Volleyballer Moritz Reichert aus Lebach ist einer der Besten seiner Zunft. Corona hat ihn und ganz Volleyball-Deutschland eiskalt erwischt. Nach dem Bundesliga-Abbruch ohne Meister und dem Rückzug dreier Teams soll Reicherts Topteam BR Volleys vor einem Wechsel in die polnische Liga stehen.
Die Berlin Recycling Volleys haben jedes ihrer 20 Spiele der Volleyball-Bundesligasaison 2019/2020 gewonnen. Trotz elf Punkten Vorsprung auf die United Volleys Frankfurt und den VfB Friedrichshafen hat es zur Meisterschaft nicht gereicht. Die Spielzeit wurde aufgrund der Corona-Pandemie vorzeitig abgebrochen und – anders als beispielsweise im Handball mit dem THW Kiel – kein Meister ermittelt. Dabei waren schon 20 von 22 Spielen absolviert. Saarländer Moritz Reichert, Kapitän und Leistungsträger des Tabellenführers, war im ersten Moment „schon ziemlich genervt. Wenn man so wenige Spiele vor Schluss so weit vorne ist und es nicht zu Ende bringen darf, ist das blöd", sagt er: „Als mir aber die gesamte Situation klar wurde, habe ich mich schnell damit abgefunden. Da gab es viele Dinge, die auf einmal viel wichtiger waren als der Sport." Außerdem hätten nach dem Abschluss der Hauptrunde die Play-offs um den Titel angestanden. Und dass hier auch noch der Drittplatzierte Meister werden kann, haben die BR Volleys selbst 2019 bewiesen. Spannend bleibt, wer sich für die Champions League und Europa League qualifizieren wird.
Böse Zungen behaupten, dass Reichert nur der vorzeitige Abbruch eine verletzungsfreie Runde ermöglicht hat. Spaß beiseite: „Ich bin froh, dass ich endlich mal ohne größere Verletzung durchgehend spielen konnte. Es lief bis dahin für mich schon ganz gut, ich kann mich nicht beschweren", sagt der Lebacher, der zum Volleyballer des Jahres 2019 gewählt wurde, und findet: „Das gesamte Team war von Anfang an gut drauf, unsere Leistungen waren im Großen und Ganzen konstant." Nur in der Champions League ließ das deutsche Spitzenteam zwei, drei mögliche Siege liegen – auch gegen favorisierte Teams. „Hier hätten wir uns gerne noch für die nächste Runde qualifiziert. Auch, wenn das durch den Abbruch ja hinfällig gewesen wäre", merkt der 25-Jährige an und schiebt nach: „Immerhin war das Pokalfinale so früh angesetzt, so konnten wir wenigstens diesen Titel mitnehmen. Insgesamt bin ich mit der Saison ganz zufrieden." Das Endspiel in Mannheim fand bereits Mitte Februar statt. Reichert und Co. ließen den Powervolleys Düren beim glatten 3:0-Sieg keine Chance.
Im ersten Moment „ziemlich genervt"
Statt der fast schon routinierten Feierei – Berlin wäre zum fünften Mal in Folge Deutscher Meister geworden – herrschte auch in der Bundeshauptstadt nach dem Abbruch eine „absolute Ausnahmesituation", berichtet Reichert, der am 15. März, also just zum Start erster Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, 25 Jahre alt wurde: „Von jetzt auf gleich gab es plötzlich diesen Cut. Rückblickend kann man jetzt sagen, dass diese Entscheidungen wohl richtig waren. Mit der Zeit habe ich mich relativ gut an die Situation gewöhnt und damit arrangiert." Wenigstens war er in der Zeit der größten sozialen Einschränkungen nicht alleine, sondern zusammen mit seiner Freundin in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg. „Hier war das normale Leben zwischenzeitlich heruntergefahren, auch wenig unterwegs, aber wir haben das Beste draus gemacht", erinnert er sich. Dazu gehörte gleich zu Beginn der Pandemie eine kurze Erholungspause. Schließlich liegt mit dem extrem dicht besiedelten Terminkalender 2019 und Bundesliga, Champions League, Pokal sowie Nations League und Olympia-Qualifikation ein überaus anspruchsvolles Jahr für Körper und Geist hinter ihm. Mit Heimtraining hielt er sich fit und steigerte die Intensität Stück für Stück mit Einheiten im Rehazentrum einer mit dem Verein kooperierenden Arztpraxis. Weil es sich um eine medizinische Einrichtung handelt, war diese nicht wie Fitnessstudios von einer zwischenzeitlichen Schließung betroffen. Neben Zeit mit seiner Freundin und dem Stand-by-Training nutzte Moritz Reichert die Zeit auch, um in seinem Immobilienmanagement-Fernstudium voranzukommen. Demnächst will er zudem die Familie im Saarland besuchen.
Während sich das Leben in Deutschland ringsum langsam, aber stetig auf einen Zustand der Wiederöffnung zubewegt, tun sich vor Nationalspieler Reichert Fragen nach der sportlichen Zukunft auf, wie: Wann darf wieder „normal", also im Mannschaftverbund, trainiert werden? Oder ganz grundsätzlich: Wann beginnt die nächste Saison? Sind bis dahin wieder Zuschauer erlaubt? Für welchen Verein werde ich dann spielen? Und: in welcher Liga? Fakt ist: Reicherts Vertrag in Berlin läuft aus und aufgrund der Pandemie und der damit einhergehenden Unsicherheit bei den Vereinen finden Vertragsgespräche später statt als üblich. Mitten in die Phase des Leerlaufs, der Fragezeichen und der allgemeinen Verunsicherung platzte schließlich ein bemerkenswerter Vorschlag. Kaweh Niroomand, Manager und Macher der Berlin Recycling Volleys, kokettierte auf einmal mit einem Wechsel aus der Bundesliga in die stark besetzte Erste Liga Polens. „Dieses Thema kam ganz kurzfristig groß auf, und das ist sicher auch dem geschuldet, dass es im Sport im Moment eher wenig anderes zu berichten gibt", glaubt Moritz Reichert und gibt zu: „Das kam schon überraschend, vorher war das in der Mannschaft nie ein Thema."
Ein großer Schlag für die deutsche Volleyball-Liga?
Die Gedankenspiele, die dahinter stecken, kann der Kapitän der BR Volleys „schon nachvollziehen, und aus sportlicher Sicht wäre das sicher attraktiv. Es ist einfach eine starke Liga, die in Polen schon eine große Aufmerksamkeit und Wertigkeit genießt. Volleyball ist dort sehr beliebt", stellt er fest. Auf der anderen Seite wäre es ein großer Schlag für die deutsche Liga, die nicht nur sportlich sondern auch „darüber hinaus ein großes Standbein verlieren würde. Das wäre sicher ein Problem", weiß Reichert. Zumal schon vorher mit dem VC Eltmann, dem TV Rottenburg und den AlpenVolleys Haching drei Mannschaften ihren Rückzug aus der Bundesliga erklärt hatten. Aktuell zählt die Volleyball-Bundesliga der Männer somit nur noch neun Vereine. Wenn sich der Top-Verein der vergangenen Jahre in Richtung Polen verabschieden würde, „würde das der Liga schon einen immensen Schaden zufügen", ist Reichert sicher und ergänzt: „Ich bin gespannt, wie die Gespräche laufen. Ich selbst habe ja eher wenig Einfluss auf das Ergebnis."