Während der Pandemie ist es noch ruhiger um den deutschen Boxsport geworden. Jetzt soll der Top-Kampf zwischen Jack Culcay und Abass Baraou für Aufmerksamkeit sorgen.
Ulli Wegner schließt fast jeden Boxer, den er mal unter seinen Fittichen hatte, ins Herz. Deswegen lässt sich die Trainer-Ikone auch gar nicht erst darauf ein, einen Tipp für den mit Spannung erwarteten Kampf zwischen seinen beiden ehemaligen Schützlingen Jack Culcay und Abass Baraou abzugeben. „Es wird ein technisch hochklassiger Fight werden", so Wegner, „mehr möchte ich dazu nicht sagen."
In der Tat sind die Erwartungen für den Kampfabend am 28. August in Berlin in der gesamten Boxszene groß. Wegner geht sogar so weit zu sagen, dass der Faustkampf in den Havelstudios „zwischen diesen beiden Ausnahmetalenten auch weltweite Beachtung" erfahren werde. Der Plan lautet: Der deutsche Boxsport soll mit einem Kracher aus dem Corona-Schlaf erwachen. Während der Pandemie sind zahlreiche Kampfabende ausgefallen, Promoter wie Sportler bangen um ihre Existenz. Über das Profiboxen wurde in den letzten Monaten in den Medien kaum berichtet. Die dreijährige Haftstrafe für Ex-Weltmeister Felix Sturm wegen Steuerhinterziehung, Doping und Körperverletzung war fast schon das prominenteste Thema aus dieser Sportart.
Der Kampf zwischen Culcay (34) und Baraou (25) soll das ändern. Deshalb einigten sich die Boxställe Agon (Culcay) und Sauerland (Baraou) auf ein Duell, das sie als „Match of the Year" (Kampf des Jahres) promoten. Sport1 überträgt den Kampf live und hofft auf eine deutlich bessere Quote als bei den letzten Übertragungen vor der Zwangspause. Die Stimmung in den Havelstudios wird aber wenig begeisternd sein, Zuschauer sind wegen der Corona-Pandemie nach wie vor nicht erlaubt. „Das ist ausgesprochen traurig", sagte Thomas Pütz, der Präsident des Bundes Deutscher Berufsboxer. Durch die Geisterkulisse würden Agon und Sauerland sicher „kein Geld verdienen", so Pütz. „Umso löblicher ist, dass sie dennoch veranstalten. Die Alternative wäre: gar kein Boxen."
„Es wird ein technisch hochklassiger Fight"
Immerhin steht sportlich etwas auf dem Spiel. Der Sieger rückt auf Position zwei des IBF-Verbandes im Halbmittelgewicht und darf damit wahrscheinlich einen Ausscheidungskampf um die WM austragen. Außerdem reizt das Duell Alt gegen Jung, Ex-Champion gegen Top-Talent, Platzhirsch gegen Mann der Zukunft. „Es wird ein großartiges Gefecht für die Fans und eine harte Schlacht zwischen den besten Superweltergewichtlern Deutschlands", verspricht Culcay. Im nationalen Ranking ist der gebürtige Ecuadorianer noch die Nummer eins vor Baraou, „und das werde ich auch nach dem Kampf sein", kündigte er an.
„Golden Jack" steigt mit der Erfahrung von 32 Profikämpfen in den Ring, sein jüngster Sieg im Juni gegen den Franzosen Howard Cospolite dürfte ihm zusätzliches Selbstvertrauen gegeben haben. Für Baraou ist es dagegen erst der zehnte Profikampf – und die erste echte Prüfung überhaupt. Denn so ein Kaliber wie Culcay hatte der mit viel Talent gesegnete Baraou bislang noch nicht vor die Fäuste bekommen. Doch Angst verspürt der im württembergischen Aalen geborene Sohn togolesischer Eltern keine. Der Kampf gegen Culcay soll den Beginn einer Ära einläuten. „Ich will die WM-Gürtel aller vier Verbände in den Händen halten, das ist mein Ziel", verkündete Baraou wenig bescheiden. Dieses Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr. Nachdem Baraou zum Boxen kam, weil diese Sportart ihm als Kind afrikanischer Eltern eine sinnvolle Beschäftigung, ja gar eine Perspektive geben konnte, schaute er sich die großen Kämpfe von Mike Tyson und Muhammad Ali an. „Was die geschafft haben, das ist auch irgendwie für mich möglich, egal welche Umstände ich habe", so Baraou.
Es gibt einige Parallelen zwischen Baraou und Culcay. Beide haben sich durch den Boxsport auch sozial nach oben gekämpft. Beide waren zunächst als Amateure höchst erfolgreich – Culcay wurde 2009 Weltmeister, Baraou feierte vor drei Jahren den EM-Titel und WM-Bronze. Beide stiegen dann mit viel Vorschusslorbeeren ins Profilager auf, wobei Culcay diese Erwartungen nicht ganz erfüllen konnte. Seinen 2016 errungenen WBA-Titel im Halbmittelgewicht konnte er nicht einmal ein Jahr verteidigen, seine Trennung von Sauerland sorgte zudem für Wirbel. Nicht wenige Experten glauben: Eine Niederlage gegen Baraou könnte schon das Karriereende von Culcay einleiten.
Der größere Druck lastet auf Culcay
Auch Wegner wird sich den Kampf ganz genau anschauen. Er hat Culcay einst zum Weltmeister geformt und Baraou an den WBC-International-Titel herangeführt, ehe ein Rechtsstreit zwischen ihm und dem Sauerland-Boxstall ausbrach. Der erfahrene Trainer erwartet einen „Kampf zweier ebenbürtiger Athleten", die beide „talentiert und fleißig" seien. Die größten Unterschiede? „Konditionell und technisch ist Jack besser aufgestellt", erklärt Wegner. „Bei der strategischen Kampfführung und Schlagstärke hat Abass leichte Vorteile." Der größere Druck lastet ohne Frage auf Culcay. Für ihn sei der Kampf „mit einem Risiko" verbunden, meinte Wegner. „Er kann viel verlieren und wenig gewinnen." So ganz verstehen könne Wegner nicht, warum sich Culcay auf dieses Duell mit dem neun Jahre jüngeren Kontrahenten einlässt: „Ich würde gerne wissen, was ihn antreibt und wie ihn der Kampf in seiner Karriere weiterbringen wird." Culcay bleibt die Antwort auf diese Frage nicht schuldig: Er will Baraou testen. „Ich möchte wissen, ob er tatsächlich so gut ist, wie behauptet wird." Auch viele Boxfans erwarten eine Antwort auf diese spannende Frage. Denn Talent alleine reicht im Ring nicht aus. Gegen einen kampferprobten Boxer wie Culcay ohnehin nicht. Ein Nachteil für den jungen Herausforderer Baraou: Sein letzter Fight gegen den Mexikaner Abraham Juarez liegt nun schon mehr als acht Monate zurück. Um sich trotzdem optimal auf Culcay vorzubereiten, flog Baraou extra nach London zu Erfolgscoach Adam Booth. „Wir haben sehr viel an der Technik und Taktik gefeilt", verriet Baraou, der ohnehin als sehr clever agierender Boxer gilt. Er werde „nichts dem Zufall überlassen", kündigte er an, „die Nummer eins in Deutschland zu werden". Culcay sei zwar „ein großer Kämpfer mit viel Erfahrung", aber er werde ihn schlagen. Dann wäre die Wachablösung in dieser Gewichtsklasse perfekt, und der deutsche Boxsport hätte einen neuen Hoffnungsträger und WM-Kandidaten. „Es ist ein offener Kampf", sagt Promoter Wilfried Sauerland. „Abass hat ja nichts zu verlieren. Er ist mit 25 Jahren noch sehr jung. Anders sieht es da schon bei Jack Culcay aus."
Für die Boxszene ist der Name des Siegers aber gar nicht so wichtig. Hauptsache es ertönt wieder der Gong, und ein Millionenpublikum fiebert an den Bildschirmen mit. „Es macht wirklich viel Spaß", sagt Agon-Chef Ingo Volckmann nach drei Jahren im Box-Business, „aber es ist kein einfaches Geschäft." In diesen Tagen erst recht nicht.