Die „Grüne Woche" fand dieses Jahr coronabedingt nur digital statt. Statt kulinarischer Rundgänge gab es also nur eine Reihe von Zoom-Konferenzen. Dass das nicht langweilig war, lag auch am heraufziehenden Wahlkampf.
Zwei Ministerinnen liefern sich seit Monaten einen erbitterten Streit. Es geht um die „richtige" Landwirtschaftspolitik, die dem Umweltschutz, den Interessen der Bauern und denen der Verbraucher gerecht wird. Schon das Vorhaben gleicht einer Quadratur des Kreises und ist somit für Streit und Rechthaberei bestens geeignet.
Es geht um die Landwirtschaftspolitik. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat den Agrarkompromiss, den die 27 Mitgliedsstaaten nach mühsamen zwei Nächten im Juli ausgehandelt haben, als Start in eine neue Ära begrüßt und einen Neuanfang verkündet. „Das Ergebnis wird dem Umwelt- und Klimaambitionsniveau der künftigen Agrarpolitik gerecht und schafft einen verlässlichen Rahmen für die Bauern und die ländlichen Regionen in Europa." Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) dagegen bemängelte Kürzungen bei den Umweltauflagen. Sie fordert einen Systemwechsel und kritisiert den gegenwärtigen Zustand mit scharfen Worten: „Unser Agrarsystem funktioniert nicht. Nicht für die Umwelt, nicht für die Tiere und auch nicht für die Landwirte. Wir importieren Soja aus Brasilien, für das dort Regenwälder abgeholzt werden. Damit mästen wir Millionen Schweine, deren Gülle unser Wasser belastet und deren Billigfleisch regionale Landwirtschaft hier und in ärmeren Ländern unter Druck setzt. Wir setzen auf Masse, und wir setzen auf billig", sagte sie im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Die Macht der großen Handelsketten
Dass sich die Konfrontation so zugespitzt hat, hat sicher auch mit dem bevorstehenden Wahlkampf und der Suche nach dem eigenen Profil zu tun. Doch auch im Agrarsektor hat das Coronavirus wieder einmal die Widersprüche verstärkt und die Probleme offengelegt. Der Ausbruch der Pandemie in mehreren Schlachthöfen und deren sofortige Schließung hat dazu geführt, dass Hunderttausende von Schweinen nicht geschlachtet werden konnten. Sie stehen nun auf den Bauernhöfen, sind unverkäuflich oder nur noch zu Billigstpreisen loszuschlagen und blockieren die nächste Generation von Schlachtvieh. Außerdem haben die großen Handelsketten, die als einzige ihre Supermärkte offenlassen durften, in den Lockdown-Wochen extrem gut verdient. Die Folge: Ihre Macht, am Markt ihre Preise durchzusetzen, stieg weiter an. Somit ist Agrarpolitik immer auch Verbraucherpolitik.
Was ist der Kern des Streits? Klöckner ist im Wesentlichen für die Fortsetzung der bisherigen Agrarpolitik mit nur leichten Veränderungen in Richtung Ökologie. Danach werden nach wie vor 80 Prozent der Mittel (erste Säule) nach der bewirtschafteten Fläche verteilt. Dabei spielt es keine Rolle, was auf dieser Fläche angebaut wird. Wer besondere Umweltleistungen nachweist (zum Beispiel Blühstreifen neben den Feldern) kann eine Umweltprämie obendrauf bekommen. Das bedeutet, dass große Unternehmen das meiste Geld erhalten: Wer die größten Ställe baut und die meisten Hektar Land besitzt hat, wird am reichhaltigsten belohnt. Die einzelnen Staaten können jetzt entscheiden, ob sie die Flächenzahlungen für große Betriebe ab 100.000 Euro kappen oder ab 60.000 Euro reduzieren. Klöckner hat sich bereits dagegen ausgesprochen.
Es gibt weiteren Spielraum: Mindestens 20 Prozent der Direktzahlungen (die sogenannte zweite Säule) sollen nur an jene Landwirte gehen, die zusätzliche Öko-Leistungen erbringen, wie zum Beispiel Tierschutz, Förderung der Biodiversität oder die Entwicklung geschützter ländlicher Räume. Die Gelder können zwischen erster und zweiter Säule in jede Richtung verschoben und damit umgewidmet werden. An dieser Stelle möchte die Bundesumweltministerin, dass sich der Ökoanteil, also die zweite Säule, sukzessive auf 30 Prozent und mehr erhöht.
Neu ist, dass alle EU-Staaten Strategiepläne erstellen müssen, die von der EU-Kommission genehmigt werden müssen. Darin sollen sie darstellen, wie sie eine Reihe vorgegebener Ziele erreichen wollen – etwa die Erhaltung der Natur, mehr Klimaschutz und die Sicherung der Lebensmittelqualität. Und genau um diese Ausgestaltung der Agrarpolitik geht es im Streit zwischen Klöckner und Schulze. Die Umweltministerin will, dass „die dringend notwendige Ausrichtung der Agrarförderung an Umwelt-, Naturschutz und Tierschutzstandards" nun auf nationaler Ebene stattfinden soll. Klöckner dagegen hält die Vorschläge ihrer Kabinettskollegin für unrealistisch und betont, Bauern seien keine Landschaftsgärtner, sondern müssten von ihrer Arbeit und dem Verkauf der Agrarprodukte leben können.
Dass ihnen das zunehmend schwerfällt, zeigen jedoch die seit Wochen anhaltenden Demonstrationen der Landwirte. Auslöser war die bekannt gewordene Absicht eines Discounters, die Butterpreise drastisch zu senken. Im Landkreis Leer blockierten Ende Dezember Landwirte mit 200 Traktoren ein Aldi-Lager. Anfang Januar sperrten Demonstranten die Zufahrten zu den Zentrallagern der Discounter Lidl in Gera und Aldi in Nohra bei Weimar. In Berlin fuhren bis Ende Januar Dutzende von Traktoren täglich quer durch die Stadt vor das Bundesumwelt- und das Bundeslandwirtschaftsministerium. Was sie wollen, bringt eine Parole auf den Punkt: „Lebensmittel nicht verramschen, Geld auf die Höfe, Milch- und Fleischpreise müssen erhöht werden."
„Lebensmittel nicht verramschen"
Die Landwirte fühlen sich zu Unrecht verunglimpft als „Tierschänder" und „Umweltverschmutzer". Verhandlungen mit den Discountern und Vertretern aus den Landwirtschaftsministerien des Bundes und der Länder endeten bisher ohne Ergebnis.
Die Bauern sind verunsichert. Einerseits sollen sie mehr Umweltauflagen für das Gemeinwohl erfüllen, was die Produktion teurer und ihnen den Wettbewerb nicht einfacher macht. Andererseits müssen sie sich auf einem Markt behaupten, der von den großen Handelsketten beherrscht wird und sie dazu zwingt, immer billiger zu produzieren. Die Gelder aus Brüssel helfen da nicht viel weiter, im Schnitt werden knapp 21.000 Euro pro Jahr pro Betrieb ausgezahlt. Das ist vor allem für die kleinen und mittleren Betriebe zu wenig. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber das Landwirtschaftsministerium rechnet damit, dass die Zahlungen um 0,7 Prozent auf 44 Milliarden Euro 2021 bis 2027 sinken. Das sind pro Jahr 6,3 Milliarden Euro.
Sind also wieder nur die Verbraucher gefragt? Sollen sie tiefer in die Tasche greifen, um die Agrarkrise zu lösen? Die Macht der Verbraucher hat Grenzen. Ein höherer Preis ist keine Garantie für bessere Qualität. Einem System, in dem wenige Anbieter das ganze Know-how der Lebensmitteltechnik in der Hand haben, ist der Verbraucher mehr oder weniger ausgeliefert. Hier könnte die Politik mehr bewirken, durch bessere Informationen und Kennzeichnung, dadurch, dass Standards wie Lebensmittelsicherheit oder eine tiergerechte Haltung für alle Lebensmittel garantiert werden, also dadurch, dass ökonomischen Fehlanreizen gegengesteuert wird.
Und an dem Punkt setzt wiederum Klöckners Kritik an Schulze an: Sie will die Bauern von Bürokratie entlasten und nur solche Anforderungen zulassen, die auch „praxistauglich" sind. So setzt Klöckner bei den meisten Vorschriften auf Freiwilligkeit, wie etwa bei der Lebensmittelkennzeichnung oder der Angabe der Haltungsform. Das hat dazu geführt, dass es heute nicht eines, sondern gleich mehr als ein Dutzend Ökosiegel gibt, mit denen sich der Verbraucher zurechtfinden muss.
Der nächste Konflikt zwischen den beiden Ministerinnen ist bereits absehbar: Um Bienen und andere Insekten zu schützen, soll der Einsatz von Glyphosat und anderen Unkraut- und Schädlingsgiften eingeschränkt werden. Die Bundeslandwirtschaftsministerin hat Anfang Dezember dazu eine Verordnung vorgelegt. Danach sollen diese Mittel in sogenannten nationalen Schutzgebieten verboten werden – das sind etwa Naturschutzgebiete oder Nationalparks. Das besonders umstrittene Unkrautgift Glyphosat soll nur noch erlaubt sein, wenn andere Maßnahmen „nicht möglich oder zumutbar" seien. „Wir müssen Insekten und Ernten schützen." Das sieht Svenja Schulze anders: Sie will absolut keine Hintertürchen für den Einsatz von Glyphosat und wirft Klöckner vor, gegenüber der Lobby eingeknickt zu sein. Zugespitzt: Hat sich für die eine die Landwirtschaft dem Insektenschutz zu fügen (Schulze), möchte die andere den Insektenschutz den Belangen der Bauern unterordnen (Klöckner). Eine Lösung für die Quadratur des Kreises steht noch aus.