Marta Jandová ist das Aushängeschild der deutschen Rockband Die Happy. Nach sechsjähriger Funkstille erscheint nun das Album „Guess What". Im Interview spricht die Rocksängerin, Moderatorin, Musical-Darstellerin und Schauspielerin über ihre außergewöhnliche Familie, harte Klänge und die Corona-Krise in Prag.
Marta, Sie leben seit etlichen Jahren wieder in Prag, Ihrem Geburtsort. Wie streng sind dort die Corona-Maßnahmen?
Wer rausgehen will, muss einen Mundschutz tragen. Das fühlt sich sicherer an. Anfangs haben sich Leute noch im Park getroffen und Alkohol getrunken. Inzwischen darf man nur noch zu zweit auf die Straße. Familien bilden eine Ausnahme. Es gibt gesonderte Einkaufszeiten für Senioren, damit die nicht mit jungen Leuten zusammenkommen.
Wird die Corona-Zwangspause für die Band sehr teuer?
Die Happy ist seit ein paar Jahren nicht mehr unsere Hauptverdienstquelle. Unser Gitarrist Thorsten arbeitet bei einer Managementfirma und begleitet viele Bands bei ihren Tourneen. Die wurden alle abgesagt. Das ist für ihn schwierig. Für uns als Band ist es aber nicht so schlimm, weil wir für diese Zeit kaum Konzerte geplant hatten. Ich habe einen Mann, der Geld verdient – und ich arbeite von Montag bis Freitag fürs Radio. Ich mache alles Mögliche und hatte auch schon meine eigene Fernsehsendung mit 15 Folgen. Das Leben ist zu kurz, um nur Sängerin zu sein.
Ihre neue Platte ist noch vor der Krise fertig geworden. „Guess What?!" ist das neunte reguläre Studioalbum der Band. War der Entstehungsprozess aufgrund der räumlichen Distanz schwierig?
Ich habe mittlerweile eine sehr professionelle Ausrüstung, weil wir unsere Musik in allen Ecken Deutschlands und Tschechiens aufnehmen. Ich musste einiges im Nachhinein einsingen wie zweite Stimmen. Das habe ich immer nachts im Keller unseres Haus in Prag getan. Bis sich irgendwann eine Nachbarin mit Baby bei mir beschwerte. Die Gesangsspuren habe ich dann in unserem Wochenendhaus fertiggestellt.
Haben Sie schon technische Möglichkeiten gefunden, durch die Sie von Prag aus mit den Bandkollegen in Deutschland gemeinsam proben können?
Ich glaube, dass funktioniert nicht, weil die Partner sich nicht synchron hören können. Es muss nur um eine Viertelsekunde verschoben sein, und schon ist es vorbei.
Die Happy existiert seit Ende 1993. Ist das Bandsein in diesen fast 27 Jahren einfacher oder komplizierter geworden?
Komplizierter wahrscheinlich. Thorsten wohnt in Hamburg, die anderen Jungs in Berlin und ich in Prag. Von Prag nach Berlin sind es 360 Kilometer, aber es fährt kein schneller Zug. Ich wünschte, es gäbe Beamer. Ich habe eine sechsjährige Tochter, die ich jeden Tag zur Schule fahren muss. Und drei Hunde. Die Männer in der Band sagen, sie hätten auch Kinder. Aber diese Kinder haben zu Hause Mütter. Mein Mann ist Arzt und arbeitet jeden Tag von morgens bis abends. Wir haben auch keine Omas mehr. Die neuen Omas sind zum Teil sogar jünger als ich.
Wie das?
Mein Papa ist ein richtiger Rockstar. Er ist 78 und hat fünf Kinder. Die beste Freundin meiner fast siebenjährigen Tochter ist meine fast achtjährige Schwester. Der Sohn meines Bruders ist 30 und mit einer neun Jahre älteren Frau verheiratet. Und die neue Frau meines Vaters ist 38. Die Frau des Enkels ist also älter als die Frau des Opas. Und ich bin drei Jahre älter als mein Mann. Aber die Schwiegermutter meines Mannes ist jünger als ich. Das ist echt lustig.
Zurück zur Musik: Worauf haben Sie bei Ihrer Platte besonderen Wert gelegt?
Wir wollten eine Platte machen mit Musik, die unser Publikum am meisten mag. Sie sollte sich so rauh anhören wie unsere Konzerte. Diesmal gibt es nur zwei halbe Balladen. Ich bin eigentlich ein sehr optimistischer Mensch, aber auch in mir staut sich manchmal Ärger auf. Die schnellen Lieder sind mein Ventil, um ihn rauszulassen. Ralphs Bass und Jürgens Schlagzeug wurden in Berlin aufgenommen, anschließend ist unser Rhythmusgitarrist Thorsten nach Metzingen gefahren. Dort war er mit unserem Produzenten Udo „Rob" Rinklin und dem neuen, fünften Bandmitglied Robert „Robse" Kerner im Studio. Robse hat seine Soli allerdings in Mexiko eingespielt. Und ich habe meine Stimme in Metzingen, bei uns zu Hause im Keller und bei meinem Radiosender aufgenommen. Der Sound ist genau so geworden, wie ich es mir gewünscht habe.
Der Song „Die my Baby" ist während eines Konzerts in der Bochumer Matrix entstanden, als Sie spontan zur Gitarre griffen und ins Mikro brüllten „Die my baby, cause you fucked me up and no one let‘s me down". Wie kamen Sie auf diese Zeilen?
Sie sind aus einem Gefühl heraus entstanden. Manchmal stehe ich auf der Bühne und es fallen ein paar Rädchen aus meinem Kopf heraus. Ich weiß nie, was passieren wird. Bei diesem Konzert habe ich mir einfach Thorstens Gitarre geschnappt und versucht, Power-Chords zu spielen. Zu diesem Geschrammel habe ich spontan „Die my Baby" gesungen, und Jürgen ist dazu eingestiegen. Am nächsten Tag haben wir in Bochum den Song backstage fertig geschrieben.
Gegen wen richtet sich Ihre Wut?
Im Publikum war eine Freundin von uns, die sich gerade in einer Trennungsphase befand. Ich habe mich in sie hineinversetzt. Natürlich wünscht man dem anderen nicht den Tod, aber man ist einfach wütend auf ihn. Im Text heißt es: Heute bin ich eine Ex, morgen schon eine Witwe.
Warum macht Sie schnelle, harte und laute Musik glücklich?
Vielleicht, weil ich damit aufgewachsen bin. Diese Musik ist irgendwie echt. Wenn ich mir alte Hardrocker aus den 70ern anschaue, dann hatten die alle lange Haare. Als Kinder dachten wir: Wow, die sind so heftig, es gibt nichts Härteres! Aber würden deren Songs heute veröffentlicht werden, würde man das Pop-Rock nennen. Ich liebe Grunge, ich liebe Soundgarden, Nirvana und die Foo Fighters. Solch harte Musik hilft mir, etwas von meiner Energie loszuwerden. Bei mir muss alles raus. Beim Aufräumen in der Quarantänezeit höre ich aber lieber Poppiges.
Sie sind in die gegen das Establishment rebellierende Rockmusik hineingeboren worden und mit ihr aufgewachsen. Hat Ihr Vater, der bekannte tschechische Rocksänger Petr Janda, harte Musik gespielt?
Auch. Seine Band Olympic hat sich Anfang der 60er gegründet, sein großes Vorbild waren die Beatles. Aber mein Vater hat auch die Metal-Zeit durchlebt und trug rot-weiß-gestreifte Leggins, die er wahrscheinlich aus Deutschland mitgebracht hatte. Er schreibt fast jedes Jahr ein neues Album. Es ist Rockmusik mit bluesigen Untertönen. In Tschechien kennt ihn jeder. Er ist eine lebende Legende.
Als Jugendliche haben Sie in der Tschechoslowakei den Umbruch von einer sozialistischen Diktatur zur Demokratie miterlebt. Wie war das?
Diktatur ist ein hartes Wort. Die Leute in der Tschechoslowakei und Ungarn hatten es am leichtesten, wir durften ja sogar reisen. Es war aber nicht immer einfach, zum Beispiel nach Jugoslawien zu fahren. Man musste zig Papiere ausfüllen. Manchmal haben wir mehrere Stunden an der Grenze gestanden, weil das komplette Auto durchsucht wurde. Aber sie haben uns reisen lassen. Mit zehn Jahren war ich mit meinem Vater in Südfrankreich. Wahrscheinlich ging das, weil wir nur die halbe Familie waren. Mein Vater hatte dort ein paar Konzerte. An jedem zweiten Haus in der Tschechoslowakei hing damals ein roter Banner mit gelben Buchstaben: Mit der Sowjetunion auf Ewigkeit! Am 1. Mai bekamen alle Bürger immer tschechische und sowjetische Fahnen und mussten sich vor unseren Politikern verbeugen. Wer das nicht tat, bekam Probleme.
In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden Regimekritiker in der Tschechoslowakei verhaftet, verhört, observiert, bekamen Berufsverbot oder wurden von der Gesellschaft isoliert.
Mein Opa war anfangs Anwalt mit eigener Kanzlei in Prag, aber das kommunistische Regime hat ihm alles weggenommen, bis auf eine Wohnung zur Miete in seinem eigenen Haus. Er wurde dann in eine Fabrik geschickt und durfte nie wieder als Anwalt arbeiten. Und mein Vater durfte nicht aufs Gymnasium, sondern musste Telefontechniker lernen. Später hat er in seinen Texten zwischen den Zeilen über das Regime geschrieben. Einmal hat man es herausgefunden, und mein Vater durfte zwei Jahre nicht im Radio und Fernsehen auftreten. Es war eine spezielle Zeit. Wir haben immer Radio Free Europe gehört. Am 17. November 1989 sind in Prag und anderswo Tausende Studenten zum Demonstrieren auf die Straße gegangen, aber viele wurden von der Polizei verprügelt. Am nächsten Tag habe ich in der Schule gesagt, dass es so nicht weitergehen könne, obwohl ich so ein Schisser bin. Meine Eltern bekamen Angst um mich, aber zum Glück ist alles gut geworden. Wenn ich jetzt aber sehe, wie die Kommunisten bei uns wieder aufsteigen, habe ich ein sehr ungutes Gefühl.
Gibt es einen Song von Ihrem Vater, der Ihnen besonders viel bedeutet?
Ja, solch ein Lied gibt es. Ich singe es manchmal sogar mit ihm. Es stammt aus dem Jahr 1971 und heißt „Otázki" und dreht sich um Fragen wie: Wohin führen all diese Wege? Wie lange werde ich noch singen und spielen? Warum gibt es so viele böse Wörter? Es ist fast schon ein philosophisches Lied.