Die Formel E beendet ihre Saison nach der Corona-Pause mit sechs Rennen binnen neun Tagen auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin. Überhaupt wird in der Elektrorennserie Deutsch gesprochen: Gleich vier Fahrer und ebenso viele Hersteller stammen von hier.
Lange Zeit sah es danach aus, dass die Formel 1 trotz zahlreicher Rennausfälle infolge von Corona in diesem Jahr kein Rennen in Deutschland austragen würde. Nach wochenlangen Verhandlungen einigte sich die Nürburgring GmbH mit dem Veranstalter Liberty Media nun aber doch auf ein Rennen im Oktober. Aus deutscher Sicht endlich wieder ein positives Signal aus der Königsklasse des Motorsports, nachdem man sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr aus dem Fahrerlager verabschiedet hatte. Mit Sebastian Vettel sitzt in dieser Saison lediglich noch ein deutscher Fahrer in einem Formel-1-
Cockpit, und auch dessen Zukunft ist ungewiss. Ganz anders dagegen in der Formel E, wo gleich vier Fahrer aus Deutschland stammen und ebenso viele Hersteller. Mit Audi, BMW, Mercedes und Porsche sind alle großen Marken in der Elektrorennserie vertreten. „Es fühlt sich an wie in der Bundesliga", sagte Audi-Teamchef Allan McNish bereits im Winter über die besondere Konstellation.
Da scheint es nur konsequent, dass die Elektrorennserie ihre Saison nach fünf Monaten Corona-Pause ab dem 5. August in Berlin fortsetzt: Sechs Rennen binnen neun Tagen werden darüber entscheiden, wer in dieser Saison den Titel holt. Berlin bleibt damit die einzige Stadt, die in jeder Saison im Rennkalender vertreten war.
Zugegeben: Es hatte auch einfach logistische Gründe, dass sich die Formel E für das große Finale die deutsche Hauptstadt ausgesucht hat. In Berlin wird wie an den anderen Austragungsorten zwar ebenfalls mitten im Stadtzentrum gefahren, allerdings nicht auf öffentlichen Straßen, die man für einen langen Zeitraum sperren müsste, sondern auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. Die Aufbauten stören dort niemanden. Einschränken muss sich die Formel E trotzdem: Anstatt der üblichen 5.000 Personen besteht der Tross aus Teams, Streckenposten und Produktion wegen der Corona-Vorgaben dieses Mal nur aus 1.000 Personen; die Teams etwa dürfen statt sonst 40 nur 21 Mitarbeiter einsetzen. Auf das Gelände kommt nur, wer einen negativen Corona-Test vorweisen kann; Zuschauer sind gar nicht erst zugelassen. Die Fans können die Rennen allerdings im Fernsehen verfolgen: Eurosport und die öffentlich-rechtlichen Sender übertragen sämtliche Wettbewerbe.
Drei Double-Header am 5./6. August, 8./9. August und 12./13. August sind für das Finale vorgesehen, jeweils mit einer anderen Streckenführung. Dadurch ergeben sich unterschiedliche Strategiemöglichkeiten für die Teams und Fahrer – das soll spannende Rennen garantieren. Der Ausgang der Meisterschaft erscheint völlig offen: Nach bislang fünf absolvierten Rennen führt der Portugiese Antonio Felix da Costa vom Techeetah-Team aktuell die Gesamtwertung an, doch sein Vorsprung auf Jaguar-Pilot Mitch Evans (Neuseeland) beträgt gerade einmal elf Punkte. Auch die beiden BMW-Fahrer Alexander Sims (Großbritannien) und Maximilian Günther liegen weniger als einen einzigen Rennsieg zurück. Und wenn man bedenkt, dass in den drei Doppel-Rennen noch insgesamt 180 Punkte vergeben werden, ist selbst Vorjahresmeister Jean-Eric Vergne (Frankreich/Techeetah) als Gesamt-Achter mit derzeit 36 Punkten Rückstand noch in Schlagdistanz.
„Ich habe es nicht so ernst genommen"
In Berlin beginnt die Saison gewissermaßen von vorn. Die Belastung mit sechs Rennen in neun Tagen ist enorm. „Das wird das Schwierigste, was uns in unserer Karriere als Fahrer, Mechaniker und Ingenieure erwartet", wird Vergne im „Motorsport-Magazin" zitiert. „Wer aus diesen sechs Rennen als Stärkster hervorgeht, holt den Titel. Wenn man sich zu sehr auf die Meisterschaft fokussiert, kommt man schnell vom Weg ab. Also halte ich es wie in den vergangenen beiden Saisons und schaue von Rennen zu Rennen", so der Franzose, der 2018 und 2019 jeweils den Titel holte.
Sein Teamkollege Antonio Felix Da Costa könnte es ihm nun gleichtun. Von den deutschen Fahrern hat der schon erwähnte Maximilian Günther die besten Chancen. Der Oberstdorfer triumphierte im Januar bereits in Santiago de Chile und wurde damit der jüngste Sieger aller Zeiten; beim Rennen in Marrakesch (Marokko), dem bislang letzten vor der Corona-Pause, belegte er Rang zwei. Der 23-Jährige ist damit nach Daniel Abt erst der zweite deutsche Pilot, der in der Formel E ein Rennen gewonnen hat. Abt fährt bereits seit der ersten Saison (2014/15) in der Elektrorennserie und siegte 2018 sowohl in Mexiko-Stadt als auch wenig später in Berlin. Für die diesjährigen Rennen in der Bundeshauptstadt hätte der Kemptener jedoch um ein Haar passen müssen: Sein bisheriger Rennstall Audi hatte ihn Ende Mai suspendiert, nachdem Abt ein virtuelles Rennen der sogenannten „Race At Home Challenge" nicht selbst bestritten hatte, sondern stattdessen den E-Sportler Lorenz Hörzing fahren ließ. Der Betrug flog auf, und wenig später war Abt sein Audi-Cockpit los; zudem verpflichtete ihn die Formel E zu einer „freiwilligen" Spende in Höhe von 10.000 Euro an eine gemeinnützige Organisation. „Ich möchte mich bei der Formel E, allen Fans, meinem Team und Fahrerkollegen dafür entschuldigen, dass ich während des Rennens externe Hilfe in Anspruch genommen habe. Ich habe es nicht so ernst genommen, wie ich es hätte tun sollen", erklärte er später.
Doch Abt hatte Glück im Unglück: Der chinesische Rennstall Nio, das bisherige Schlusslicht im Klassement, engagierte ihn für die sechs Berlin-Rennen. „Mein Ziel ist es, einen guten Saisonabschluss zu haben. Es ist eine Herausforderung und eine große Aufgabe für alle Beteiligten, aber ich denke, es ist auch eine große Chance", sagte Abt. Sein Cockpit bei Audi hat mit René Rast, dem zweifachen Champion in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM), ebenfalls ein Deutscher übernommen. Rast war 2016 beim Team Aguri schon einmal für ein Rennen in der Formel E eingesprungen, übrigens ebenfalls in Berlin. Schon deutlich mehr Erfahrung kann André Lotterer von Porsche vorweisen, der Vierte im Kreis der deutschen Fahrer. Mit seinem aggressiven Fahrstil hat sich der Duisburger in der Elektrorennserie längst einen Namen gemacht. Sein Team dagegen ist erst seit dieser Saison dabei und zahlt noch Lehrgeld, weil sich die Formel E doch erheblich von allen anderen Rennserien unterscheidet. Vielleicht klappt es in Berlin mit dem ersehnten ersten Sieg. Nicht dabei sein wird dann Pascal Wehrlein, der das Mahindra-Team vorzeitig verlassen hat. Für die kommende Saison wird er jedoch mit Porsche in Verbindung gebracht. Dann würde in der Formel E noch ein bisschen mehr Deutsch gesprochen. Logisch, dass das Rennen in Berlin auch für 2021 schon wieder fest im Kalender verankert ist.