Seit 1991 ist Rheinland-Pfalz fest in sozialdemokratischer Hand. Die amtierende Ministerpräsidentin Malu Dreyer möchte dieses Jahr in ihre dritte Amtszeit starten. Dabei zeigt sich die SPD-Politikerin optimistisch, sieht aber in einigen Bereichen auch dringenden Handlungsbedarf.
Frau Dreyer, Sie haben bereits einige Wahlkämpfe geführt und auch gewonnen. Dieses Jahr sind es gleich zwei – und beide werden Sie vor ganz besondere Herausforderungen stellen. Wie haben Sie den Auftakt in dieses Wahljahr erlebt?
Mir macht Wahlkampf sehr viel Spaß, da man dabei mit Menschen in Kontakt kommt, seine politischen Anliegen unmittelbar darstellen und hören kann, wo den Menschen der „Schuh drückt". In Zeiten einer Pandemie ist dies naturgemäß etwas anders, Veranstaltungen im klassischen Sinne gehen nicht. Aber wir haben sehr viele alternative und digitale Formate, die mir auch die Möglichkeit geben, ganz direkt mit den Menschen zu kommunizieren.
Vieles muss nun über digitale Formate laufen. Birgt das auch Chancen?
Natürlich ist der direkte, unmittelbare und persönliche Kontakt mit Menschen nicht zu ersetzen. Aber man muss auch sehen, dass vor allem jüngere Menschen sehr viel digital unterwegs und zu erreichen sind. Und sie über digitale Formate anzusprechen, finde ich sehr wichtig.
Die Themenschwerpunkte vieler Bürger haben sich im vergangenen Jahr durch die Corona-Pandemie verändert. Egal ob Landtags- oder Bundestagswahl: Was denken Sie, werden die entscheidenden Themen sein?
Die Bekämpfung der Pandemie und die Abmilderung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen für die Menschen haben ganz sicher im Moment oberste Priorität. Dafür bin ich gemeinsam mit meiner Landesregierung nahezu rund um die Uhr im Einsatz. Aber natürlich bleiben andere Themen sehr wichtig. Beispielhaft nenne ich nur das Thema Bildung: Hier sollen alle Kinder das Rüstzeug erhalten, um sich sicher in der digitalisierten Welt bewegen und sie gestalten zu können. Wir sichern eine hohe Unterrichtsqualität und garantieren 100 Prozent Unterrichtsversorgung an all unseren Schulen. Ein weiteres Beispiel ist das Thema Transformation der Arbeit, bei der es auch darum geht, wie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beispielsweise über Qualifizierung und Weiterbildung fit für die Arbeitswelt bleiben können. Und wir wollen natürlich, dass Rheinland-Pfalz ein erfolgreiches Industrieland bleibt, mit guter Arbeit für die Bürger und Bürgerinnen und nachhaltigen Produktionsweisen. Außerdem steht Klimaschutz ganz oben auf unserer Agenda: Als erstes Bundesland nehmen wir uns das ehrgeizige Ziel vor, bis 2040 klimaneutral zu werden.
Stichwort Bildung: Sie sprechen öfter von der „Zukunftsschule". Was stellen Sie sich darunter vor?
Unsere Schulen werden sich in den nächsten Jahren stark verändern. In der Arbeitswelt der Zukunft wird es keinen Beruf mehr geben, in dem man nicht mit digitalen Technologien arbeitet. Darauf müssen wir die Kinder und Jugendlichen bestmöglich vorbereiten. Wir wollen, dass alle Schüler und Schülerinnen über digitale Endgeräte und Lehrkräfte über Laptops verfügen. Über die Technik hinaus geht es aber auch um eine neue Lernkultur in unseren Schulen: In Zukunft soll noch projektorientierter gelernt werden, anhand von individuellen Lernzielen statt starrer Lehrpläne. 100 Zukunftsschulen werden vorangehen und im Netzwerk mit allen anderen Schulen diese neue Form des Lernens leben.
Insbesondere die Corona-Krise macht Digitalisierung unerlässlich. Aber auch die flächendeckende medizinische Versorgung wird immer bedeutungsstärker. Beides – und noch viele andere Themen – sind schon lange in vielen ländlichen Regionen problematisch. Wird die Krise das Ungleichgewicht zwischen dem urbanen und dem ländlichen Raum weiter verschärfen?
Die Digitalisierung ist der Schlüssel, um urbane und ländliche Räume gleichermaßen lebenswert zu halten. Rheinland-Pfalz ist ein Flächenland, in dem die meisten Menschen in ländlichen Regionen leben und die Lebensqualität hier absolut schätzen. Voraussetzung ist, dass sie gleichwertige Lebensverhältnisse wie die Menschen in der Stadt haben, sei es in der Arbeit, bei der gesundheitlichen Versorgung oder der Bildung ihrer Kinder. Der weitere Ausbau des schnellen Internets ist für uns daher ein wichtiges Ziel, weil er es Betrieben auf dem Land ermöglicht, zukunftssichere Arbeitsplätze anzubieten oder auch Angebote im gesundheitlichen Bereich verbessern kann. Ich nenne hier beispielsweise das Stichwort Telemedizin.
Viele Kliniken stehen momentan vor dem finanziellen Aus. Aktuell ist auch eine bundesweite Kampagne zum Erhalt und Ausbau von Krankenhäusern angelaufen. Wie bewerten Sie die Situation?
Die Pandemie hat gezeigt, wie wertvoll und effizient es ist, wenn sich insbesondere kleine Krankenhäuser zu Netzwerken zusammenschließen und bei der Versorgung Hand in Hand arbeiten. Das ist die Zukunft! Und wir dürfen uns in Rheinland-Pfalz auf unserem Weg absolut bestätigt fühlen. Vor über einem Jahr hat Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler alle wichtigen Akteure der Krankenhauslandschaft zusammengerufen und ein Konzept erarbeitet, wie unsere Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte und Ärztinnen, Physiotherapie, Pflege und andere medizinische Akteure in Zukunft in Gesundheitsnetzwerken zusammenarbeiten können. Die Modellstandorte in Kirn und Saarburg sind wegweisend – in Zukunft wollen wir in ganz Rheinland-Pfalz Gesundheitsnetzwerke etablieren.
Nicht nur das drohende Auseinanderklaffen der Lebensstandards in den verschiedenen Regionen treibt zurzeit viele um. Die Gesellschaft scheint sich immer weiter zu spalten, Umgangsformen verrohen zunehmend, und die Aggressivität gegenüber Politikern hat stark zugenommen. Wie erklären Sie sich das?
Die Debatte war schon vor Corona sehr aufgeladen und aggressiv, bis hin zur Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst und auch gegen Politiker und Politikerinnen. Und dann bringen Krisenzeiten viele Menschen in absolute Stresssituationen und verschärfen den Ton noch einmal zusätzlich. Das erleben wir jetzt in dieser Pandemie, die für alle absolut herausfordernd ist. Es ist völlig legitim, Kritik zu üben, zum Beispiel an den Maßnahmen zur Bekämpfung von Corona. Was aber gar nicht geht, ist, dass Gesetze und Regeln missachtet werden, einfach weil man anderer Meinung ist. Und ich kritisiere diejenigen scharf, die demonstrieren, aber dabei gemeinsame Sache mit Antidemokraten, Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretikern machen. Das gefährdet unsere Demokratie, und das dürfen wir auch nicht einfach so hinnehmen.
Was kann man dagegen tun?
Unsere Demokratie ist stabil, aber sie ist kein Naturgesetz. Das bedeutet, wir müssen sie immer wieder gegen ihre Gegner verteidigen, nichts anderes bedeutet der Begriff „wehrhafte Demokratie". Mir macht es großen Mut, dass gerade auch junge Menschen die Gefahren, die von antidemokratischen Kräften ausgehen, ernst nehmen, sich engagieren und sich beherzt für unsere Demokratie einsetzen. Ein wichtiges politisches Ziel meiner Landesregierung ist es daher, die Strukturen für Engagement und Beteiligung junger Menschen zu erhalten und weiter auszubauen, damit ihre aktive demokratische Teilhabe weiterhin fest zum politischen Alltag gehört. Wir wollen das Wahlrecht ab 16 Jahren und hoffen, die CDU gibt ihren Widerstand dagegen auf. Darüber hinaus haben wir im vergangenen Frühjahr die Kampagne „Miteinander Gut Leben – Rheinland-Pfalz gegen Hass und Hetze" gestartet. Wir setzen damit ein Zeichen dafür, dass diese Herausforderung nicht allein durch den Staat zu bewältigen, sondern auf eine starke und couragierte Zivilgesellschaft angewiesen ist.
Im März letzten Jahres haben insbesondere die Grenzregionen unter einer Corona-Maßnahme leiden müssen: den Grenzschließungen. Auch Teile Ihres Landes sind Grenzregionen. Fürchten Sie eine weitere Grenzschließung – erwarten Sie überhaupt, dass diese Maßnahme noch einmal getroffen wird?
Ich bin klar gegen Grenzschließungen, und das habe ich immer wieder auch gegenüber dem Bund betont. Wir leben in einer Großregion mit engen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verflechtungen. Wir können uns das nicht vorstellen. Es würde sich so anfühlen, als würden wir Kontrollen zwischen einzelnen Landkreisen in Rheinland-Pfalz machen. Auch das wäre unvorstellbar.
Krisenzeiten sind bekanntlich auch immer Regierungszeiten. Dennoch liegt in Rheinland-Pfalz laut Umfragen aktuell die CDU in Führung. Auch bei der letzten Landtagswahl war das der Fall – trotzdem haben Sie das Rennen für sich entscheiden können. Auch auf Bundesebene erfährt die SPD zwar eine gewisse Anerkennung für ihre Arbeit, die sich aber nicht in den Umfragen niederschlägt. Die Suche nach Erklärungen hierfür dauert schon lange. Haben Sie eine?
Mit den Umfragewerten auf Bundesebene kann keiner in der SPD zufrieden sein. Das vor allem vor dem Hintergrund, dass die sozialdemokratischen Minister und Ministerinnen eine hervorragende Arbeit für das Land und die Menschen leisten. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass es gelingen kann, das bis zur Bundestagswahl noch stärker sichtbar zu machen. Und wir gehen mit einem starken Kandidaten, mit Olaf Scholz, in diesen Wahlkampf. Er steht für ein besonnenes, kraftvolles und zukunftsorientiertes Management der Corona-Pandemie und eine positive Vision für die Zukunft unseres Landes. Das findet in der Bevölkerung viel Anerkennung. In Rheinland-Pfalz steht meine Partei sehr gut da. Aber natürlich geht es auch bei dieser Wahl wieder um jede Stimme. Wir werben entschlossen und engagiert um das Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen, und ich bin zuversichtlich, dass wir auch dieses Mal stärkste Kraft werden.
Sie selbst führen aktuell eine Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz an. Wäre das auch auf Bundesebene denkbar?
Wenn wir auf die vergangenen fünf Jahre Ampel-Koalition schauen, können wir voller Stolz sagen: Wir haben in den vergangenen Regierungsjahren das Land sozial, wirtschaftlich erfolgreich und ökologisch nachhaltig gestaltet. Rheinland-Pfalz ist erfolgreich, lebenswert und solidarisch. Unser Land ist fit für die Zukunft. Die Landesregierung ist 2016 mit der gemeinsamen Leitidee angetreten: „Wir sind für alle da!" Die Ampel-Koalition denkt Rheinland-Pfalz zusammen und gestaltet das Land so, dass mehr Zusammenhalt, mehr Zukunft, mehr Fortschritt entsteht. Das war 2016 unser Versprechen und das haben wir eingelöst. Dass die Ampel-Regierung hier in Rheinland-Pfalz so erfolgreich arbeiten kann, hängt aber mit Sicherheit auch damit zusammen, dass wir als Partner auf der persönlichen Ebene sehr offen, verlässlich und vertrauensvoll miteinander umgehen können.
Nun brodelt um Ihren grünen Koalitionspartner im Land aktuell ein Beförderungsskandal. Wie geht die SPD damit um?
Grundsätzlich unterliegt das Personalwesen und damit auch die konkrete Ausgestaltung des Beförderungsverfahrens der Ressorthoheit der jeweiligen Ministerin oder des jeweiligen Ministers. Im Rahmen der Beantwortung einer Großen Anfrage hat die Landesregierung die Situation für jedes Ressort aufgeschlüsselt dargestellt und alle Informationen, die im Rahmen einer öffentlichen Beantwortung rechtlich zulässig sind, umfassend und transparent zur Verfügung gestellt.
Die Klimaliste bietet sich aktuell als grüne Alternative an. Aber ist sie denn ein ernst zu nehmender Konkurrent für die Grünen, vielleicht sogar ein Koalitionspartner, den man in Betracht ziehen könnte? Oder steht die Koalitionsfrage für Sie noch nicht auf der Agenda?
Wer möchte, dass ich Ministerpräsidentin bleibe, muss SPD wählen – am 14. März oder heute schon per Briefwahl. Nur so erhalten wir den Auftrag der Wähler und Wählerinnen, eine Regierung zu bilden und ich die Möglichkeit, vom Parlament erneut zur Ministerpräsidentin gewählt zu werden.