Die Folgen der Corona-Krise machen dem Profifußball finanziell und atmosphärisch zu schaffen. Keine neue Erfahrung: Auch in der Vergangenheit hatte die Bundesliga schon mit harten Rückschlägen zu tun – und sich immer wieder aus der Affäre ziehen können.
Der 15. Dezember 1995 hat den Fußball verändert. Es ist der Tag, an dem der Name eines mediokren belgischen Kickers zum Inbegriff der neuen Freiheit von Fußballprofis wird und das sogenannte Bosman-Urteil die gängige Transferpraxis auf den Kopf stellt. Das alles hat Jean-Marc Bosman aber gar nicht im Sinn, als er im 1990 gegen seinen Ex-Club RFC Lüttich und den belgischen Fußballverband auf Schadenersatz klagt. Was war passiert? Bosmans Vertrag in Lüttich lief aus, und er wollte nach Frankreich zur USL Dunkerque wechseln. Doch Lüttich stellte sich quer und forderte den damaligen Gepflogenheiten entsprechend eine Ablösesumme für Bosman.
Dunkerque wollte nicht zahlen, und so stand Bosman auf der Straße. Letztlich landete das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, wo das bisherige Transfersystem schließlich trotz Lobbyarbeit von Fifa und Uefa auf links gedreht wird. Demnach können Spieler nach Vertragsende ablösefrei zu einem anderen Verein wechseln. Für Kicker aus der Europäischen Union bedeutet das Urteil zudem, dass sie innerhalb der EU im Sinne der Arbeitnehmerfreizügigkeit unter keine Ausländerbeschränkung fallen. „Das war ein Urteil mit schweren Folgen für den Fußball. Es war schön für die Spieler und schlecht für die Clubs", meint Bayern-Chef Karlheinz Rummenigge rückblickend über den schicksalhaften Tag. Denn seitdem verfügen Fußballer über eine enorm verbesserte Verhandlungsposition: Sie profitieren nun neben den ohnehin rasant steigenden Gehältern von längeren Vertragslaufzeiten und enormen Handgeldern bei ablösefreien Wechseln. Viele Vereine haben zunächst mit den neuen Rahmenbedingungen zu kämpfen und sind sich unsicher, wie es nun weitergehen soll. Gerade jene Clubs, die sich bevorzugt über Spielerverkäufe finanzieren, fürchten um ihre Existenz und Konkurrenzfähigkeit. Und in der Tat hat das Bosman-Urteil – neben anderen Faktoren – dazu beigetragen, dass die Kluft zwischen den großen und den nicht ganz so großen Vereinen immer größer geworden ist. Für Bosman selbst lohnt sich sein langer juristischer Kampf nicht. Vom System als Nestbeschmutzer gebrandmarkt, ist seine Karriere mit dem nach ihm benannten Urteil quasi beendet. Der „Bild" offenbart er: „Das Urteil hat nicht nur meine Karriere, sondern auch mein Privatleben zerstört." Bosman lebt mittlerweile verarmt und zurückgezogen in seiner Heimat.
„Ein Urteil mit schweren Folgen"
Ihre eigene Verarmung befürchten die Vereine der Bundesliga im Frühjahr 2002. Als das schon länger kriselnde Unternehmen Kirchmedia GmbH & Co. KGaA endgültig Insolvenz anmeldet, schreckt das die Macher der Clubs auf. Schließlich hängen sie finanziell am Tropf des Medienmoguls Leo Kirch. Denn nur zwei Jahre zuvor vereinbarten Kirch und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) einen epochalen Deal über die TV-Rechte, der den 36 Proficlubs des Landes insgesamt drei Milliarden Mark (rund 1,53 Milliarden Euro) bescheren soll. Ein Quantensprung. Etats, Gehälter und Ablösesumme steigen rasant, mit vollen Händen wird der neue Reichtum verteilt und die Abhängigkeit von den Fernsehgeldern endgültig manifestiert.
Entsprechend schockiert ist man aufseiten der Vereine, als Kirchs Imperium kollabiert und die eingeplanten Einnahmen auszubleiben drohen. Bayer Leverkusens damaliger Manager Reiner Calmund erinnert sich auf „spox.com" an die bedrohliche Situation und vergleicht sie mit der aktuellen: „Die Kirch-Pleite betraf damals die TV-Gelder für die komplette Saison 2002/03. Das war ein richtiger Donnerschlag, der Betrag lag bei rund 300 Millionen Euro. Rein buchhalterisch und wirtschaftlich war die Krise für den deutschen Fußball damals schlimmer." Als etwas hartleibiger und erschütternder als die Kirch-Krise erweist sich hingegen der sogenannte Bundesligaskandal von 1971. Bis dahin ist die erst acht Jahre zuvor gegründete Liga eine absolute Erfolgsgeschichte und ein tourenstarker Motor des deutschen Fußballs. Doch als Horst-Gregorio Canellas, Präsident das damaligen Bundesligisten Kickers Offenbach, inmitten seiner illustren Geburtstagsgesellschaft Mitschnitte von zwielichtigen Telefonaten abspielt, bricht eine Welt zusammen. Es wird offenbar, dass der jüngste Abstiegskampf nicht auf dem Platz entschieden, sondern bei mindestens 18 Partien mit Bestechungen nachgeholfen werden sollte. Vor allem Arminia Bielefeld „investiert" erfolgreich und sichert sich nach gekauften Siegen gegen den VfB Stuttgart, Schalke 04 und Hertha BSC letztlich den Klassenerhalt. Auch Canellas ist – seiner Aussage nach nur zum Schein – mittendrin. Allerdings ist Offenbachs Präsident nicht so spendabel wie die Bielefelder, sodass sein Club absteigt und er daraufhin das unlautere Gebaren publik macht. Dem DFB kommen die Enthüllungen überaus ungelegen. Der Verband hat alle Hände voll zu tun mit der Organisation der Weltmeisterschaft 1974 und muss nun mitansehen, wie sich große Teile der Öffentlichkeit enttäuscht vom Fußball abwenden. Mit dem Entzug der Lizenz für die Kickers und hastig gesprochenen Urteilen gegen Canellas und drei weitere Offenbacher Funktionäre, gegen Kölns Torwart Manfred Manglitz sowie die Hertha-Spieler Tasso Wild und Bernd Patzke will der DFB entschlossenes Handeln beweisen und den Skandal schnellstens hinter sich bringen. Doch stattdessen ist man jahrelang mit der Aufklärung und Bestrafung beschäftigt, das letzte Urteil ergeht erst 1976. Letztlich trifft es 53 Spieler, zwei Trainer und sechs Funktionäre, die mit Geldstrafen und teilweise (später wieder aufgehobenen) lebenslangen Sperren belegt werden, Arminia Bielefeld muss zwangsabsteigen.
Bosman-Urteil veränderte vieles
Der Vertrauensverlust in die Liga ist enorm, die Zuschauer wenden sich in Scharen ab. Spazierten in der Saison 1970/71 noch 6,3 Millionen Fans in die Stadien, sind es zwei Jahre später nur noch fünf Millionen, was einem Schnitt von bloß rund 16.000 Zuschauern entspricht. Ein enormer Schlag für die Vereine, deren Budgets sich seinerzeit hauptsächlich aus Eintrittsgeldern speisen. Doch spätestens mit dem WM-Triumph 1974 und die für das Turnier errichteten Stadien findet die Liga wieder in die Spur. Um einem weiteren Skandal vorzubeugen, zieht der DFB seine Lehren. Er kassiert die Gehaltsobergrenze für Profis, um diese weniger anfällig für Bestechungen zu machen, und führt die Zweite Liga ein, um den Abstieg aus dem Oberhaus etwas weniger schmerzhaft zu gestalten. Letztlich gehen die Geschehnisse als Schrecken mit Ende in die Geschichte ein – doch es bestehen noch immer schwere Zweifel, ob der Skandal vollumfänglich aufgeklärt wurde.