Für zwei denken, aber nicht das Doppelte essen: In der Schwangerschaft ist es besonders wichtig, auf die Qualität der Ernährung zu achten, um dem Baby den besten Start ins Leben zu ermöglichen.
Herzlichen Glückwunsch – Sie bekommen ein Baby." Diesen Satz hören über 700.000 Frauen in Deutschland jedes Jahr. Mit einer Schwangerschaft beginnt ein ganz neuer Lebensabschnitt, und dieser ist bei vielen Frauen verbunden mit der Frage: Wie kann und soll ich mich jetzt ernähren?
„Ganz allgemein kann man sagen: Die Ernährungsempfehlungen von Schwangeren unterscheiden sich gar nicht so sehr von denen anderer gesunder Frauen", sagt Monika Cremer vom Netzwerk „Gesund ins Leben" und fasst die wichtigsten Punkte zusammen: „Schwangere sollten auf eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung achten. Sprich: Wasser anstatt kalorienreicher Getränke, viel frisches Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkorn, mäßig Milch, Milchprodukte und tierische Lebensmittel. Weil eine schwangere Frau mehr Vitamine und Mineralien als vor der Schwangerschaft braucht, aber nicht viel mehr Kalorien, sollte sie besonders auf die Qualität des Essens achten."
Das Netzwerk „Gesund ins Leben" ist Teil des Bundeszentrums für Ernährung (BZfE) und hat als Partner neben den Berufsverbänden der Hebammen, Frauen- und Kinderärzte auch Ernährungs- und Stillberatende, ärztliche Praxen und Krankenhäuser, Familienberatungsstellen, wissenschaftliche Einrichtungen und Fachgesellschaften, Kommunen und die Netzwerke der Frühen Hilfen. Es unterstützt Fachkräfte, die werdende Eltern und Familien mit Säuglingen und Kinder bis drei Jahren zu Ernährung und Bewegung beraten. Es informiert Eltern und werdende Eltern, wie sie sich und ihr Kind ausgewogen ernähren. Monika Cremer arbeitet seit der Gründung vor zehn Jahren für das Netzwerk und ist unter anderem an der Erstellung von Handlungsempfehlungen beteiligt.
Eine der wichtigsten Empfehlungen lautet: Lebensmittel vom Tier (Fleisch, Fisch, Milch und Milchprodukte) nur durcherhitzt zu essen – also gekocht, durchgebraten oder pasteurisiert. „Denn rohe tierische Lebensmittel können manchmal Erreger enthalten, welche die Infektionen Toxoplasmose oder Listeriose auslösen. Diese Lebensmittelinfektionen sind in der Schwangerschaft selten, sie können aber dem ungeborenen Kind erheblich schaden", so Cremer. Was noch dazu gehört: auf Sauberkeit und Hygiene in der Küche achten, Obst und Gemüse gründlich waschen. Auch wenn es schnell geht: In der Schwangerschaft sollten bereits vorgeschnittene Salatmischungen aus der Tüte gemieden werden. Denn in ihnen können sich Keime vermehren.
Jod und Folsäure müssen zusätzlich eingenommen werden, da die Versorgung durch die Ernährung nicht ausreicht. „Und wenn Frauen keinen Fisch essen, sollten auch langkettige Omega-3-Fettsäuren (DHA) supplementiert werden. Alles Weitere sollte die Frau individuell mit ihrem Arzt abklären", so die Ernährungsexpertin.
Aleyd von Gartzen ist Bundesbeauftragte für Stillen und Ernährung im Deutschen Hebammenverband. Die 66-Jährige hat jahrzehntelange Erfahrung als Hebamme: „Es hat sich viel getan und wir wissen heute viel mehr, was dem ungeborenen Kind guttut oder schadet. Als ich 1977 mein erstes Kind bekommen habe, war Ernährung noch kaum ein Thema. Zum Glück hat sich das geändert." Doch mit einem Überangebot an Informationen aus Büchern, dem Internet und von Freunden und Bekannten steige auch die Verunsicherung. „Manche Frauen haben den Eindruck, dass sie überhaupt nichts mehr essen dürfen. Die Auswahl der Nahrungsmittel wird für sie quasi zu einer Wissenschaft", sagt von Gartzen und fordert in diesem Punkt mehr Gelassenheit: „Frauen sollten sich nicht komplett verrückt machen. Wenn sie insgesamt achtsam sind, geht die Welt nicht unter, falls sie doch mal etwas nicht Empfohlenes gegessen haben."
Ein Phänomen, das die Hebamme über die Zeit beobachtet: Es gibt immer mehr übergewichtige Frauen. Und nicht wenige Frauen haben bereits oder entwickeln innerhalb der Schwangerschaft einen Diabetes. „Die Schwangerschaft ist ein guter Zeitpunkt, um die eigene Ernährung zu überdenken und eventuell auch eine gesündere Lebensweise zu starten", empfiehlt von Gartzen. „Es ist eine Phase, in der Frauen besonders sensibel sind, weil sie für sich und ihr Kind alles richtig machen wollen."
„Es wäre natürlich wünschenswert, mit Normalgewicht in die Schwangerschaft zu gehen", sagt auch Netzwerk-Expertin Monika Cremer. „Denn ein Übergewicht der Mutter kann eventuell auch späteres Übergewicht beim Kind fördern."
Der Satz „jetzt musst du für zwei essen" war früher weit verbreitet. „Aber das ist ein Irrglaube", sagt Hebamme Aleyd von Gartzen. „Tatsächlich ist der Kalorienbedarf in der Stillzeit erhöht. Im ersten Drittel der Schwangerschaft jedoch braucht eine Frau gar nichts zusätzlich, gegen Ende ist der Mehrbedarf nur moderat erhöht. „Für zwei denken, aber nicht für zwei essen" ist dabei das Motto. „Häufig überschätzen Schwangere ihren tatsächlichen Energiemehrbedarf. 250 Kalorien mehr brauchen sie gegen Ende der Schwangerschaft. Das ist aber lediglich eine Scheibe Vollkornbrot mit Käse oder ein Becher Joghurt mit einer Handvoll Obst und ein bisschen Müsli", sagt von Gartzen.
Die Gewichtszunahme sei von Frau zu Frau individuell und beträgt in den meisten Fällen zwischen zehn und 16 Kilogramm, kann aber auch deutlich davon abweichen. „Das hat nicht zwangsläufig etwas mit der Ernährung zu tun, sondern kann Veranlagung sein", sagt von Gartzen. „Meine Beobachtung ist, dass sehr übergewichtige Frauen oft weniger zunehmen. Aber auch, wenn man als normalgewichtige Frau mehr als 16 Kilogramm zunimmt, braucht man sich meistens keine allzu großen Sorgen machen, denn in vielen Fällen verschwinden die Kilos wieder relativ schnell."
„Auf gar keinen Fall sollte man während der Schwangerschaft eine Diät starten", warnt Verena Bieler-Spießl. „Denn dann könnten einige Nährstoffe zu kurz kommen und die Entwicklung des ungeborenen Kindes beeinträchtigen." Bieler-Spießl ist Heilpraktikerin, Ernährungsberaterin und Osteopathin für Säuglinge, Kinder, Schwangere und Erwachsene. Sie begleitet Frauen in Schwangerschaft sowie Stillzeit und darüber hinaus. In ihren Beratungen erlebt sie, dass Frauen heutzutage viel achtsamer und bewusster sind und sich intensiv mit dem Thema Ernährung auseinandersetzen: „Aber gerade beim ersten Kind sind viele auch extrem unsicher. Ich versuche, ihnen die Ängste zu nehmen."
Bieler-Spießl empfiehlt ihren Patientinnen, die ganze Bandbreite an Lebensmitteln abzudecken, dabei unter anderem verstärkt auf Vollkorn- und Bio-Produkte sowie eine regionale und saisonale Auswahl zu achten: „Die Schwangerschaft ist die wichtigste Zeit für Frauen, sich gesund, vielseitig und ausgewogen zu ernähren. Eine gesunde Ernährung ist das Fundament, das man seinem Kind weitergibt und damit die Weichen für das spätere Leben stellt. Auch über das Fruchtwasser bekommt das Baby bereits die ersten Geschmackseindrücke. Je abwechslungsreicher die Mutter sich bereits in der Schwangerschaft ernährt, desto mehr Geschmäcker sind auch dem Baby schon ‚bekannt‘. Der Geschmack des Babys erfährt schon im Mutterleib die erste Prägung."
Oft berichteten Frauen von Heißhunger auf Frisches, zum Beispiel Äpfel, Wassermelone oder Salat. „Eine Vegetarierin hatte plötzlich Appetit auf Fleisch und ist dem dann auch nachgegangen", erinnert sich Verena Bieler-Spießl. „Manchmal signalisiert einem der Körper, was ihm fehlt – in diesem Fall vielleicht Eisen. Solchen Gelüsten kann man dann ruhig nachgehen." Nur beim Verlangen nach Zucker sollte man sich etwas bändigen. „Das bringt eine negative Spirale mit sich, denn Zucker macht bekanntermaßen süchtig und auf diese Weise kann über das Fruchtwasser beim Kind eine vorgeburtliche Prägung auf Süßes sprichwörtlich mit in die Wiege gelegt werden", so die Ernährungsberaterin. Manche entwickeln auch Abneigungen gegen bestimmte Geschmäcker oder Gerüche, „aber das legt sich meist ganz schnell wieder", sagt Verena Bieler-Spießl. Das Klischee der Essiggurken mit Nutella sei bei ihren Patientinnen nicht verbreitet.
Viele Frauen erleben in den ersten zwölf bis 16 Wochen vor allem morgens eine nicht gekannte Übelkeit. Mitunter kann die hormonelle Umstellung dazu führen. Dagegen könnte helfen, bereits vor dem Aufstehen etwas Kleines zu essen. Bieler-Spießl hat zudem gute Erfahrungen mit osteopathischen Behandlungen und Homöopathie gemacht: „In der Schwangerschaft leistet der Körper sehr viel, ein wahres Wunder. Die Frauen dürfen in dieser wundervollen und einzigartigen Lebensphase sehr gut auf sich und ihr Ungeborenes achten, gute Fürsorge für sich und ihren Körper tragen."
Eine rein vegane Ernährung ohne Milchprodukte und Eier sieht von Gartzen nicht ganz unproblematisch
Ein wichtiges Thema in der Schwangerschaft ist der dringende Verzicht auf Alkohol und Nikotin. Rauchen kann das Risiko für Früh- und Fehlgeburten, Fehlbildungen, vorzeitige Plazentaablösung, geringeres Geburtsgewicht, aber auch das Risiko für späteres Übergewicht sowie für Allergien beim Kind erhöhen. Alkoholkonsum kann zu Fehlbildungen, Wachstumshemmung, Schädigung von Gewebe- und Nervenzellen sowie zu nicht reversibler Intelligenzminderung des Kindes führen. „Leider ist Alkohol immer noch ein Problem und zwar erstaunlicherweise bei einer Gruppe, bei denen man es nicht vermuten würde: gut situierte Frauen, bei denen das Glas Wein einfach zum Alltag dazu gehört und das auch in der Schwangerschaft", berichtet Aleyd von Gartzen. „Diese werden oft von der Ärztin oder der Hebamme nicht intensiv nach ihren Gewohnheiten gefragt. Man geht davon aus, dass sie in der Schwangerschaft eh nicht trinken und weist sie deshalb nicht explizit auf das Risiko hin. Aber auch beim Thema Alkohol gilt: Es ist kein Weltuntergang, wenn man ganz aus Versehen mal eine Praline mit Alkoholfüllung erwischt hat."
Eine Frage, die immer wieder gestellt wird, betrifft die Allergie-Prophylaxe. Hier gibt es eine ganz klare Empfehlung vonseiten des Netzwerks „Gesund ins Leben". „Auch wenn Allergien in der Familie bekannt sind, soll sich die schwangere Frau nicht einschränken und sich ausgewogen und abwechslungsreich ernähren. Reagiert sie selbst auf ein Lebensmittel allergisch, muss sie das betreffende Lebensmittel natürlich meiden", sagt die Ernährungsfachfrau Monika Cremer.
Hebamme Aleyd von Gartzen berichtet von einer weiteren zunehmenden Personengruppe: Frauen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren. „Eine fleischlose Lebensweise stellt eigentlich kein Problem für die Schwangerschaft dar. Die Frauen sind in der Regel gut informiert, was die Ernährung insgesamt angeht, da sie sich ja bewusst mit dem Thema auseinandergesetzt und für diesen Lebensstil entschieden haben." Eine rein vegane Ernährung ohne Milchprodukte und Eier sieht von Gartzen nicht ganz unproblematisch: „Man solle sich unbedingt professionelle Unterstützung holen und auf jeden Fall fehlende Nährstoffe mit Nahrungsergänzungsmitteln ausgleichen."
Das wichtigste Anliegen setzt Hebamme von Gartzen an den Schluss: „Ich möchte den Frauen den Rücken stärken. Es werden in der Schwangerschaft so viele Untersuchungen gemacht und deutlich mehr als 50 Prozent aller Frauen wird irgendein Risiko attestiert – das macht was mit einem und kann die Psyche stark belasten. Ich möchte sie nicht noch zusätzlich verunsichern. Mir ist es wichtig, dass ich sie mit guten und aktuellen Informationen zum Thema Ernährung versorge. Entscheiden sollen sie dann selbst, was für sie und ihr Baby das Richtige ist."