist, auch wirklich sinnvoll? Sig Zelt bestreitet das. Zelt ist Anhänger von Union Berlin und Sprecher des bundesweit aktiven Fanbündnisses Pro Fans, das sich seit Jahren gegen die kommerziellen Auswüchse des Fußballs zu wehren versucht. „Wir haben den Eindruck, dass sich der Fußball immer mehr vom eigentlichen Sport entfernt und von dem, was diesen Sport prägt und ausmacht", meint Zelt gegenüber der dpa und ergänzt: „Für uns machen Emotionen und Teamgeist den Fußball aus. Nicht die Statistik oder der Videobeweis." Zelt befürchtet, dass die Stimmung in den Stadien leiden könnte, wenn sich die Zuschauer in ihre Augmented Reality vertiefen und verweist zugleich darauf, dass solche Spielereien ohnehin an der Realität vieler Stadionbesucher vorbeigehen: „Im Ultra-Block ist es völlig verpönt, während des laufenden Spiels das Telefon in die Hand zu nehmen. Der Support soll der Mannschaft gehören."
Tradition soll respektiert werden
Zweifel, die Heyden mit praktischen Beispielen zu zerstreuen versucht. „Wenn ich als Stadiongänger zwei Wünsche an die Technik habe, sind es diese: Meine App soll mir sagen, wo die kürzeste Schlange zum Bier und zur Bratwurst ist und wo die kürzeste Schlange zur Toilette ist." Auch ein effektives Parkplatzmanagement schwebt Heyden vor, der sich allerdings der Sorgen puristischer Fans bewusst ist. Schließlich weiß er als Vertreter der DFL nur zu gut, dass die Bundesliga für ihre im Vergleich zu anderen großen Ligen ausgesprochen gute Stimmung bekannt ist und damit über ein relevantes Marketingargument verfügt. Ein Spannungsfeld, das Heyden nicht einschüchtert: „Wir müssen die Tradition respektieren, wir müssen aber auch den Mut haben, Dinge auszuprobieren. Dafür muss man dann auch mal Kritik einstecken können." Man müsse „eine Brücke bauen zwischen den nachwachsenden Zielgruppen und den jetzigen Fans, für die das Stadionerlebnis weiter das beinhalten soll, was sie so daran lieben." Aber für den obersten Innovator der DFL und seinen Wolfsburger Kollegen Meeske ist das größte Problem derzeit nicht der Widerstand traditionsbewusster Fans, sondern die noch mangelhafte Verbreitung von 5G-fähigen Geräten. Denn was nützt die beste Software, wenn sie niemand nutzen kann? Das aber ist wohl nur eine Frage der Zeit. Zeit, die neben dem VfL Wolfsburg auch andere Vereine nutzen wollen, um eine entsprechende Infrastruktur zu errichten. Der FC Bayern etwa will schon im kommenden Frühjahr 5G im Umfeld der Allianz Arena verfügbar machen und verspricht seinen Fans, virtuell als zwölfter Mann mit der Mannschaft einlaufen oder am Torjubel teilhaben zu können. Auch Bayern-Rivale Borussia Dortmund hat die Zeichen der Zeit erkannt und will zusammen mit dem künftigen Sponsor 1&1 ein 5G-Netz im Signal Iduna Park installieren.
Einem sehr viel wichtigeren Bedürfnis hat sich derweil der VfL Bochum angenommen. Der Zweitligist will seine Besucher als erster deutscher Proficlub künftig mit kostenlosem Mineralwasser versorgen.