Normalerweise sind für Politiker Gespräche mit potenziellen Wählern das A und O. Aber wie sieht eine Wahlkampagne aus, die genau das nicht zulässt? Wir haben FDP-Spitzenkandidatin Daniela Schmitt durch die Pfalz begleitet. Eine Reportage.
Wenn ich an Wahlkämpfe denke, dann denke ich an kleine Stände in überfüllten Innenstädten, Plakate und Spitzenkandidaten, die mit einer Gruppe von Wahlkämpfern von einer Haustür zur nächsten laufen. Ich denke an Wahlkampfbusse, die das Team von A nach B befördern, an Wahlkampfzentralen, in denen fleißig organisiert wird. Insbesondere denke ich an Nähe und Erreichbarkeit zwischen Politikern und Bürgern. Zwei Aspekte, die einem in der aktuellen Corona-Situation unsagbar fern vorkommen.
Dennoch wird es in diesem Jahr Wahlkämpfe geben. Und das sogar mehrfach. Kein Wunder also, dass die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz aktuell bundespolitische Beobachtung genießen wie nie zuvor, sind sie doch in gewisser Weise die Generalprobe zum Bundestagswahlkampf.
Viele Politexperten, aber auch einige Journalisten haben die beiden Bundesländer daher ganz genau unter die Lupe genommen. Und so finde auch ich mich im Hunsrück wieder. Hier startet die Tour der FDP-Spitzenkandidaten Daniela Schmitt durch die Wahlkreise 22 und 23.
Es ist 10 Uhr, als ich auf den Parkplatz des Landhotels „Karrenberg" fahre. Dort lacht Daniela Schmitt mich bereits an – in Großformat von der Seite eines weißen Transporters. Generell lächeln mich auf meinem Weg durch die Pfalz ungewohnt viele Politiker von Pkw, Plakaten und Großflächen an. Das liegt nicht nur daran, dass die Parteien dieses Mal früher plakatieren durften als sonst, sondern sie taten dies auch deutlich mehr. Allein die FDP hat über den Landesverband 23.000 Plakate im Format A1 und A0 ausgegeben. Das ist fast das Doppelte im Vergleich zu 2016. Dazu kommen über 350 Großflächen – 50 mehr als im vergangenen Landtagswahlkampf.
Um das Landhotel hat sich eine kleine Gruppe versammelt. Roberto Olla und Marina Bast führen das Haus mit Traumlage im Drei-Länder-Eck seit über acht Jahren. Der gewohnte Wahlkampfstab ist deutlich kleiner als zu normalen Zeiten. Wir sind zu acht.
Inzwischen lacht mich Daniela Schmitt auch in natura an. „Wahlkampf in Corona-Zeiten ist etwas ganz anderes. Man freut sich, wenn man mal rauskommt", erzählt sie bereits kurz nach dem Eintreffen. Denn viele Termine finden nicht mehr vor Ort, sondern digital statt. Auch für diesen Abend steht ein solcher Livestream an.
Viele Termine mit wenigen Teilnehmern
Jetzt aber ist sie vor Ort. Mit entsprechendem Abstand und medizinischen Masken vor Mund und Nase. Das Wetter ist gnädig, sodass ein großer Teil des Termins problemlos an der frischen Luft stattfinden kann. Thematisch geht es um Tourismus, eines der Themen, mit denen Schmitt sich profilieren will. Denn der Tourismus im Land muss sich umstellen, um die Krise zu überleben. Der vergangene Sommer hätte die Chancen der Region gezeigt: Viele Leute, die sonst weggeflogen wären, haben die Möglichkeit zum Inlandsurlaub ergriffen. „Das sind Leute, die auch wiederkommen werden", so Daniela Schmitt.
Fast eineinhalb Stunden verbringen wir im Landhotel „Karrenberg". Dann geht es um Fotos. Auch hier gilt die Devise: Je weniger Personen, desto besser. Auf manchen Terminen seien daher Fotos in zwei Gruppen gemacht worden, erzählt man mir. Heute darf die kleine Runde zusammen aufs Bild. So ganz gewöhnt habe ich mich persönlich noch nicht an die Gruppenfotos der 2020er-Jahre – mit Maske und Sicherheitsabstand.
Nach einer kurzen Fahrt befinden wir uns in der Kirchberger Stadtmitte. Hier hat Lena Drefke Anfang vergangenen Jahres ihren Traum erfüllt und eine Halle für ihren Blumenladen gebaut. Der Lockdown hat sie beide Male schwer getroffen. Die Auszahlung –
oder in dem Fall eher Nicht-Auszahlung – der Corona-Hilfen bereitet ihr große Sorgen. „Es ist eine Katastrophe, wie man mit den Gewerbetreibenden umgeht", so Daniela Schmitt, die das Szenario als Wirtschaftsstaatssekretärin tagtäglich miterlebt.
Nach zwei weiteren Besuchen beim benachbarten Optiker und einem Küchenstudio geht es zurück zu den Autos und nach Andel. Da ein eigentlich vorgesehener Termin ausfallen musste, geht es nun direkt zum Bürger. Denn jede Minute muss im Wahlkampf genutzt werden. Doch ist außer dem Einwerfen von Flyern in die Briefkästen der Andler Bewohner nicht viel möglich. Dabei ist gerade für eine Partei wie die FDP der Mangel an persönlichen Gesprächen ein großes Problem. Erfahrungsgemäß entscheiden sich viele FDP-Wähler erst relativ zum Ende des Wahlkampfes in Gesprächen an den Infoständen für ein Kreuzchen bei den Liberalen. Dennoch gilt für Schmitt und ihren Landesverband: „Es ist wichtig, nicht erst im Wahlkampf wach zu werden, sondern schon vorher ein Fundament zu legen."
Der nächste Halt ist die Druckerei Krämer. Leo Krämer führt den Familienbetrieb mit seinen Söhnen Christian und Matthias Krämer. Einer der Hauptgeschäftszweige ist hierbei der Druck von Weinetiketten. „Die mittelständische Wirtschaft ist mir ein Herzensthema", sagt Daniela Schmitt. „Daher ist mir der Dialog hier auch sehr wichtig. Diese per se negative Darstellung von Unternehmen stört mich sehr. Ich glaube, es gibt fast nichts Nachhaltigeres als ein gut geführtes Familienunternehmen", so Schmitt. Denn nicht nur das Unternehmen, sondern auch Tradition werde hierbei weitergegeben.
Tradition hat auch die kleine Bäckerei, die wir jetzt ansteuern. Dirk Mertes ist Gewinner des diesjährigen Landes-Ehrenpreises im Bäckerhandwerk. Ein kurzes Foto und weiter geht’s, denn der Tag ist stramm getaktet. Inzwischen ist es 16 Uhr, und es gab noch keine ruhige Minute. Die Fahrten nutzt die Politikerin für wichtige Telefonate und Videoschalten. Trotzdem trägt sie auf jedem Termin ein Lächeln auf den Lippen, hört zu und stellt Fragen.
Online-Talks als Format der Zukunft
Nächster Stop: Clemens Technologies stellt in Wittlich Maschinen her, die unter anderem im Weinbau eingesetzt werden. Kunden haben sie in der ganzen Welt. Fehlen dürfen sie bei der Tour auf keinen Fall, denn Weinbau spielt eine so wichtige Rolle im Bundesland, dass es dort sogar das einzige Weinbauministerium in ganz Deutschland gibt. Das Ministerium, für das auch Schmitt zuständig ist. „Ich freue mich immer, auch intensivere Einblicke hinter die Kulissen zu bekommen", sagt Schmitt. Nach einem angeregten Gespräch mit Mitarbeitern und Geschäftsleitung gibt es noch eine kleine Tour durch die Werkhalle des 1952 gegründeten Familienbetriebs.
Es ist bereits nach 17 Uhr, als es Richtung Weingut Kochan und Platz nach Lieser geht. Dort wartet neben einer Tour mit Inhaber Oliver Platz auch ein kleines Abendessen auf das Kernteam. Wirklich viel Zeit bleibt dafür aber nicht, denn um 18 Uhr geht es weiter zum letzten Programm-Punkt des Tages. Der „Wein Talk" findet im Studio Schmitt statt. Der Streamingraum ist Dreh- und Angelpunkt des FDP-Wahlkampfs. Dort hat Daniela Schmitt
bereits mit vielen Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern – vor Ort oder zugeschaltet – live diskutiert. „Ich bin davon überzeugt, dass wir auf diese Art auch Leute erreichen, die wir bei einem normalen Wahlkampf nicht erreicht hätten", sagt sie. Daher sollen ähnliche Formate auch nach der Pandemie beibehalten werden. Insbesondere die Klickzahlen im Anschluss zur Übertragung überzeugen: Wo bei einer Präsenzveranstaltung nur die Anwesenden angesprochen werden, kann das Videoformat auch noch später angeschaut werden.
Aber wer das Internet kennt, weiß, dass der anonyme Raum auch dunkle Seiten hat. Hatespeech und Beleidigungen sind leider keine Seltenheit. „Man ist als Politiker zu einer Projektionsfläche geworden. Das Klima wird rauer", sagt Schmitt. „Jeder glaubt, nur weil man eine Person des öffentlichen Lebens ist, alles kommentieren und beurteilen zu müssen."