Wie könnte der Saarbrücker Stadtkern im Jahre 2030 aussehen? Ziel des Verkehrsentwicklungsplanes der Landeshauptstadt ist, die Zahl der Autofahrten zu verringern und die Lebensqualität zu erhöhen. Hier ein richtungsweisender Blick in eine mögliche Zukunft.
Vogelgezwitscher, die Saarbahn, sich unterhaltende Passanten, lachende Kinder und ein paar Autos. Mit geschlossenen Augen, die Hände in den Nacken gelegt, lausche ich den Geräuschen der Stadt. Der Lärm des Autoverkehrs ist seit einigen Jahren weitestgehend verschwunden. Trotzdem spüre ich eine große Lebendigkeit an diesem Ort im Vergleich zu der grauen Tristesse aus Asphalt und Abgasen, die hier noch vor wenigen Jahren herrschte.
Meine nackten Füße streifen den warmen hellen Boden. Ich sitze auf einem von vielen Paletten-Sitzmöbeln, die das neue trendy Café am Rathaus den Passanten anbietet. Es ist Anfang Mai, und der Sommer macht sich auf, die Menschen ins Schwitzen zu bringen. Ich bin dankbar für die vielen Schatten spendenden Bäume, die das Café am Rathaus nun umzäunen. Gerade will ich den letzten Schluck Milchkaffee trinken, als meine Tochter ruft: „Mami, ich möchte mit Marlene und den anderen zum Staden. Darf ich? Ich würde den Roller mitnehmen." Zustimmend nicke ich und antworte, dass ich dann gleich nachkomme. Früher hätte ich mir mehr Sorgen gemacht, wie meine Tochter in Saarbrücken von A nach B kommt, denn noch vor knapp zehn Jahren war das Auto überpräsent auf den Straßen. Rund 128.000 Autos waren 2021 in Saarbrücken angemeldet. Jetzt sind es etwa 15.000 weniger, Tendenz fallend, für viele Fahrten in der City wird das Auto nicht mehr benötigt.
Car-Sharing und E-Bike-Leihstation
Ich rufe die Bedienung, bezahle meinen Milchkaffee und ziehe meine Sandalen an. Vom Café aus laufe ich über die Schienen in Richtung Nauwieser Viertel. Hier herrscht buntes Treiben, alle zwei Wochen findet ein großer Flohmarkt in sämtlichen Straßen des Viertels statt. Wo früher Autos parkten, stehen jetzt Verkaufsstände der Anwohner oder kleine bepflanzte Flächen, die von den Anwohnern wie kleine Vorgärten gepflegt werden. Es wird gefeilscht, geflucht und gelacht. Essens- und Getränkestände reihen sich aneinander. Ein junger Mann spielt auf seiner Gitarre. Die Autos, die früher das Bild des Nauwieser Viertels geprägt haben, stehen nun auf dem Anwohner-Parkplatz am Landwehrplatz, für den Lieferverkehr gibt es weiterhin gekennzeichnete Stehplätze. 15.000 öffentliche Parkplätze gab es vor dem Entwicklungsplan 2030 der Stadt. Nun sind es weniger, vor allem für Kurzzeitparker, die allerdings mehr als doppelt so viel zahlen wie zuvor. Viele nutzen jetzt, da sie nicht ständig ein Auto brauchen, die Car-Sharing-Möglichkeiten oder bedienen sich an den E-Bike-Leihstationen, die es rund um Saarbrücken gibt. Im Bundesvergleich lag das Saarland bei der Radnutzung auf dem letzten Platz, mittlerweile hat es immerhin Rheinland-Pfalz überholt. Was man spürt, wenn man durch die engen, von jungen Bäumen gesäumten Straßen läuft: Gemeinschaft, auch bei der Nutzung von Verkehrsmitteln.
Vom Viertel aus laufe ich in Richtung Mainzer Straße. Viele Fahrradfahrer und E-Roller, Kinder auf ihren Laufrädern mit durch die entspanntere Verkehrslage auch entspannten Eltern begleiten mich oder kreuzen meinen Weg. Man lächelt sich an oder grüßt sich freundlich. Der große Strom an Autos, der hier Richtung Innenstadt unterwegs war, hat sich deutlich reduziert, da der ÖPNV erweitert wurde und die ausgebauten umliegenden Park-and-Ride-Möglichkeiten, zum Beispiel in Brebach und Bübingen, eine attraktive Alternative geworden sind zum „Im Stau stehen" oder „Keinen Parkplatz finden". Dank eines umlagefinanzierten Finanzierungsmodells tragen jetzt sämtliche Saarbrücker Bürger durch Zahlung einer Grundgebühr den ÖPNV in der Innenstadt mit, auch die Arbeitgeber zahlen nun eine Nahverkehrsabgabe und erhalten dafür das Jobticket für ihre Mitarbeiter kostenfrei. Vorbild dafür war das grenznahe Frankreich. Das saarländische ÖPNV-System mit Bussen, Bahnen und Saarbahn funktioniert neuerdings auch ticketlos.
Die komplette Saarbrücker Innenstadt ist nun Tempo-30-Zone. Auch die beliebte Mainzer Straße mit ihren Studenten-WGs und kleinen Verkaufsläden ist teilweise zur Fußgängerzone geworden. Vieles passiert nun auf der Straße. Kinder mit Malkreide, Verkaufsstände auf der Straße, ältere Menschen, die auf ihrem Klappstuhl sitzend das laute Gewusel beobachten, Familien, die mit Kind und Kegel, Tisch und Stühlen den Nachmittagsimbiss nach draußen verlagern, um mit Nachbarn anzustoßen und über das Leben an sich zu diskutieren oder den Kindern beim Spielen zuzuschauen. Saarbrücken hat sich gewandelt. Anstatt dem „Schneller, Höher, Weiter" nachzuhechten, kehrt in der einst lauten und hektischen Innenstadt mehr und mehr Ruhe ein. Die Stadt ist nicht mehr nur der Ort der Arbeit, sondern eine Plattform für Begegnungen und Austausch, für ein kreatives Miteinander, das sich auch auf der Straße trifft.
Tempo 30 und ÖPNV-Umlage
Ich spaziere weiter Richtung Staden, um meine Tochter mit ihren Freunden zu treffen. Der Staden grünt wie eh und je mit seinen ausladenden, haushohen Bäumen, die Leute picknicken und grillen, spielen Fußball, balancieren auf ihren Slacklines, ein Bild wie im Jahr 2021. Das einzige, was nun anders ist, und es fällt mir jedes Mal auf, wenn ich hier vorbeigehe, ist das gedämpftere Rauschen der Autobahn. Vor zwei Jahren wurde zwischen Messegelände und Ostspange das Tempo reduziert, die Mittelleitplanke entfernt und eine zusätzliche Spur für den innerstädtischen Bus-Shuttle installiert, der die Saarbrücker Bezirke und die Park-and-Ride-Parkplätze mit den Saarbahn-Knotenpunkten verbindet. 2021 sind täglich rund 70.000 Einpendler in die Stadt geströmt, diese Zahl ist deutlich durch die Corona-Pandemie und die daraus entstehenden Homeoffice-Arbeitsplätze, die sich auch nach der Pandemie durchgesetzt haben, gesunken. Aber auch die bessere Taktung von Bus und Bahn hat das Fahren zur Arbeit in die Hauptstadt per ÖPNV attraktiver gemacht. Über die neu ausgewiesene Fußgängerbrücke, die Bismarckbrücke, gelangen nun auch Menschen aus Alt-Saarbrücken schneller an den Stadtfluss, um sich die Beine zu vertreten. Die Mauer unterhalb der Franz-Josef-Röder-Straße wurde durch ein von der Stadt ausgeschriebenes Projekt für Graffiti-Künstler in Farbe gehüllt, wilder Wein rankt die Mauer herunter.
Ich entdecke meine Tochter, die mit ihren Freunden Federball auf der Wiese am Ulanen-Pavillion spielt. Sie wirkt unbekümmert und fröhlich.