Obwohl die Zahl etablierter invasiver Arten in der hiesigen freien Natur noch vergleichsweise überschaubar ist, können einige doch erhebliche Schäden verursachen. Ob tatsächliche Gefahren bestehen, ist ziemlich umstritten.
Im Sciene-Fiction-Universum haftet den meisten Aliens das Image unheimlicher Invasoren an. Da war es für die Verantwortlichen der internationalen Natur- und Umweltschutzpolitik fast naheliegend, die Bezeichnung „Invasive Alien Species" ins Leben zu rufen – für Tier- und Pflanzenarten, die in ein neues, für sie vorher unzugängliches Gebiet eingedrungen sind.
Das Bundesamt für Naturschutz bescheinigt aktuell etwa 40 wild gedeihenden Neophyten (dt: „Neu-Pflanzen") einen „invasiven Charakter". Bei den Neozoen verzichtet das Amt hingegen auf eine genaue Zahlenangabe invasiver Arten und beschränkt sich darauf, von 27 Archäozoen (also vor dem Jahr 1492 eingeführten „Alt-Tieren") und 319 später fest etablierten gebietsfremden und wild lebenden Tierarten zu sprechen. Auf 346 wird also die allgemein akzeptierte „Zehner-Regel" angewendet. Diese besagt, dass zehn Prozent der inzwischen hierzulande eingebürgerten Neozoenarten, also rund 35 an der Zahl, als invasiv eingestuft werden können. Wozu auch noch potenziell invasive Neozoen hinzu gerechnet werden könnten, die bislang noch in hiesigen Gehegen, Volieren, Aquarien oder Terrarien an dem freien Eindringen in die Natur gehindert werden. Doch neben diesen Angaben hat das Bundesamt 2016 in seinem „Management-Handbuch zum Umgang mit gebietsfremden Arten in Deutschland" eine wesentlich höhere Zahl von 168 Neobiota aufgeführt, die als invasiv oder potenziell invasiv klassifiziert worden waren. Für diese hat das Bundesamt in den letzten Jahren die Erstellung sogenannter Steckbriefe veranlasst, in denen Experten eine Neobiota-Invasivitätsbewertung vorgenommen haben. Damit nicht genug hatte das Bundesamt für Naturschutz seit 2010 auch noch „Schwarze Listen" invasiver Arten erstellt.
Die meisten sind keine Gefahr
Die Bundesbehörde weist ausdrücklich darauf hin, dass von den meisten gebietsfremden Arten, die in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben, keinerlei Bedrohung für Ökologie, Ökonomie oder menschliche Gesundheit ausgeht. Ob die invasiven Arten überhaupt eine Gefahr für die hiesige Natur darstellen, ist ziemlich umstritten. Immer wieder wird der Präsident der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, Olaf Schmidt, zitiert, vor allem wenn es um mögliche ökologische Folgeschäden geht: „In Mitteleuropa", so Schmidt, „konnte noch in keinem Fall nachgewiesen werden, dass eine einheimische Tier- oder Pflanzenart durch eine eingeschleppte Tier- oder Pflanzenart ausgerottet wurde." Wirtschaftliche Schäden, beispielsweise durch den aus Ostasien stammenden Asiatischen Laubholzbockkäfer in der hiesigen Forstwirtschaft oder durch die vom Schwarzen Meer eingewanderte und hiesige Wasserleitungen verstopfende Quagga-Dreikantmuschel, sind nachweisbar. Für die menschliche Gesundheit höchst problematisch sind die aus Kanada und den USA stammende Beifußblättrige Ambrosie, die Allergikern wegen ihres Pollenreichtums zu schaffen macht, der Götterbaum, der neuerdings ebenfalls als Allergie-Auslöser im Verdacht steht, oder der bei direktem Hautkontakt unter Sonneneinstrahlung schwere Verätzungen verursachende Riesen-Bärenklau.
Invasive Problem-Pflanzen, auch in hiesigen Gärten und Parks: Späte Traubenkirsche (aus Nordamerika; Verdrängung einheimischer Arten durch starke Beschattung), Kanadische und Späte Goldrute (aus Nordamerika; durch großflächige Wurzelbildung sowie schnelle Massenbildung), Riesen-Bärenklau (aus dem Kaukasus; problematische Dominanzbestände), Götterbaum (aus China,; Laubbaum mit riesigen Wurzelgeflechten, schwer aus Garten tilgbar), Staudenknöterich (vor allem der aus Ostasien stammende Japanische Staudenknöterich; regelrechte Problempflanze, die wegen ihrer flächigen Ausbreitung und dominanten Stände nur schwer gestoppt werden kann), Großblütiges Heusenkraut (aus Südamerika; mehrjährige Wasserpflanze mit meterlangen Stängeln, kann andere Pflanzen, Larven, Amphibien oder Fische regelrecht ersticken), Gelbe Scheinkalla (aus Nordamerika; ausdauernd krautige Staude und Teichpflanze, deren imposante Horste und rasantes Wachstum andere Pflanzen gefährden), Kudzu (aus Ostasien; zur Familie der Hülsenfrüchtler zählend, überwuchert in Windeseile alles, selbst Häuser), Drüsiges Springkraut (aus dem Himalaya, auch Indisches Springkraut genannt; als Zierpflanze eingeführt, verdrängt gnadenlos heimische Pflanzen. Wird bis zu zwei Meter hoch und ist schnellwachsend, zumal der hohe Nektargehalt ihr Bestäubungsvorteile einbringt), Robinie (aus Nordamerika, auch Silberregen oder Scheinakazie genannt; gilt als Neophyt mit dem größten Verdrängungspotenzial und kann, wie alle Hülsenfrüchtler, Stickstoff im Boden anreichern sowie chemisch verändern, was Trockenstandorte erheblich bedrohen kann), Lupine (aus Nordamerika; Staude mit eindrucksvollen Blütenkerzen, die wie die Robinie Stickstoff im Boden anreichern und diesen dadurch fruchtbarer machen kann. Das kann Pflanzen, die auf kargen Boden angewiesen sind, den Lebensraum nehmen).
Verdrängung von Pflanzen
Weitere Problem-Neophyten sind hierzulande beispielsweise das Schmalblättrige Greiskraut (aus Südafrika; oft an Wegesrändern anzutreffen, gelbblühend, die Blätter an Rucola erinnernd, die Pflanze aber hochgiftig) oder die Schmalblättrige Wasserpest (aus Nordamerika; Wasserpflanze, die riesige Unterwasserwälder bildet und dadurch einheimische Wasserpflanzen verdrängt).
Die prominentesten Vertreter unter den invasiven Neozoen zählen zu den Säugetieren und wurden fast ausnahmslos vorsätzlich nach Deutschland eingeführt. Der aus Nord- und Mittelamerika stammende Waschbär kam 1927 durch Pelztierzüchter für Farmen nach Deutschland, und er wurde zusätzlich 1934 in Hessen ausgewildert. Da er bis 1954 unter Naturschutz stand, konnte er sich als Allesfresser ungehindert ausbreiten und ist vor allem im Dreiländereck Hessen, NRW, Niedersachen zu einer Plage geworden, wobei ihm in Brandenburg besonders das Ausgraben von Eiern der Europäischen Sumpfschildkröte zur Last gelegt wird. Auch der Bisam und der Mink (oder Amerikanischer Nerz) wurden 1915 beziehungsweise 1926 aus Nordamerika ursprünglich für die Pelzzucht nach Deutschland gebracht. Beide gelangten in die freie Wildbahn. Die Bisamratte gehört zu den Beutetieren des Mink, der allerdings auch andere heimische Arten wie den Europäischen Nerz, Iltis, Fuchs, Marder, Wiesel und Greifvögel oder Großeulen jagt. Die Bisamratte ist für vielfältige Schäden in der Kulturlandschaft verantwortlich. Gleiches gilt für die putzige Nutria, ein Riesennager, der rein äußerlich an einen Biber erinnert. Sie war ursprünglich in Südamerika heimisch und war in den 1920er-Jahren von Pelzfarmen nach Deutschland gebracht worden. Ihre weitere Ausbreitung soll ebenso gestoppt werden wie die des Marderhundes. Der stammt aus Ostasien, wurde ab den 1960er-Jahren eingebürgert und greift die heimischen Wildbestände an.
Schnappschildkröten kommen aus Terrarien
Auch bei Amphibien, Reptilien, Krebsen, Fischen, Muscheln, Weichtieren, Insekten oder Vögeln konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass menschliches Zutun meist für das invasive Verhalten verantwortlich war. Der Nordamerikanische Ochsenfrosch wurde in den 1980er- und 1990er- Jahren in hiesigen Gartenzentren zum Kauf angeboten und gelangte durch illegales Aussetzen durch Aquarianer in hiesige Teiche. Aufgrund seiner Größe und mangels natürlicher Fressfeinde konnte er sich explosionsartig vermehren, er verspeist von Lurchen oder Krebsen über Schnecken oder Spinnen bis hin zu Fischen oder Kleinvögeln so ziemlich alles. Auch die Rotwangen-Schmuckschildkröte oder die Schnappschildkröte (beide aus Nordamerika kommend) fanden ihren Weg in die hiesige Natur über die Zwischenstation Terrarium. Sämtliche aus Nordamerika eingeführte Krebsarten wie der Rote Sumpfkrebs sind hochproblematisch, da sie als Träger der Krebspest die heimischen, ohnehin vom Aussterben bedrohten, Edelkrebse eliminieren können. Im Rhein hat der winzige, aus dem Schwarzen Meer kommende Höckerflohkrebs seit 1992 bereits viele heimische Krebsarten alt aussehen lassen. Die als blinder Larven-Schiffspassagier in zur Nord- und Ostsee mündende Flüsse gelangte Chinesische Wollkrabbe ist nicht nur ein Nahrungskonkurrent vieler anderer Organismen, sondern wegen Gängebohrungen auch ein gefürchteter Zerstörer von Uferbefestigungen. Die Ansiedlung der Pazifischen Auster im Wattenmeer zu Beginn der 1980er-Jahre hat zu einer Bedrohung der Miesmuschelpopulation geführt. Die aus Asien kommende Grobgestreifte Körbchenmuschel konnte 1985 erstmals im Niederrhein nachgewiesen werden und konnte seitdem in vielen hiesigen Flüssen und Seen einheimische Süßwasser-Schneckenarten ziemlich erfolgreich zurückdrängen. Die Spanische Wegschnecke gelangte durch Obst- und Gemüsetransporte nach Deutschland und hat sich durch Verdrängung der heimischen Arten wie der Roten Wegschnecke und einer aggressiven Schutzschleim-Schicht inzwischen Platz eins der häufigsten Schneckenarten in Deutschland erobert.
Pazifische Auster bedroht Miesmuscheln
Der aus Japan und China Ende des 20. Jahrhunderts zur biologischen Schädlingsbekämpfung in Gewächshäusern eingeführte und 2002 erstmals in Deutschlands freier Natur gesichtete Asiatische Marienkäfer hat sich als übermächtiger Konkurrent gegenüber dem einheimischen Marienkäfer im Kampf um Blattläuse als Nahrung erwiesen. Die aus Ostasien stammende, seit 1977 in Deutschland nachweisbare Varroamilbe vernichtet als Parasit heimische Bienenvölker. Neuerdings bedrohen der aus Mittelamerika stammende Maiswurzelbohrer und die asiatische Kastanienminimiermotte die Ernteerträge von Mais und die Blüten von Rosskastanien. Unter den Fischen sorgt vor allem der ursprünglich in China und Russland beheimatete Graskarpfen für Kopfzerbrechen, da er als reiner Pflanzenfresser die gesamte aquatische Vegetation vernichten und die Gewässertrübung stark erhöhen kann. Auch der Ende des 19. Jahrhunderts nach Europa als potenzieller Speisefisch aus Nordamerika eingeführte Schwarze Katzenwels ist ein invasiver Konkurrent heimischer Arten und frisst zudem die Brut anderer Fische. Die aus dem Schwarzen Meer in hiesigen Gewässern dank üppigem Nachwuchs heimisch gewordene Schwarzmund-Grundel gilt ebenso wie die aus Südosteuropa eingewanderte Kessler-Grundel als Problemfisch. Im Vogelreich zählen vor allem die aus Amerika für die Zoohaltung eingeführte und 1981 erstmals hierzulande in freier Wildbahn nachgewiesene Schwarzkopfruderente, die einheimische Arten verdrängt und bastardisiert, die 1963 aus Afrika als Ziergeflügel importierte Nilgans sowie aus Arabien importierte hybride Großfalken, die einheimische Wanderfalken gefährden, zu den gravierendsten invasiven Neozoen.