Union Berlin belohnt sich für einen enormen Aufwand gegen Freiburg erneut nur mit einem Punkt. An der ungewöhnlichen Unterstützung der Anhänger lag es aber nicht.
Die Fans durften nicht singen, sie konnten ihr Team nicht verbal anfeuern, ja noch nicht mal bei der Mannschaftsaufstellung jeden Spieler mit einem lautstarken „Fußball-Gott" willkommen heißen. Doch leise war es deshalb nicht in der Alten Försterei. Die 4.500 Zuschauer, die beim Heimspiel gegen den SC Freiburg Einlass erhalten hatten, lebten sich kreativ aus: Mit Rasseln, Trommeln, Trillerpfeifen und sogar mit Kochtöpfen machten sie ordentlich Rabatz. „Das war eine tolle Stimmung, mein Kompliment an die Fans", sagte Trainer Urs Fischer. Auch Torhüter Andreas Luthe fand: „Die Fans haben das Beste daraus gemacht, das Klatschen war laut genug." An ihnen habe es „nicht gelegen", dass die Eisernen sich am Ende mit einem 1:1 begnügen mussten. Torschütze Robert Andrich sprach hinterher von einem „ungewohnten Gefühl" für seine Ohren, „normalerweise ist beim Klatschen immer noch Gesang mit dabei".
Doch längst nicht alle waren begeistert. Angesichts eines Inzidenzwertes von über 100 in der Hauptstadt – auch im Stadtteil Treptow-Köpenick war der Wert vor dem Anpfiff auf 61,5 gestiegen – hagelte es Kritik am Zuschauer-Einlass. Zwar gab es seitens des Gesundheitsamtes Auflagen wie das Singverbot oder das stringentere Tragen von Mund-Nase-Masken, doch das reichte vielen nicht. „Ich verstehe die Leidenschaft zum Fußball", sagte zum Beispiel Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci angesprochen auf das Spiel. „Aber ich bleibe dabei: Meiden Sie soziale Kontakte. Wenn es geht, bleiben Sie zu Hause." Auch für die Senatsverwaltung für Inneres und Sport war die Austragung der Partie vor Publikum „ein falsches Signal", und das Medienecho war zum Teil verheerend. Der Grundtenor: Union nimmt die Gefahr von Corona oder zumindest seinen Vorbildcharakter nicht ernst genug. Der Club weist diese Vorwürfe von sich und beteuert, stets nach den Vorgaben des lokalen Gesundheitsamtes zu agieren.
„Das war eine tolle Stimmung"
Fischer wollte sich in diese Debatte nicht einmischen. Er befasse sich „zu wenig mit Corona", begründete der Schweizer. Er vertraue darauf, dass die Verantwortlichen im Club und auf den Ämtern diesbezüglich die richtigen Entscheidungen treffen würden. Er selbst versuche, „sich an die Bestimmungen und Regeln zu halten". Alles andere sei nicht seine Baustelle. In seiner Kernkompetenz als Trainer ist Fischer wieder am Montag (2. November um 20.30 Uhr) im Auswärtsspiel bei der TSG Hoffenheim gefragt. Die Kraichgauer, die sich am vergangenen Wochenende von Werder Bremen ebenfalls 1:1 getrennt haben, sind spielerisch vielleicht sogar noch einen Tick stärker einzuschätzen als Freiburg. Der Auftritt gegen den SC gibt den Unionern aber viel Selbstvertrauen. Das sei „ein tolles Spiel" gewesen, lobte Fischer, der mit der Leistung absolut einverstanden war. „Mit dem Resultat dürfen wir aber nicht zufrieden sein", merkte der Coach kritisch an. „Wenn man so einen hohen Aufwand betreibt und sich so viele Torchancen herausspielt, dann muss man das Spiel gewinnen." 22 Torschüsse gaben Max Kruse und Co. ab, so viele wie noch nie in der jungen Bundesliga-Geschichte von Union. Doch auf diesen Rekord war keiner stolz, denn es kam zu wenig dabei herum. „Wir hätten vielleicht etwas ruhiger im Torabschluss sein müssen", sagte Abwehrspieler Marvin Friedrich. Der sei „manchmal etwas überhastet" gewesen. Deswegen sei es auch „ärgerlich, dass wir keine drei Punkte hierbehalten haben", so Friedrich, denn: „Wir waren die klar bessere Mannschaft."
Auch Freiburgs Trainer Christian Streich gab unumwunden zu: „Wenn jemand hätte gewinnen sollen, dann wäre es eher Union gewesen als wir." Streich lobte die Berliner Profis als „sehr ballsicher" – und er haderte mit seinen Spielern beim Gegentreffer durch Andrich. „Schrecklich" sei der gewesen, so Streich, „weil es extrem einfach war für Union, das Tor zu machen." Seine Spieler hätten Andrich „einfach laufen" gelassen, „das darf so nicht passieren". Dass Innenverteidiger Dominique Heintz den Ball mit seinem Standbein auch noch unhaltbar abfälschte, machte das Bild perfekt.
Andrichs erster Saisontreffer fiel für Union zum perfekten Zeitpunkt, denn nur 111 Sekunden zuvor war Freiburg durch Vincenzo Grifo in Führung gegangen. Es sei „brutal wichtig für die Moral" gewesen, so Andrich, „dass uns gleich danach ein Tor gelungen ist. Da ist noch mal ein Ruck durch die Mannschaft gegangen." Union spielte kompakt und trotzdem gefährlich nach vorne. Mit Kruse ist das Angriffsspiel sogar noch variabler, der Konkurrenzkampf durch die Neuzugänge deutlich größer.
Sheraldo Becker startet endlich durch
Also alles paletti? Mitnichten. Die vier verlorenen Punkte gegen Freiburg und zuvor bei Schalke 04 (1:1) tun dem Vorjahresaufsteiger weh. „Der eine oder andere Punkt fehlt uns auf dem Konto", gab Fischer zu. Er mahnte seine Mannschaft, zu keiner Zeit nachzulassen: „Es gilt, weiter hart zu arbeiten und unseren Weg zu gehen." Wichtig dafür ist, dass Kapitän Christopher Trimmel, der gegen Freiburg am Oberschenkel verletzt ausgewechselt werden musste, schnell wieder fit wird. Und dass Union die Ruhe bewahrt. Nach der schweren Auswärtspartie in Hoffenheim warten in Aufsteiger Arminia Bielefeld und dem 1. FC Köln zwei direkte Konkurrenten im Kampf um den Klassenerhalt.
Es ist wahrscheinlich, dass die Berliner dann wieder verstärkt das Spiel machen müssen. An dieser neuen Herausforderung hat Fischer mit seinem Team während der Vorbereitung hart gearbeitet, in Ansätzen setzte Union das in Spielen auch schon sehr gut um. Auch, weil Sheraldo Becker nach einem Jahr Anlaufzeit endlich durchstartet. Der 25 Jahre alte Niederländer – mit gemessenen 35 Stundenkilometern der bislang schnellste Union-Profi – reißt mit seinen vielen Sprints (126) immer wieder Lücken in der gegnerischen Abwehr. Er spielt tolle Pässe und arbeitet defensiv gut mit. Einziges Manko bislang: Becker schießt noch keine Tore. Doch sein Trainer freut sich über die Leistungsexplosion des im ersten Jahr so verletzungsanfälligen Becker. „Im Moment nimmt er seine Chance wahr, macht es wirklich gut", sagte Fischer. Auch gegen Freiburg war der Offensivspieler einer der Besten, am Ende wurde aber hauptsächlich über die Zuschauer gesprochen. Gästetrainer Streich bereitete das „schwierige Thema" sichtlich Unbehagen. Man solle zwar „den Teufel nicht an die Wand malen", sagte er mit Blick auf die deutlich gestiegenen Corona-Fallzahlen, „aber in diesem Tempo darf es nicht weitergehen, sonst haben wir ein richtig großes Problem". Und zwar ein deutlich größeres, als dass die Fans im Stadion nicht mehr singen dürfen.