Die Pandemie hat den Geldmarkt anfangs verunsichert. Auch die Deutsche Bank hat Risikopositionen abgestoßen, sagt Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege des größten deutschen Bankhauses. Die Unsicherheit bleibt, denn nun komme es darauf an, wie die Menschen auf die lockernden Maßnahmen der Politik reagieren.
Herr Stephan, in diesen dynamischen und für viele Menschen finanziell schwierigen Zeiten suchen Anleger nach Verlässlichkeit. Wie schwierig sind denn derzeit die Vorhersagen für Sie?
Vorhersagen sind immer mit Vorsicht zu genießen. Wenn wir von den Märkten reden, geht es immer auch um handelnde Menschen. Und deren Handlungen können sich ändern. Anleger müssen unterscheiden zwischen einer „Risiko-Welt" und einer „unsicheren Welt". „Risiko-Welt" bedeutet, dass wir mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angeben können, dass ein künftiges Ereignis eintritt oder nicht – beispielsweise ein Würfelspiel. Hier ändern sich die Bedingungen, unter denen eine Prognose erstellt wird, nicht. In einer „unsicheren Welt" ändern sich die Rahmenbedingungen und wir wissen nicht wie plötzlich und unerwartet. Da muss man mit Prognosen vorsichtig sein. Wir beobachten die Märkte sehr genau und ändern unsere Prognosen, wenn sich die Bedingungen ändern.
Aber ist es derzeit komplizierter, den Markt vorherzusehen als vor der Pandemie?
Es wird immer dann schwieriger, wenn die Politik eine große Rolle spielt. Vorhersagen sind leichter abzuleiten, wenn es um ökonomische Fundamentaldaten wie beispielsweise die Inflation, die Notenbanken, oder um sonstige wirtschaftliche Kennzahlen geht. Gerade in den letzten Jahren gab es auf politischer Seite aber immer wieder unvorhersehbare Entscheidungen. Bestes Beispiel derzeit: der Konflikt der USA mit China. Hier müssen wir davon ausgehen, dass Entscheidungen bezüglich des Handels mit China im Weißen Haus schon mit Blick auf den Wahlkampf getroffen werden. Wir wissen nicht, wer wann aus welchen wahlkampftaktischen Gründen welche Entscheidung trifft, die auf die Ökonomie und auf die Börse rückschlägt. Gleiches gilt für fiskalpolitische Maßnahmen, die öffentlich verkündet werden: Sind sie veröffentlicht, reagieren die Teilnehmer am Markt, wenn sie „das Gras wachsen hören". Sie interpretieren die Maßnahmen entsprechend mal in die eine, mal in die andere Richtung. Deswegen sind diese Zeiten für uns besonders herausfordernd: weil es viel politischen Einfluss gibt.
Wie haben Sie als Anlage-Experten auf die fallenden Börsen reagiert, wie sollten die Anleger selbst derzeit agieren?
Wir haben schon im Februar Risikoposten abgebaut. Aber wir haben nicht damit gerechnet, dass der Verfall der Aktienmärkte zu Beginn der Krise so schnell geht. Dennoch haben wir unseren Kunden gesagt, Panik ist jetzt falsch. Im Augenblick würde ich mich etwas defensiver aufstellen, vor dem Hintergrund, dass wir noch nicht über den Berg sind. Die Stimmung und die Zahlen verbessern sich, ja, aber Rückschläge sind möglich. Und wir wissen heute noch nicht, wie die Menschen auf die Öffnungen reagieren werden. Wird wieder gereist, ins Restaurant oder Kino gegangen? Auch dürften die Berichte zum zweiten Quartal im Juli schlecht ausfallen.
Was sagen Ihre Kennzahlen denn für die deutsche Wirtschaft im Licht der Pandemie voraus?
Wir haben im ersten Quartal schon gesehen, dass die deutsche Wirtschaft um 2,2 Prozent einbricht, das war noch relativ moderat verglichen mit zukünftigen Prognosen. Dennoch war es einer der stärksten Rückgänge der letzten Jahre. Aber der Shutdown hat erst gegen Ende März begonnen. Erst im April ging es dann wirklich los. Jetzt sind wir im Juni und fahren langsam wieder hoch. Bis wir auf einem Niveau wie vor der Krise in der Produktion und den Dienstleistungen sind, wird aber noch etliche Zeit vergehen. Zur vollständigen Öffnung und Rückkehr zur Normalität braucht es wahrscheinlich einen Impfstoff. Trotzdem hoffen wir, das dritte Quartal wird besser als das zweite, vor dem Hintergrund der graduellen Öffnung des Landes und dem Herauffahren der Wirtschaft. Die Frage von V- und U-förmiger Erholung ist aus unserer Sicht über die Zeit zu beantworten. Vergleicht man aber das dritte Quartal mit dem zweiten Quartal 2020, sollte sich ein V ergeben. Bis Ende 2021 dürften wir das Niveau von 2019 noch nicht erreicht haben. Den Tiefpunkt aber sollten wir hinter uns haben.
Die Wirtschaft soll seitens der EU nun mit einem besonderen Fokus auf einen Green Deal angekurbelt werden. Ist Umwelt- und Klimaschutz hinderlich für einen Neustart oder ist genau jetzt die richtige Zeit für eine Veränderung in Richtung einer grüneren Wirtschaft?
Ich gehöre nicht zu den Menschen, die davon ausgehen, dass sich alles radikal ändern wird. Vielmehr glaube ich, Trends werden in der Krise verstärkt. Der Trend hin zu mehr Klimaschutz war ohnehin vor der Krise schon präsent, ebenso die Digitalisierung, neue Mobilität. Dies wird sich also meiner Meinung nach verstärken und beschleunigen. Der Politik würde ich allerdings empfehlen, den Ordnungsrahmen der einzelnen Wirtschaftssektoren abzustecken und weniger kleinteilige Prozesspolitik zu betreiben. Das bedeutet, nicht konkrete Vorgaben zu Techniken, Materialien oder Prozessen zu machen, sondern beispielsweise mehr Wirtschaftsbereiche in den CO2-Emissionshandel einzubeziehen. Dann werden kreative Menschen die besten Lösungen für effizientere Maschinen, saubere Motoren, bessere Medizintechnik finden.
Also eine gute Idee, jetzt in grüne Technologien zu investieren?
Wir sehen, dass derzeit Investitionen zurückgehalten werden, dass Unternehmen und Menschen allgemein ihr Geld zusammenhalten. Wenn wir nun wieder investieren, sollten wir zum Beispiel die begonnene Energiewende auch konsequent weiterführen und darin mehr investieren: in Windparks, Solarstrom, Leitungen, in die Wasserstoffforschung. Hier hat die Bundesregierung mit dem Konjunkturprogramm die richtige Richtung eingeschlagen. Ansonsten wird Deutschland es nicht schaffen, sich rein über erneuerbare Energien zu versorgen. Ökologisch und ökonomisch macht es keinen Sinn mehr, Atomstrom aus Frankreich oder Kohlestrom aus Polen zu beziehen. Ob man nun dafür noch das Erneuerbare-Energien-Gesetz benötigt oder nicht doch besser alle Wirtschaftssektoren konsequent in den CO2-Handel miteinbezieht, sollten wir dabei diskutieren.