Die Corona-Krise hat die Berliner Clubkultur bis ins Mark getroffen. Trotz verschiedenster Alternativkonzepte ist eine Rückkehr zum Normalbetrieb längst nicht absehbar.
Seit Jahren gelten die Berliner Clubs als wichtiger Image- und Wirtschaftsfaktor der Stadt. Noch im vergangenen Jahr kamen sie auf Einnahmen von 1,5 Milliarden Euro. „Jetzt ist es an der Zeit, dass Berlin den Clubs etwas zurückgibt", meint Lutz Leichsenring, Sprecher der Berliner Clubcommission (CC). Dieser Verband der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter ist seit 20 Jahren Sprachrohr, offenes Ohr und konzeptioneller Kopf der Berliner Clubszene. Er ist Impulsgeber und gleichzeitig unterstützendes Netzwerk. Zurzeit lotst das 27-köpfige Verbandsteam den ständig wachsenden Mitgliederpool durch die Corona-Krise. Und bringt Transparenz in den Förderdschungel der Soforthilfeprogramme, die aktuell bis Februar geplant sind.
„Wir können nur von Woche zu Woche – oft auch nur von Tag zu Tag denken", beschreibt es Sprecher Lutz Leichsenring. Denn jeder Club habe seine eigene Entstehungsgeschichte, seine musikalische Richtung und sein eigenes Raumformat. Von großflächigen Veranstaltungsorten in ehemaligen Industriebauten bis hin zu Wanderlocations, von etablierten Größen der Szene bis zu Einzelkämpfern sei da alles vertreten. „Zu Beginn der Krise mussten wir uns trotz sofortiger Umsetzung aller relevanten Hygienemaßnahmen gegen eine Stigmatisierung wehren. Wir sollten der Buhmann für illegales, verantwortungsloses Partygängertum sein", so Leichsenring. Nur allzu oft hätte man die Szene mit überbordendem Partytourismus und Vermüllung der Stadt zusammengebracht.
Doch gerade Letzteres sei auch von vielen Clubbetreibern kritisch gesehen worden – weil hier Subkultur und wirtschaftlich ausgerichteter Mainstream aufeinanderstießen. Und als Ende März an die 300 Clubs quasi über Nacht ihre Türen schließen mussten, habe es nicht lange gedauert, bis sich erste kreative Übergangslösungen gefunden hätten. So startete zwischen den beiden Lockdowns das Projekt „United We Stream" als Kooperation mit Arte Concert, ein Projekt, bei dem DJs in leeren Clubs live auflegen. Das auf Spenden basierte Projekt fand weltweit Resonanz und hat bereits über 40 Millionen Onlinebesucher angezogen. An die 2.100 Künstler aus 91 Städten haben teilgenommen, weltweit kamen Spenden in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro zusammen, der Berliner Abzweig des Projekts brachte es auf 500.000 Euro.
Parallel wandelten sich Clubs zu Bars, Galerien oder Konzerträumen, wurden unter Auflagen an Drittnutzer vermietet. Um den sonst pulsierenden Technotempel Berghain spannte sich ein riesiges Fassadenbanner mit der Aufschrift „Morgen ist die Frage". Quasi die Einführung zu einer Ausstellung von „Studio Berlin". Das Sammlerehepaar Boros hatte dafür 117 Künstlern „Raum gegeben". Der momentan „arbeitslose" Türsteher Sven Marquardt präsentierte als Fotograf beeindruckende Porträts unter dem Titel „Stageless". Tänzer des Friedrichstadtpalastes in einem kurzen Moment der Ruhe, der Bewegungslosigkeit – großformatig und in Schwarzweiß. Auch in der Clublocation „Wilde Renate" fragten sich performende Künstler nach dem „Overtomorrow". „Ein Club ist ein Club, ist Intimität, Utopie, Solidarität, Safer Space, Alltagsflucht, Vision, Awareness, ein Zuhause, Hedonismus, Mikrokosmos, Ekstase, eine Chance", so stand es auf den Flyern des Langen Tags der Clubkultur. Dabei hatten sich am 3. Oktober 40 Clubs unter der Schirmherrschaft von Kultursenator Klaus Lederer in der ganzen Stadt präsentiert. Am Jahrestag der Wiedervereinigung, ganz passend, denn kurz nach dem Mauerfall hatte ja auch die Geburtsstunde der Clubkultur geschlagen. Jetzt, an diesem 3. Oktober, ging es unter strikter Einhaltung der Hygienekonzepte aber nicht ums Tanzvergnügen, sondern um das zentrale Anliegen, Clubkultur nachhaltig und institutionell als Kultur anzuerkennen.
Clubs als kreative Orte der Stadt
„Wir zeigen durch alternative, inhaltlich hochwertige Kulturprogramme wie lebendig Clubkultur ist", sagte Kultursenator Lederer zum Auftakt der Veranstaltung. Clubs seien kreative Orte der Stadtgesellschaft, Freiräume für vieles, das in den sich verdichtenden Städten sonst nicht mehr stattfinden würde. Daher arbeitet man in der Clubcommission daran, dass Clubs als „Livemusikspielstätten" kategorisiert werden und vielleicht auch auf der Liste des immateriellen Kulturerbes der Unesco landen können. Ebenso will die Szene auch auf Bundesebene als vielschichtiges Phänomen anerkannt werden, so formuliert es der Mitinitiator der Clubcommission Marc Wohlrabe. Mit seinem Projekt „Stadt nach Acht" – einer alle zwei Jahre stattfindenden „Nachtleben-Fachkonferenz" – bringt der Berliner Nightmanager aus aller Welt mit Themen rund um Ökonomie, Kultur, Gesundheit, Sicherheit und Stadtentwicklung an den runden Tisch.
In dem 2012 gegründeten Bundesverband Livekomm (Live-Musik-Kommission, Verband der Musikspielstätten in Deutschland, Anm. d. Red.) sitzen Wohlrabe und seine Mitstreiter mit Entscheidern aus überregionaler und internationaler Ebene zusammen. „Berlins Clubkultur ist weltweit bekannt und ein Markenzeichen unserer Stadt. In den letzten Jahren hat sie sich zu einem starken Wirtschaftsfaktor und Tourismusmagneten entwickelt", unterstreicht auch Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Aber die Branche habe neben der wirtschaftlichen Bedeutung auch eine soziale, ökonomische und ästhetische Dimension. Gerade ist eine erste Studie auf Bundesebene von der Initiative Musik, der zentralen Fördereinrichtung der Bundesregierung und der Musikbranche für die deutsche Musikwirtschaft, in Auftrag gegeben worden, die als Grundlage für zukünftige Entscheidungen dienen soll. Denn bereits vor Corona war die Clubkultur besonders in der Hauptstadt von Verdrängung durch Mietsteigerungen und Gentrifizierung bedroht.
Dass der Bundesfinanzhof in einem Urteil feststellte, dass Techno Musik sei, für Techno- und Housekonzerte zukünftig ein ermäßigter Umsatzsteuersatz von sieben Prozent gelte, wird in der Szene als Meilenstein bezeichnet. Zudem hat der Deutsche Kulturrat im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes Clubkultur nicht mehr als Freizeit und Vergnügen definiert, sondern die inhaltlich kuratierte, künstlerische Arbeit in den Vordergrund gestellt.
Der DJ als Musiker und Avantgardist stehe mit eigenen vermixten Kompositionen und Liveacts im Mittelpunkt. Es gehe hier nicht um das Abspielen von Charts wie früher in den Diskotheken. „Man sieht diese ganz andere Wertschätzung daran, dass die Clubs viel Geld für das Booking ausgeben. Dafür wird sogar extra Personal eingestellt, der Zeitaufwand und reale Kosten wie Gagen, Flüge Hotels sind deutlich höher als in Musikkneipen", erklärt Marc Wohlrabe von der Clubcommission.
Ein Club ist keine Diskothek
Die kuratierte Leistung von „Livemusikspielstätten" sei also vergleichbar mit der Erarbeitung eines Spielplans im Theater, ergänzt Wohlrabe. Daher greift nun auch das Maßnahmenpaket zur Unterstützung der „Livemusikspielstätten", das die Berliner rot-rot-grüne Koalition – in Übereinkunft mit der CDU – Ende November auf den Weg gebracht hat. So sollen „Clubs in Planungs- und Genehmigungsverfahren durch die Baugenehmigungsbehörden als Anlagen kultureller Zwecke behandelt werden, statt als Vergnügungsstätte mit Bordellen und Spielhallen gleichgesetzt zu werden", heißt es da. Zudem solle bei neuen Bauvorhaben Rücksicht auf bestehende Clubs genommen werden.
Trotz Unsicherheit und Existenzsorgen durch die Corona-Pandemie scheint es für die Clubs doch Hoffnungsschimmer zu geben – schließlich birgt jede Krise auch Chancen. In der Community jedenfalls scheint sie mehr denn je für Zusammenhalt zu sorgen. Momentan gilt es aber weiter, Insolvenzen von Clubs zu verhindern und ihre Wiedereröffnung mit Weitblick vorzubereiten. Und viele der Betreiber hoffen, dass sie mit bereits vor Monaten begonnenen Umbaumaßnahmen bald wieder ihre Clubs als Draußen-Orte öffnen können. Entscheidend für den Einzelnen sei auch der Umgang mit Vermietern und Mietkonditionen der Immobilien, betont Wohlrabe, der Corona-Schnelltests für Clubbesucher als keine Lösung ansieht. Geduld ist also angesagt, bis es endlich wieder so weit ist, dass man sich im Club als geschützten Raum gehen lassen kann, dicht beieinander, verschwitzt, ekstatisch – oder wie es der Soziologe Gerhard Schulz ausdrückt: in einer „Kulisse des Glücks".