Vor 20 Jahren zerstörten die Taliban die beiden weltgrößten Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyan-Tal. In der gesamten westlichen Welt wurde dies als beispielloser Akt von barbarischem Kultur-Vandalismus angeprangert.
Jahrelang hatte die internationale Staatengemeinschaft beunruhigt, aber tatenlos dem menschenverachtenden, von verquerem religiösem Fanatismus geprägten Treiben der Taliban im fernen Afghanistan zugesehen. Nachdem sich die sowjetischen Truppen eine blutige Nase in dem von zahllosen Stämmen und Ethnien geprägten Vielvölkerstaat geholt hatten und die Mudschaheddin 1994 endgültig den Kampf gegen die siegreichen Taliban verloren hatten, wagte niemand von außen mehr einen Stich in dieses politische Wespennest. Die Führer der Taliban wurden in pakistanischen, streng der sunnitischen Glaubenslehre verpflichteten Koranschulen zu einer extrem orthodox-dogmatischen Islam-Ausrichtung ausgebildet. Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan hatten sie reichlich Zeit, ihr Ziel eines islamischen Gottesstaates umzusetzen und wurden dabei noch unterstützt durch den pakistanischen Geheimdienst. Schnell stellte sich dessen System jedoch als fundamentalistisch-repressiv heraus, und lehnte vor allem auch alle westlichen Einflüsse und jeglichen vorislamischen Kult ab.
Kleine 35, große 53 Meter hoch
Religiöse Toleranz war darin überhaupt nicht vorgesehen. Von daher war es eigentlich nicht weiter verwunderlich, dass die Taliban schon 1998, als sie das 2.500 Meter hoch gelegene Bamiyan-Tal – Heimat des bei ihnen verhassten schiitischen Hazara-Stammes – im Landeszentrum erobert hatten, gleich das touristisch und kulturhistorisch bedeutsamste Monument der Region aus früheren buddhistischen Zeiten zerstören wollten. Unter Berufung auf das selbst in der islamischen Welt über Jahrhunderte lang ziemlich umstrittene sogenannte Bilderverbot, das sämtliche Darstellungen oder Nachbildungen von Menschen oder auch Tieren untersagt, sollten die beiden aus felsigen Sandsteinwänden kunstvoll herausgearbeiteten größten Buddha-Statuen des Globus dem Erdboden gleichgemacht werden. Die Sprenglöcher im Kopf der größeren, 53 Meter hohen Statue waren schon gebohrt worden. Erst im letzten Augenblick hatte damals der lokale Taliban-Kommandeur dann doch von einer kompletten Vernichtung des Unesco-Weltkulturerbes abgesehen und stattdessen „lediglich" den Kopf der kleineren, 35 Meter hohen Statue zertrümmern lassen.
Dieser barbarische Akt war keineswegs der erste Anschlag auf die beiden Monumente. Diese hatten nach dem Vordringen des Islams seit dem späten 10. Jahrhundert und der damit verbundenen Zurückdrängung von Buddhismus und Hinduismus nach und nach jegliche religiöse Bedeutung verloren. Aus diesem Grund konnten sie von den Einheimischen bedenkenlos geplündert oder nach Belieben ramponiert werden. Als erstes wurden seit dem 17. Jahrhundert der Blattgold-Überzug und die schmückenden Juwelen entwendet, danach wurden einzelne Körperteile abgeschlagen.
Dennoch löste die Ankündigung von Mohammed Omar, dem obersten Taliban-Führer und Staatsoberhaupt des selbst ernannten Islamischen Emirats Afghanistan, von der bevorstehenden Zerstörung der beiden Buddha-Statuen am 26. Februar 2001 weltweit größtes Entsetzen aus. In westlichen Medien wurde sogleich der Topos eines „barbarischen Vandalismus" geboren. Ob diese Diffamierung der cleverste Weg war, um das Schlimmste in letzter Sekunde noch verhindern zu können, wurde im Nachhinein von einigen Kommentatoren bezweifelt. Vor allem auch das Angebot des New Yorker Metropolitan Museums von Anfang März 2001, alle beweglichen Altertümer aus Bamiyan aufkaufen zu wollen, wurde von den Taliban als Einmischung in innere Angelegenheiten und als Unverschämtheit angesehen.
Internationale Proteste
Auch die in Windeseile zur Rettung des Weltkulturerbes einberufene Vollversammlung der Vereinten Nationen konnte die Taliban-Führung letztlich nicht umstimmen. Mehr als die Verabschiedung einer Resolution konnte die UN nicht bewirken: „Es geht darum, diese unersetzlichen Monumente der Menschheit in Sicherheit zu bringen, sie etwa in Museen zu schaffen und so aufzubewahren, dass sie zum gegebenen Zeitpunkt dann wieder an den Ort ihres Ursprungs zurückgebracht werden können." Wie das Ganze praktisch umgesetzt werden sollte, wurde gar nicht weiter diskutiert. Kaum vorstellbar, dass die Taliban westliche Experten zur monatelangen Demontage der tonnenschweren gigantischen Sandsteinblöcke ins Land gelassen hätten.
Am 2. März 2001 begannen die „Gotteskrieger" denn auch mit der sich über knapp zwei Wochen hinziehenden Zerstörungsaktion, wobei sie Dynamit, Flugabwehrkanonen und andere schwere Waffen zum Einsatz brachten. Vom 3. bis 6. März 2001 wurde dabei eine Vernichtungspause eingelegt, weil in diese Tage der Haddsch, die heiligste Periode des muslimischen Kalenders mit der Pilgerfahrt nach Mekka, gefallen war. Danach sollte, so der „Tagesspiegel", das „Paradigma dieses modernen Bildersturms im Namen Allahs" seinen verheerenden Lauf nehmen. Mohammed Omar lieferte der erzürnten Weltöffentlichkeit eine ganz lapidare Erklärung mit: „Wir verstehen nicht, warum alle so besorgt sind … Alles, was wir zerbrechen, sind Steine."
Seinen Anhängern stellte er gleichzeitig über den Taliban-Rundfunksender Radio Scharia die rhetorische Frage: „Wollt ihr lieber einen Götzenzerstörer oder Götzenverkäufer haben?" Dass der Aktion wohl nicht nur religiöse, sondern auch ganz reale politische Überlegungen zugrunde lagen, hatte der Kunsthistoriker Finbarr Barry Flood vor einigen Jahren aufgedeckt. Laut Flood war die Sprengung der Buddhas auch eine Reaktion der Taliban auf westliche Sanktionen wegen der Nichtauslieferung von Osama bin Laden gewesen. Zudem seien die Monumente ein weltweit bekanntes Symbol des von den Taliban wegen seiner versuchten Einpassung in die globale Staatengemeinschaft verhassten afghanischen Nationalstaats gewesen.
Vor langer Zeit in Stein gemeißelt
Am 12. März 2001 war der Kulturvandalismus aus Sicht der Taliban erfolgreich beendet, wobei ihm neben den beiden Statuen noch weitere verwandte Kunstwerke im lokalen Umfeld sowie später fast alle buddhistischen Ausstellungsstücke im Nationalmuseum der Hauptstadt Kabul zum Opfer fielen. Dadurch wurde eine einzigartige, für das Selbstverständnis der Nation Afghanistan unwiederbringliche Tradition gleichsam vollständig ausgelöscht. Es handelte sich um die sogenannte Gandhara-Kultur, die sich in der Antike rund um die heutige Stadt Peschawar im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan entwickelt hatte. Von dort aus war sie über die Seidenstraße und mithilfe buddhistischer Mönche nicht nur ins Bamiyan-Tal, sondern auch nach China, Korea oder Japan gelangt. Es handelte sich um eine künstlerische Stilmischung, bei der infolge der Eroberungszüge Alexander des Großen Einflüsse aus dem griechischen und indischen Kulturkreis zur Glorifizierung Buddhas perfekt vermischt worden waren.
Die Blütezeit der Gandhara-Kultur war das 1. bis zum 5. Jahrhundert n. Chr. Ab dem 1. Jahrhundert gab es erstmals auch skulpturale Darstellungen von Buddha in menschenähnlicher oder anthropomorpher Gestalt, während der Religionsstifter in der Kunst früherer Zeiten nicht visuell vertreten war.
Angeblich soll es weitere Figuren gegeben haben
Die beiden stehenden Bamiyan-Buddhas, deren Gewänder einer griechischen Toga nachempfunden waren, wurden von buddhistischen Mönchen im 6. Jahrhundert in den roten Sandstein gemeißelt. Sie waren elementarer Bestandteil eines umfangreichen Felsenkloster-Areals. Das größere Exemplar wurde anschließend mit karmesinroter Farbe bemalt, bei der kleineren Statue wurde vornehmlich Blau verwendet. Wo genau Blattgold und Juwelen aufgetragen waren, lässt sich nicht mehr mit Gewissheit ergründen. Vermutlich im Gesicht. Ursprünglich gab es wohl auch noch einen dritten großen, allerdings sitzenden Buddha, auch Reste eines schlafenden Buddhas wurden 2008 gefunden. Manche historische Quellen erwähnen zusätzlich auch noch einen liegenden Buddha, dessen Ausmaße mit 300 Metern Länge allerdings ziemlich märchenhaft anmuten. Dennoch haben sich Archäologen in den vergangenen Jahren auf die Suche nach diesem Artefakt gemacht. Seit dem durch den Einmarsch der US-Truppen infolge des Terroranschlags am 11. September 2001 ausgelösten Ende der Taliban-Diktatur gibt es immer wieder wissenschaftliche Überlegungen zu einer Rekonstruktion der beiden Buddha-Skulpturen, ohne dass dieses Projekt bislang über die Bergung und Dokumentation der Felsfragmente hinaus ernsthaft in Angriff genommen worden wäre. Noch klaffen in den Sandsteinwänden nur riesige Löcher. Häufig wird den Taliban in Medienveröffentlichungen der Vorwurf des Ikonoklasmus gemacht, was allerdings nicht zutrifft, weil man unter dieser Form der Bilderstürmerei gemeinhin nur die Zerstörung von Kulturdenkmälern der eigenen Religion versteht.