Hinter manch böse dreinblickender Narrenmaske steckt die feine Schnitzkunst von Josef Baur. Der Holzbildhauer führt den Betrieb, den sein Großvater gegründet hat, in dritter – und letzter – Generation.
Das Ziereisen setzt neben dem Auge des Wolftreibers an. Josef Baur drückt das scharfe Blatt einen Hauch tief rein, zeichnet dann eine geschwungene Linie in das Holz. Ein hauchdünner Holzspan fällt ab, fliegt auf den Boden zu den dickeren Hobelspänen, die Baur zuvor mit dem gekröpften Bockfuß aus den Wangen und dem Kinn geschabt hat. Jetzt wischt er mit dem Daumen über die Stelle unterhalb der Stirn. Die erste Augenfalte des Wolftreibers ist fertig.
Dieser hat ein munteres Narrengesicht. Aber über seiner Stirn sitzt der Kopf eines zähnefletschenden Wolfs. Zu den wirklich bösen Masken zählt der Wolftreiber trotzdem nicht. Böse sind der Waldgilch mit den Säbelzähnen am Unterkiefer, die Gayrahexe mit Warzen und dicken Augenbrauen im Gesicht, der Waldschrat mit der faltigen, nach unten gezogenen Stirn. Baur mag die lächelnden, fröhlichen Gesichter lieber. „Aber heutzutage wollen alle böse Masken", sagt er.
Die Muggaverbrenner aus Rexingen, die Jaunerschecken aus Weitingen, die Drotzer aus Tübingen-Bühl – an die 100 verschiedene Narrengesichter hat Baur in den letzten 50 Jahren aus totem Holz zum Leben erweckt. Jedes Jahr zur Zeit der schwäbisch-alemannischen Fasnet geistern sie von Januar bis Aschermittwoch auf den Umzügen im Südwesten umher. Sein jüngerer Bruder Reinhold Baur bemalt die Masken mit Acryl- und Ölfarben. Der jüngste der drei, Ludwig Baur, behandelt das Holz in seiner Schreinerei. Die alte Werkstatt ist seit der Gründung ein Familienbetrieb, in dritter – und letzter – Generation.
Sie befindet sich auf der Rückseite von Baurs Haus in Starzach-Bierlingen, einer kleinen, beschaulichen 1.200-Seelen-Gemeinde, 20 Kilometer südwestlich von Tübingen. Vom Garten führt eine Treppe hinauf in einen gemütlich aufgewärmten Raum, in dem es nach Holz und Farbe riecht. Im Hintergrund tönen Schlager aus dem Radio. Rechts steht Josef Baurs Hobelbank, vor ihm ein Fenster, durch das er jeden sieht, der zu seiner Werkstatt hochkommt. Hohl- und Flacheisen sind auf dem Arbeitstisch verteilt. Die Wolftreibermaske ist in der Zange eingespannt, während Baur mit einem Holzknüppel und einem Eisen noch mal die Nase ausbessert. Wie der Wolftreiber sind alle Masken der Vorstellung seiner Kunden vor allem aber auch der Fantasie des Künstlers entsprungen. Die größte Inspirationsquelle: das Gesicht des Menschen. „Wenn ich jemandem begegne, dann betrachte ich erst einmal eine ganze Weile sein Gesicht", sagt Baur, „Mich fasziniert, wie viel Bewegung auf einer so kleinen Fläche möglich ist."
Unfertige Holzgrimassen, frisch bemalte Visagen, Zeichnungen von Krampusköpfen – überall in der Werkstatt findet sich irgendwo ein Gesicht, das einen anstarrt. An einer Wand hat Baur fast ganz oben an der Decke alte Bilder von einer Frau und einem Mann aufgehängt. Porträts aus einer Zeit, in der noch nicht auf Fotografien gelächelt wurde. „Meine Großeltern", sagt er, „die haben hier im selben Haus Möbel gemacht."
Das Handwerk hat er nach der Volksschule vom Vater gelernt
Anfang des 20. Jahrhunderts war das. Damals gründen Josef und Rosa Baur eine Schreinerei. Ihr Handwerk vermachen sie an ihren Sohn Anton Baur, der sich die Holzbildhauerei beibringt, weil damals kleine Zierschnitzereien auf den Möbelstücken in Mode sind. Sein Sohn eifert dem Vater bald nach und fängt als Kind mit dem Schnitzen an. Nach der Volksschule lässt sich Josef Baur, der denselben Namen trägt wie sein Großvater, bei seinem Vater das Handwerk lehren. Später krönt er seinen Meister an der Schule in Horb mit einem Früchtekorb. Als Holzbildhauer fängt er mit Tief- und Hochreliefs von Schwarzwaldlandschaften, Weihnachtskrippen, sakralen Figuren und Familienwappen an. Später erst, als er 22 Jahre alt war, klopfen die Narrenzünfte an seine Werkstatttür.
Baur ist heute 71 Jahre alt, und ledig. Er ist es immer gewesen. „Als ich zwischen 20 und 30 Jahre alt war, gab es zwei Frauen. Die eine ist weit weggezogen, mit der anderen hat es nicht funktioniert." Kinder hat er keine. Sein jüngerer Bruder ist verheiratet, ist aber ebenfalls kinderlos. Nur der Schreiner, Ludwig Baur, hat zwei: Die Tochter arbeitet bei Daimler, der Sohn in einer Fabrik. Holzbildhauer wolle keiner mehr sein, sagt Baur. Der Verdienst ist weniger als in vielen anderen Berufen, und ohne das Maskengeschäft wär’s viel schwerer. „Man braucht dafür schon eine gewisse ideelle Voraussetzung", sagt der Holzschnitzer. Die Liebe zum Handwerk.
Konkurrenz gibt es kaum noch. Baur klingt fast traurig, wenn er das sagt. Aber für ihn ist das nicht ganz so schlecht. „So kommen ja mehr zu mir, und ich hab genug Geschäft. Ich kann nur nicht ‚nein‘ sagen, und dann wird das mit der Liebe auch zu einer notgedrungenen Sache." In der Hochsaison, wenn die Narrenzünfte neue Masken in Auftrag geben oder die alten in Behandlung schicken, weil die Farbe verblasst oder die Nase abgefallen ist, arbeitet der Holzkünstler bis tief in die Nacht in seiner Werkstatt.
Es dauert lange, bis eine Maske ihre spezielle Form annimmt. Zwei bis drei Schichten Lindenholz, das im Garten trockenlagert, muss der jüngste Bruder in der Schreinerei erst fräsen, dann aufeinander leimen. Lindenholz ist weich, deshalb eignet es sich gut zum Schnitzen. Wie die Maske aussehen soll, hat Baur meist anhand der Zeichnungen mit der Narrenzunft schon abgesprochen. Erst schnitzt er die Maske grob aus, schickt sie einem Kollegen in Bayern, der in einer Maschine mehrere Modelle davon herstellt, und sie später alle per Postpaket wieder an Baur zurückschickt.
Dann wird gehobelt, geschnitzt, geschliffen, verziert und schließlich bemalt. Wie die Maske aussehen soll, ob sie Schrammen, Warzen, Narben, gelbe Zähne haben soll, hängt ganz von der Geschichte der Zunft ab. „Da darf keine sein wie die andere, das ist wie mit der DNA des Menschen", sagt er. Die Moofanger aus Bierlingen, die auf den Umzügen auf Leitern klettern, um den Mond zu fangen, haben beispielsweise gelbe, rundliche Gesichter mit jeweils einem Halbmond links und rechts und ein schelmisches Grinsen auf den Lippen. „Die mag ich, die hat was Ironisches", sagt Baur. Für die Waldhexe gibt’s kleine Ahornblätter auf Stirn und Wangen, der Feuerteufel kriegt ein knallrotes Gesicht und einen giftigen Blick.
Feuerteufel bekommt knallrotes Gesicht und giftigen Blick
Baur selbst hält sich seine Masken wegen der Augenpartien immer kurz vors Gesicht. Die Löcher dürfen nämlich nur acht Zentimeter voneinander entfernt sein, sonst guckt man gegen einen Balken. Eine richtig aufgesetzt und sich mal im Spiegel angeschaut, wie sie wirkt, was sie mit ihm macht, hat er nie. Er schnitzt sie, und wenn Feierabend ist und manchmal noch Freunde und Bekannte aus dem Dorf vorbeikommen, um sich am Ofen in seiner Werkstatt aufzuwärmen, hat er auch genug von Masken.
Die meisten Leute aus der Gegend kennen Baur und kommen gern. „Josef hilft jedem", sagt der Kindheitsfreund, der freitagabends vorbeischaut. „Und er hat noch nie jemandem wehgetan." Montags kommt die Dorfjugend, spielt Karten und redet über Fußball. Auch die Frauen aus Bierlingen kommen. Sie bringen Kaffee und Kuchen mit. Allein ist Josef Baur nur nachts.
Im Urlaub war er schon lange nicht mehr. „Ich geh mal wandern für ein Wochenende. Oder Fahrradfahren", sagt er. Aber weiter weg war der Bierlinger schon lange nicht. Das letzte Mal geflogen ist er vor mehr als 30 Jahren, nach Athen und Rom mit Freunden. In Paris war er nie.
Seit einiger Zeit liest er mehr Bücher. Baur mag Biografien über Vincent van Gogh. Seine Gemälde über die Landwirtschaft und vom einfachen Leben gefallen ihm am meisten. Die Bibel liest er auch, sie liegt immer griffbereit. An seinem Hals hängt ein silbernes Kreuz. „Im Alter drängen sich solche Fragen auf." Was dann mal aus der Werkstatt wird, die sein Vater und davor sein Großvater vermacht haben, weiß Baur nicht.
Eine letzte feine Kerbe zieht der Holzschnitzer mit dem Ziereisen noch in die Wolftreibermaske, dann knipst er die Arbeitsleuchte über seinem Kopf aus. „Ich hätt’s schon gern weitergegeben. Aber es hat halt nie sein sollen", sagt er und winkt zum Abschied vom Fenster.