Die USA, Russland und Saudi-Arabien sind zur Überproduktion verdammt
Jahrzehntelang galt Rohöl als das Schmiermittel der Weltwirtschaft. Das Naturgesetz des „schneller, höher, weiter" wurde nur durch gelegentliche Konjunkturabschwünge unterbrochen. Doch die Corona-Pandemie lässt einen perfekten Sturm über der globalen Wirtschaft – und damit auch der Ölbranche aufziehen. Die Fabriken stehen still, die Flugzeuge fliegen nicht, die globalen Lieferketten sind gekappt.
Die Industrie steht unter Schock. Die Internationale Energieagentur erwartet, dass die globale Nachfrage von bislang rund 100 Millionen Barrel pro Tag im April um fast 30 Millionen Barrel einbricht. Die Preise stürzten seit Januar um etwa 70 Prozent ab. Zu Beginn der vergangenen Woche war der Preis eines mittlerweile ausgelaufenen Terminkontrakts auf die US-Ölsorte West Texas Intermediate (WTI) erstmals in der Geschichte unter die Nulllinie gefallen.
Dass sich in absehbarer Zeit eine radikale Wende anbahnt, ist unwahrscheinlich. Erstens wird die Konjunktur zwischen Chicago und Schanghai nach der Corona-Krise nur in kleinen Schritten wieder auf Trab kommen. Der Hunger nach dem Rohstoff dürfte also eher gezügelt ausfallen.
Zweitens leidet der Weltmarkt an einer strukturellen Überproduktion. Die mit Abstand größten Rohölproduzenten waren 2019 die USA (Fördermenge: 12,2 Millionen Barrel am Tag), Russland (10,8 Millionen Barrel) und Saudi-Arabien (9,8 Millionen Barrel). Alle drei sind aus innenpolitischen Gründen darauf angewiesen, so viel schwarzes Gold wie möglich aus der Tiefe zu holen.
Es gehört zur „America-First"-Strategie von US-Präsident Donald Trump, mit dem Status seines Landes als größter Ölmacht der Welt zu prahlen. Jahrzehntelang waren die Vereinigten Staaten abhängig von ausländischen Energielieferungen, insbesondere aus dem Nahen Osten. Nun können sie Öl exportieren.
Möglich wurde dies durch die Fracking-Revolution. Mit der neuen Fördertechnologie lässt sich Schieferöl gewinnen, indem ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in tiefe Gesteinsschichten gepumpt wird. Das Problem dabei: Der finanzielle Auswand ist hoch. Experten schätzen, dass der Ölpreis mindestens 40 Dollar pro Barrel betragen muss, damit Fracking in Amerika wirtschaftlich ist. Derzeit bewegt sich die Spanne für die US-Sorte WTI zwischen 15 und 20 Dollar. Vielen der neuen Öl- und Gasfirmen in Texas, North Dakota oder Colorado droht nun die Pleite, weil sie ihre Kreditzinsen nicht mehr bezahlen können.
Sieben Millionen Arbeitsplätze hängen an der US-Energiebranche. Für Trump ist das rund sechs Monate vor der Präsidentschaftswahl am 3. November ein Alarmsignal. Er werde die amerikanische Ölindustrie niemals im Stich lassen, kündigte der Chef des Weißen Hauses an. Seine Administration arbeite bereits fieberhaft an einem Rettungspaket, heißt es.
In Russland sind die Öl- und Gaskonzerne das Rückgrat der Wirtschaft – und die wichtigste Einnahmequelle für den Staat. Mit diesem Geld werden nicht nur die expansive Rüstungspolitik, sondern auch sozialpolitische Leistungen wie die Renten finanziert. Das eine braucht Präsident Wladimir Putin zur Untermauerung seines Anspruchs von Russland als Weltmacht, das andere verschafft ihm Zustimmung zu Hause.
Doch die Bäume wachsen auch für die Energie-Großmacht Russland nicht in den Himmel. Als Putin im Schatten der Fußball-Weltmeisterschaft eine Erhöhung des Renteneintrittsalters durchboxen wollte, gab es im ganzen Land Proteste. Der Kremlchef musste schließlich zumindest teilweise zurückrudern. Die Talfahrt bei den Ölpreisen trifft Moskau sehr – und verstärkt den Druck zur Förderung auf hohem Niveau.
Ähnliche Zwänge lasten auf Saudi-Arabien. Das Königreich ist auf üppige Einnahmen aus dem Ölexport angewiesen. Eine Reihe von staatlichen Subventionsprogrammen wie billiger Strom oder Sprit speist sich aus der Schatulle mit den Petrodollars. Eine der Lehren aus dem Arabischen Frühling hat man in Riad schnell gezogen: Die Bevölkerung soll durch Wohlstand ruhiggestellt werden und keine Begehrlichkeiten nach mehr politischer Mitsprache entwickeln.
Die Rohstoff-Giganten Saudi-Arabien, Russland und die USA stecken in der Ölpreis-Falle. Sie müssen große Mengen an Energie fördern, um ihre innenpolitischen Vorhaben voranzutreiben. Das dämpft auf absehbare Zeit die Preise.