In Zeiten von Facebook und Co. verbreiten sich Gerüchte in Windeseile. Catrin Raber, Dipl.-Designerin und Illustratorin, hat das Andersen-Märchen „Es ist unglaublich aber wahr" verlegt, das Fake News thematisiert.
Wie aus einer Mücke ein Elefant wird, wie aus einer nicht ernst gemeinten daher gesagten Bemerkung eine grässliche, gar todernste Geschichte werden kann, das haben in der Literatur schon so manche Dichter und Schriftsteller wortreich beschrieben.
Einer von ihnen war der dänische Dichter Hans-Christian Andersen, der vor rund 170 Jahren eine Geschichte aus dem Hühnerstall erzählte, „die ganz gewiss" so und nicht anders stattgefunden hat. Dieses Andersen-Märchen „Det er ganske vist" hat die Designerin Catrin Raber übersetzt, illustriert und als Bilderbuch, unter dem Titel „Es ist unglaublich aber wahr" im Eigenverlag herausgegeben.
„Was mich zu dieser Geschichte bewegt hat, ist das Thema Kommunikation, die Aktualität der Verbreitung von Fake News sowie Wahrheit, als ein zentraler Begriff der Philosophie. Wer Wahrheit erkennen vermag, kann eigenständig handeln, ohne sich von Massen manipulieren zu lassen. Wahrheit macht frei. Eine sinnvolle Thematik für Gemeinschaft."
Auf 40 Seiten interpretiert die studierte Kommunikationsdesignerin unter dem Titel „Es ist unglaublich aber wahr" die Geschichte jenes weiß gefiederten, kurzbeinigen, respektablen Huhns, dem eine winzig kleine Feder ausgefallen ist, und das im Scherz vor sich hinplaudert, dass es mit jeder ausgerissenen Feder umso schöner werde.
Was das Huhn im Halbschlaf vor sich hingemurmelt hat, wird von anderen Hennen missverstanden, wird verfälscht weitergetragen durch die Eulen zum Uhu und von dort zu den Tauben bis zum Hahn. Er kann dann schon von drei Hennen berichten, die aus unerfüllter Liebe sich alle Federn ausgezupft haben und erfroren sind. Und nachdem dann auch noch die Fledermäuse „die unglaubliche aber wahre Geschichte" weitergegeben haben, sind es am Schluss gar fünf Hennen. Zuallerletzt erkennt die Henne, die die Geschichte anfangs erzählt hat, ihre eigene Geschichte nicht wieder und sorgt für deren Verbreitung durch die Zeitung. Eine Parabel, die vom Witz hinter den Steigerungen der „Wahrheiten" lebt.
Humorvoll, detailreich, lebendig setzt Catrin Raber die Stille-Post-Geschichte von Hans Christian Andersen in erfundenen Bildern in Szene. Neben der Darstellung der Gesellschaft – prachtvolle Hühner und Hähne und andere tierische Nebendarsteller – sind Zeitungen und handgeschriebene Schrift aus einer Zeit von 1850 illustriert, oder die Herstellung einer Zeitung, inklusive alter Schnelldruckpresse.
„An einem unbekannten Ort intensivieren sich die Sinne"
Wie die Zeitungen und die Druckmaschine vor 170 Jahren aussahen, recherchierte Catrin Raber im Deutschen Zeitungsmuseum Wadgassen, denn „altes Wissen schafft Erfahrung für die Gegenwart, es erleichtert Zukunft zu gestalten", so die Illustratorin.
An dem Prozess der Buchherstellung sind üblicherweise viele Menschen beteiligt. Da das Buch in Eigenregie erstellt wurde, konnte es nur im Eigenverlag erscheinen.
Gefördert wurde das Projekt vom Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes mit einem zweimonatigen Stipendium im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, dem ehemaligen Landsitz des Dichterehepaares Achim von Arnim und Bettina von Arnim. Bettina von Arnim schrieb über Andersen: „Alle Könige und Fürsten Europas würden nun … Andersens … Märchen lesen und auf diese Weise die schönsten Wahrheiten des Lebens erfahren."
„Wiepersdorf war eine Quelle der Inspiration. Der ländliche Raum, die Bauernhäuser, die Felder, der Kiefernwald. An einem unbekannten Ort zu arbeiten bedeutet, dass sich die
Sinne intensivieren. An jeder Ecke Hühner. Im stillen Raum des Ateliers krähte ab und an ein Hahn. Wie gut die Geschichte zum Ort passte, an dem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei den von Arnims geistige Größen ein- und ausgingen, war mir anfangs nicht bewusst. In der Szene der Fledermäuse, die die Nachricht weitergeben, ist die Aufteilung des Ortes und der Bauernhäuser denen von Wiepersdorf ähnlich. Diese sind in Fledermaus-Perspektive und Nachstimmung gezeigt. Insgesamt wandelt das Buch in Tag- und Nachtstimmung, was die Dramatik erhöht. Es gibt viel im Buch zu entdecken."
Die Entwürfe zum Buch entstanden in Wiepersdorf. Die farbigen Ausführungen der Illustrationen in Schiffweiler. Sie sind großformatig angelegt – 90 mal 35 Zentimeter – in Acryl-Mischtechnik und übersetzen die anspruchsvolle Thematik in eine kindgerechte Bildsprache. Der Text, die Illustrationen, die Reproduktionen, die typografische Gestaltung, das Layout – von der Idee bis zum fertigen Buch, das im Saarland produziert wurde, dauerte die Herstellung insgesamt 18 Monate. Zur ersten Lesung im historischen Sitzungssaal in Ottweiler kamen 75 Interessierte, das zeigt, dass ein großes Interesse an dieser Art von Büchern besteht.
„Es ist unglaublich, aber wahr" ist ein lehrreiches Stück Kulturgut für kleine und große Leser, interessant auch für den Schulunterricht. Das Buch ist über den Buchhandel bestellbar. Im Programm des Friedrich-Bödecker-Kreises Saarland kann es von Bibliotheken und Schulen als Lesung gebucht werden.
Für die Leipziger Buchmesse hatte Catrin Raber bereits gepackt. Mit dabei sein sollte auch ein früheres Werk, „Sinfonica Fantastica – eine Reise zu den Grillharmonikern". Ein Buch für große und kleine Philosophen, die gern durch eine Welt der Fantasie reisen sowie Postkarten. Doch die Absage wegen des Coronavirus hat letztlich auch die Chance zunichtegemacht, ihre Arbeiten einem breiten Publikum vorstellen zu können.