Union Berlin bleibt oben dran. Der von manchen Experten erwartete Absturz der Eisernen lässt weiter auf sich warten, das Team agiert stabil und kompakt – auch in der Frage nach dem Europapokal.
Auf die Tabelle schauen sie bei Union Berlin in diesen Tagen natürlich mit Vergnügen – nur darauf angesprochen werden sie ungern. In Fragen nach einem neuen Saisonziel sehen die Verantwortlichen und Spieler so etwas wie eine Falle, in die sie auf keinen Fall tappen wollen. „Wir sollten uns nicht aufgrund einer Momentaufnahme von unserem Weg abbringen lassen – Punkt", betonte Union-Coach Urs Fischer nach dem überzeugenden 0:2-Auswärtserfolg bei Werder Bremen zum Jahresauftakt. Der Schweizer versicherte: „Ich schaue weiter nach unten."
Dabei ist der Weg nach oben deutlich kürzer als der nach unten. Der Rückstand auf Tabellenführer Bayern München beträgt nur neun Punkte, der Vorsprung auf den Relegationsplatz dagegen 14 Zähler. Und zum ersten direkten Abstiegsrang sind es sogar schon 18 Punkte. Den Klassenerhalt hat Union so gut wie in der Tasche, auch wenn das in Köpenick natürlich niemand zugeben will. Warum auch: Mit der Defensiv-Taktik sind sie bislang höchst erfolgreich gefahren. „Wir machen so lange weiter, bis auch rechnerisch der Klassenerhalt geschafft ist. Danach können wir gerne über andere Ziele reden", sagte Kapitän Christopher Trimmel vor dem Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg an diesem Samstag (9. Januar, 15.30 Uhr). Es ist das Duell der beiden Überraschungsteams der bisherigen Saison, wobei der Erfolg der Unioner aufgrund des deutlich kleineren Etats höher einzuschätzen ist. Der Sieger festigt seinen Europapokal-Platz, und natürlich wollen die Berliner diesen nicht freiwillig herschenken. „Wir freuen uns, dass wir gerade im oberen Tabellendrittel sind", sagte Mittelfeldspieler Robert Andrich.
Das Spiel gegen Bremen hat einmal mehr bewiesen, dass dies kein Zufall ist. Die Werderaner hatten gegen die kompakte Defensive und die sehr effektive Offensive der Unioner so gut wie keine Chance, was Trainer Florian Kohfeldt auf die Palme brachte. „Ich bin bocksauer", sagte er. „Es gibt keine Entschuldigung für diese Leistung. Wir waren in allen Belangen schlecht." Das lag aber auch an den Berlinern, die den Gastgebern von der ersten Minute an mit einer aggressiven Zweikampfführung und leidenschaftlichen Laufleistung den Zahn gezogen hatten. „Wir kamen sofort in die Zweikämpfe und haben im Umschaltspiel unsere Qualitäten gezeigt", lobte Fischer. Die überragende Physis der Eisernen ist in der ganzen Liga gefürchtet, und diesen Respekt hat sich die Mannschaft auch verdient, findet Trimmel. „Man sieht die harte Arbeit und den Willen, das merkt man im ganzen Kader", sagte der österreichische Nationalspieler. „Das sind unsere Tugenden." Außerdem werde man vom Trainerteam „immer sehr gut vorbereitet" und gehe „immer mit einem sehr guten Plan" in ein Spiel.
Wer aber glaubt, dass die Rot-Weißen derzeit an der Grenze des Machbaren agieren, den korrigiert Fischer gerne. „Wir sind noch nicht am Limit", sagte der Schweizer. „Wir können noch Fortschritte erzielen und müssen das auch." In Sachen Erfahrung müssten seine Spieler noch zulegen: „Wir sind noch etwas grün hinter den Ohren und haben Luft nach oben."
Klassenerhalt nur eine Frage der Zeit
Diese Aussage verwundert, weil gerade das Spiel in Bremen ziemlich abgeklärt gewonnen wurde. Union hatte das Spiel stets unter Kontrolle, variierte das Tempo, stand hinten bombensicher und schlug vorne eiskalt durch Sheraldo Becker (12. Spielminute) und Taiwo Awoniyi (28.) zu. Das Sturm-Duo harmoniert immer besser zusammen, vor allem bei Kontern sind die schnellen und robusten Angreifer für die Gegner kaum zu halten. „Wir sprechen viel, diskutieren über Positionen und Bewegungen", verriet Becker über das Zusammenspiel mit der Leihgabe des FC Liverpool. „Aber wir können es noch besser machen, daran arbeiten wir." Becker, der seine enorme Grundschnelligkeit nun immer effektiver einsetzt, bekam vom Trainer ein Extra-Lob. „Er ist auf einem guten Weg", sagte Fischer. Auch die ungewohnte Position als zweiter Stürmer habe der Niederländer außergewöhnlich gut ausgefüllt: „Er hat das sehr gut gemacht im Zusammenspiel mit Taiwo Awoniyi."
Durch das Form-Hoch der beiden Angreifer wirkt sich das Fehlen von Scorer-König Max Kruse derzeit kaum aus. „Ich hätte unsere verletzten Spieler lieber im Aufgebot. Aber es spricht für die Mannschaft, wie sie Ausfälle kompensiert", sagte Fischer. Dies sei „nur über eine geschlossene Mannschaftsleistung" möglich. Kruse wird nach seinem Muskelbündelriss im Stadtderby bei Hertha BSC wohl erst im Februar wieder auf den Platz zurückkehren. „Natürlich fehlt uns Max", sagte Trimmel. „Wir haben aber einen breiten Kader, der viel Qualität besitzt." Dass sich der Ausfall des Ex-Nationalspielers, der vor seiner Verletzung Dreh- und Angelpunkt im Offensivspiel war, nicht spürbar auf die Leistung auswirkt, spreche „für die Qualität und den Charakter in der Mannschaft", so Trimmel.
Was auch für die Mannschaft spricht: Sie ist niemals zufrieden. Auch nach dem Sieg in Bremen redeten Trainer wie Spieler offen die wenigen Dinge an, die nicht so gut funktioniert haben. Fischer bemängelte zum Beispiel die fehlende Präzision bei einigen Abspielen und die leichte Hektik in der Schlussphase, Andrich haderte mit den nicht immer gut ausgespielten Konterchancen in der zweiten Halbzeit: „Wir hätten das dritte und vierte Tor erzielen können." Für Trainer Fischer kommt es ganz gelegen, dass die Überflieger nicht alles richtig machen, so ist es für ihn einfacher, sie auf dem Boden zu halten. „Im Fußball geht es schnell", sagte der Coach, der jüngst seinen Vertrag bei den Eisernen verlängert hat. Die aktuelle Höhenluft möge allen zwar „eine gewisse Zuversicht" geben, so Fischer, „uns aber nicht bequem werden lassen".
Behält Union diese Einstellung bei, ist der Klassenerhalt nur noch eine Frage der Zeit – und damit auch ein neues Saisonziel. Schon nach den vielen Spielen im Januar könnte der Club den Europapokal als neue Marke ansteuern. „Der Januar wird hart", sagte Trimmel zwar, doch der kurze Weihnachtsurlaub habe allen Kraft gegeben: „Es war wichtig, mal zur Familie zu fahren und abzuschalten, auch wenn es nur ein paar Tage waren." Auch Fischer taten die Feiertage gut, Ausdauer wird auch der Trainer in den kommenden Wochen brauchen – und zwar beim Tiefstapeln. „Es können noch tausend Fragen zum Europapokal oder zur Champions League kommen", sagte Fischer, „ich werde mich immer gleich äußern." Der 54-Jährige hat in seiner Heimat mit dem FC Zürich, dem FC Thun und dem FC Basel bereits internationale Erfahrung gesammelt, sogar in der Champions League. „Das waren tolle Momente, Spiele und Erinnerungen", so Fischer. Aber Union sei noch nicht so weit. Und dabei lag seine Betonung auf dem Wort „noch".