Im zehnten Jahr trainiert Christian Streich nun schon den Fußball-Bundesligisten SC Freiburg. Und das obwohl oder vielleicht gerade weil er einer der unangepasstesten Typen in diesem Geschäft ist.
Dass so etwas irgendwann wieder passiert, auch nur annähernd, hätten sie wohl selbst beim SC Freiburg nicht gedacht. 16 Jahre lang, von 1991 bis 2007, war Volker Finke ununterbrochen Trainer des SC. Es ist die bis heute längste Amtszeit eines Trainers im deutschen Profi-Fußball. Doch nun ist Christian Streich auch schon wieder in sein zehntes Jahr als Chefcoach bei den Breisgauern gegangen. In der ewigen Rangliste des deutschen Fußballs liegt er damit nun schon auf Platz zehn. Und im Gegensatz zu allen anderen außer dem seit 2007 amtierenden Frank Schmidt in Heidenheim ist er noch im Amt. Und ein Ende nicht absehbar.
Ob Streich wirklich auch noch die sieben Jahre vollmacht, um Finkes Rekord zu brechen (so Schmidt nicht dazwischenfunkt), ist derzeit nicht abzuschätzen. Am 29. Dezember 2027 hätte Streich Finke überholt. Er wäre dann schon 62. Und welche Ewigkeit sieben Jahre im Profi-Fußball sind, beweist der Blick auf die Rangliste der längsten aktuell währenden Amtszeiten in der Bundesliga. Nach Streich kommt der Bremer Florian Kohfeldt mit rund dreieinviertel Jahren, dann schon Frankfurts Adi Hütter und Union Berlins Urs Fischer mit je etwa zweieinhalb. Doch zuzutrauen ist das sowohl Streich als auch dem SC durchaus. Und Streich, der als Spieler auf gerade mal zehn Bundesliga-Einsätze für den FC Homburg kam, hat auch schon eine Ahnung, warum das mit den Trainer-Dynastien im Schwarzwald so gut klappt. „Die Wurzeln wachsen in Freiburg manchmal etwas schneller als anderswo", sagte er mal und ergänzte lächelnd: „Es kommt eben auch auf den Boden an."
Kritiker werfen ihm bisweilen eine Selbstinszenierung vor
Überhaupt scheint es, als habe Streich für alles eine Erklärung und zu allem eine Meinung. Einige stört das. Sie werfen Streich vor, sich mit seiner Intellektualität immer wieder selbst zu inszenieren. Ein bisschen Koketterie ist sicher auch dabei, wenn Streich oft vermeintlich ganz spontan, emotional und authentisch seine Meinung zum Weltgeschehen zum Besten gibt. Doch in Zeiten, in denen Fußballer und damit auch Trainer mehr denn je Personen des öffentlichen Lebens sind, und sie sich genau deshalb gern dahinter verstecken „mich auf den Fußball zu konzentrieren", tut diese offene Art auch einfach gut, weil man Streich anmerkt, dass es ihm in letzter Instanz auch immer ein Anliegen ist. Weil er nicht komplett in der Fußball-Blase lebt, sondern auch nach links und rechts schaut und auch seine Profis immer wieder auf diesen Blick stößt. Und weil er in Konsequenz damit auch ideal zum Bild des SC Freiburg passt, diesem etwas anderen, fast jedem irgendwie sympathischen Club, der immer schon ökologisch dachte und sich zumindest gegen die extremen Auswüchse des Kapitalismus im Fußball-Geschäft immer ein Stück weit verwehrte. Davon, dass er mit seinem alemannischen Singsang auch dialektisch die größtmögliche Verbundenheit ausdrückt, ganz abgesehen. All das ist derweil auch der Grund, warum viele daran zweifeln, dass dieser zweifellos herausragende Fachmann in anderen Vereinen ähnlich gut funktionieren würde. Was Streich offenbar auch selbst ahnt, denn Angebote wird er in all den Jahren sicher gehabt haben.
Doch er wusste auch stets, was er am SC Freiburg hat. Und den Drang, mehr Geld zu verdienen, hatte er offenbar auch nie. „Es ist ein Unterschied, ob du 800 Euro netto im Monat verdienst und eine Familie ernähren musst und das nicht kannst", sagte Streich mal. Bei „3.500, 4.500 oder 50.000 Euro" sei es dann aber egal. Studien beweisen das, fügte er noch an. Überhaupt ist das ungehemmte Wettbieten im Fußball ihm ein Dorn im Auge. „Der Gott des Geldes wird immer größer", sagte er mal: „Und irgendwann verschlingt er alles. Der Mammon – er steht nicht umsonst in den alten Büchern – ist eine der größten Gefahren für die Menschen. Dass er über sie Besitz ergreift. Das muss man jedes Mal wieder reflektieren." Diese Einsicht käme aber nicht, „solange es Menschen gibt".
Das sind Aussagen, die man in dieser Form von keinem anderen Profitrainer hört. Aber Streich rief auch schon mal seine Spieler öffentlich auf, wegen eines Auswärtsspiels am Wahl-Sonntag auf jeden Fall Briefwahl zu machen. „Damit wir möglichst viele Stimmen abgeben für demokratische Parteien und gegen diese unsägliche fremdenfeindliche und gästefeindliche Politik einiger Parteien." Diese sei „gerade in diesem Land mit dieser Historie sehr bedenklich und macht große Sorge".
Natürlich ist Streich auch gegen Investoren im Fußball. Denn ein Verein gehöre „nicht einem Menschen. Der Verein gehört den Menschen und Mitgliedern, die sich mit ihm identifizieren." Wenn Hoffenheims Mäzen, der SAP-Milliardär Dietmar Hopp, in den Stadien verunglimpft wird, sieht Streich aber wieder vor allem den Menschen und lässt seinem Ärger freien Lauf. „Diese Hetze gegen Menschen ist nicht hinnehmbar", sagte er dann und plädierte für einen Spielabbruch in solchen Fällen: „Wenn es so weiter geht, steh’ ich dahinter, dass ein Spiel einfach beendet wird und man nach Hause geht."
Das alles mag man in dem ein oder anderen speziellen Fall anstrengend, weil sehr belehrend finden. Aber unabhängig davon, dass Streichs Ideale lobenswert sind, tut ein Trainer wie er dem Geschäft der immer unmündigeren Superstars einfach gut. Und deshalb dürfen auch außerhalb von Freiburg viele hoffen, dass er noch lange im Amt bleibt.