Verkehrsentwicklung ist ein langfristiges Projekt. Die Vision von autofreien Innenstädten ist eine ferne, aber machbare. Zum Beispiel das Parken – das ewige Streitthema ist in der Landeshauptstadt Saarbrücken gleichzeitig Hebel für mehr Lebensqualität. Zürich macht vor, wie es gehen könnte.
Ohne Auto in die Innenstadt? Vom heutigen Standpunkt aus eine unvorstellbare Zukunft in vielen deutschen Städten –
aber eben nicht völlig von der Hand zu weisen. Zahllose Autofrei-Initiativen in deutschen Städten zeugen davon. In Berlin wurde die Einkaufsmeile Friedrichstraße probehalber gesperrt, der Test wird nun bis Ende 2021 verlängert. Die neue Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Grüne) will die Innenstadt bis 2025 autofrei sehen – angesichts der für die wachsende Zahl von Autos zu kleinen und ständig mit Pendlern verstopften Bonner Innenstadt zukunftsweisend. Köln plant autofreie Abschnitte am Eigelstein und rund um die Ehrenstraße. Denn Autos nehmen zu viel Fläche weg, und die wird dringend gebraucht: für mehr Lebensqualität.
Ein parkendes Auto verbraucht knapp zwölf Quadratmeter Fläche – und das 23 Stunden am Tag. So lange steht ein Auto im Schnitt ungenutzt auf seinem Parkplatz. Alleine in Saarbrücken, ohne die Einpendler, sind über 128.000 Autos gemeldet. Diese verbrauchen – an der Straße, im Parkhaus, in Tiefgaragen – mehr als 1,5 Millionen Quadratmeter Platz. Umgerechnet 215 Fußballfelder.
Zugegeben, radikale Lösungen, wie sie zum Beispiel die EU-Stadt Brüssel oder London in Teilen der Stadt durchgesetzt haben, sind in Deutschland, des Autofahrers liebstem Land, erst einmal nicht erwartbar – und schon gar nicht in Saarbrücken, in einem Bundesland, das die meisten Autos pro 1.000 Einwohner aufweist. Aber es gibt erst Versuche, die Präsenz des Blechs in der Innenstadt etwas zu reduzieren.
„Historischer Stadtkern künftig autofrei"
Seit Jahren schon setzt Saarbrücken seinen Verkehrsentwicklungsplan 2030, der zusammen mit den Bürgern entwickelt wurde, nach und nach um. Einer der Verantwortlichen: Christof Kreis. „Der Plan umfasst verschiedene Bausteine, die mal mehr, mal weniger konkret in dem Plan gefasst sind, je nach Priorität und verfügbaren finanziellen Fördermitteln", sagt Kreis, der die Abteilung für Verkehrsplanung im Saarbrücker Rathaus leitet. Bis jetzt umgesetzt sind zum Beispiel die umgebaute Wilhelm-Heinrich-Brücke, der Abschnitt „Barock trifft Moderne" an der Ludwigskirche oder der Abschnitt Eisenbahnstraße zwischen Hohenzollern- und Saaruferstraße. Konkret geplant sind als Nächstes die ausgeweitete Fußgängerzone am St. Johanner Markt und die Umwidmung der Hohenzollernstraße zur Fahrradstraße. „Den Saarbrücker Kern innerhalb der historischen Stadtmauern sehen wir als Verkehrsplaner künftig autofrei", so Kreis. Besonderen Wert legen die Planer entsprechend auf Fußgänger- und Radfahrerfreundlichkeit. „Grundsätzlich ist das Ziel, die Zahl der Autofahrten pro Tag in Saarbrücken zu verringern." Besonders im Blick: die Verkehrsspitzenzeiten, wenn auch die Pendler zur Arbeit fahren. Denn Saarbrückens Einpendlerquote ist bezogen auf die Einwohnerzahl genauso groß wie die von Frankfurt am Main.
Und es gibt noch mehr Ideen. Ende 2020 legte die Klimaschutzbewegung Fridays for Future einen Plan vor, wie die saarländische Landeshauptstadt bis 2025 autofrei werden könnte. Dafür soll der ÖPNV kostenfrei angeboten und Parkplätze rund um die Stadt gebaut werden, die von Bussen und Bahnen mit enger Taktung angefahren werden.
„Die Park-and-Ride-Plätze sind eine gute Idee", findet auch der Verkehrswissenschaftler Prof. Dr. Wilko Manz. Er ist Leiter des Instituts für Mobilität und Verkehr der Technischen Universität Kaiserslautern. „Ein kostenloser ÖPNV aber ist immer mit Nebenwirkungen verbunden. Es klingt erst einmal gut, aber es hat sich gezeigt, dass zuerst der Fahrradfahrer auf kostenlosen ÖPNV umsteigt. Pkw-Fahrer sind weniger kostensensibel – ob die Fahrt nun vier Euro Benzin oder 3,50 Euro Fahrkartenpreis kostet, ist für sie unerheblich. Insofern müsste der ÖPNV einen exorbitanten Qualitätsvorteil gegenüber dem Auto mit sich bringen, wenn der Autofahrer auf den Bus umsteigen soll."
Lebensqualität erlebbar machen
Rad- und Fußverkehr gewinnen seiner Meinung nach nur durch Verteuerung des Autoverkehrs in Innenstädten an Attraktivität, dadurch wird gleichzeitig der ÖPNV zu einer kostengünstigeren Alternative zum Autofahren. Der Weg bis dahin sei jedoch lang. „Wir leben in einer Gesellschaft, die sich sehr lange darum bemüht hat, das Auto einseitig zu bevorzugen", so Manz. Nun gehe es darum, andere Verkehrsmittel gleichberechtigter zu behandeln. Dabei sei jedoch der regionale Kontext zu beachten. „Die saarländische Landeshauptstadt ist ein gutes Beispiel: der Raum ringsherum ist geprägt von ländlichen Regionen, in denen der Pkw eben einen höheren Stellenwert hat als in Ballungsräumen." Hinzu kämen die Topografie und die Grenzlage. Also müsse man individuell auf die jeweiligen Notwendigkeiten Verkehrsentwicklungspläne zuschneiden: langfristige, mit Interessenausgleich für alle Beteiligten arbeitende Konzepte, die die Alternativen zum Autoverkehr stärken und die neue Lebensqualität sichtbar, spürbar und erlebbar machen. 56 Prozent aller Fahrten in Saarbrücken werden mit dem Auto erledigt. Andere Städte, in denen schon länger an alternativen Verkehrskonzepten gearbeitet wird, liegen zwar mittlerweile deutlich darunter. Beispiel: In Freiburg liegt der Modal Split, also die Anteile der verschiedenen Verkehrsarten, die für das Zurücklegen eines Weges benutzt werden, für den Individualverkehr mit dem Auto bei knapp über 20 Prozent. Schon in den 80er-Jahren rückte die Stadt mehr und mehr vom innerstädtischen Autoverkehr ab, damals besaß er einen Anteil von 39 Prozent. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass nun keine Wunder von einem neuen städtischen Verkehrsplan in Saarbrücken zu erwarten sind, und schon gar nicht bei einem so hohen Anteil des Autoverkehrs am Modal Split. Laut Stadtplaner Kreis soll dieser bis 2030 auf 41 bis 46 Prozent reduziert werden – umgerechnet zwischen 50.000 und 75.000 Autofahrten weniger pro Tag, während der Anteil von Fuß-, Rad- und öffentlichem Nahverkehr in diesem Maße steigen soll.
Deshalb müsse in der Stadt ein finanzieller „Leidensdruck" herrschen, so Wilko Manz. Der Schlüssel hierzu sind Anzahl und Preis verfügbarer Parkplätze. „Preislich liegt Saarbrücken noch in einem recht günstigen Bereich, möchte so natürlich Einkaufskunden aus dem ländlichen Umland anlocken." Andere Städte wie Karlsruhe gehen hier einen neuen Weg – die Stadt hat die Parkplatzgebühren 2021 mehr als verdoppelt. Der richtige Weg, findet Manz, denn knapper und teurer Parkraum sei ein wichtiger Hebel, um alternative Mobilität zu fördern.
Dazu gehört zum Beispiel auch, Parkhäuser fürs Anwohnerparken zu öffnen. Private Garagenplätze liegen in Saarbrücken derzeit bei 60 bis 70 Euro im Monat plus Kaution, je nach Anbieter. Die Dauermiete eines Parkplatzes bei Saarbrückens größtem Parkhausbetreiber Q-Park kostet zwischen 60 und 120 Euro im Monat, je nachdem, wie weit entfernt von der Innenstadt man parken möchte. An der Straße parken ist in vielen Teilen der Landeshauptstadt, hauptsächlich in Wohnbereichen, dagegen günstig: die Bewohnerplakette kostet 30 Euro pro Jahr. Aber das sollte nicht so bleiben, sagt der Forscher. „Auch dies sollte kein Tabuthema sein: Wer einen kurzen Weg zum eigenen Auto haben möchte, sollte dafür mehr zahlen", so Manz.
So frei werdenden Parkraum könnte man dann zum Beispiel für Radwege, Grünflächen und Fußwege nutzen – ganz zu schweigen von einer steigenden Lebensqualität, wenn der Lärm der Straße verstummt. Der Verkehrsentwicklungsplan 2030 der Stadt adressiert dieses Problem, indem die Parkplatzsuchenden besser gesteuert werden sollen. „Bewohner sollen in Wohnungsnähe einen Stellplatz im Straßenraum finden. Für kurze Erledigungen muss eine ausreichende Zahl von Kurzzeit-Stellplätzen im Straßenraum zur Verfügung stehen. Mittel- und Langzeitparker wie Pendler, Touristen, Besucher und Kunden sollen in erster Linie die Stellplätze in Parkhäusern und auf Parkplätzen nutzen." Geschehen soll dies unter anderem durch Parkgebührenstaffelungen und überproportionale Verteuerung je nach Parkdauer. Zugleich sprach die Stadt mit Q-Park und entwickelte eine „Vermarktungsstrategie" für günstigen Parkraum.
Schlüsselfaktor verfügbare Parkplätze
„Als Verkehrsplaner befinden wir uns immer in diesem Konflikt zwischen ausgeweitetem Angebot und Verknappung", erklärt der städtische Verkehrsplaner Christof Kreis. „Solange ich kostenfrei vor dem Büro parken kann, warum soll ich dann den Bus oder das Rad nehmen?" In den bereits veränderten Straßenabschnitten wie etwa in der Eisenbahnstraße fielen bereits Parkplätze durch die Umgestaltung weg. Die bestehenden werden bewirtschaftet, sprich, mit Parkuhren ausgestattet und kontrolliert. Denn: „Öffentlicher Parkraum ist zum Kurzparken, nicht zum Dauerparken", sagt Kreis. „Aber schon diese moderate Reduzierung von Parkraum kostet uns Kraft für Überzeugungsarbeit, um dies durchzusetzen. Wenn wir einen Abschnitt umgestalten, steht die Lebensqualität und die Gestaltung im Vordergrund und nicht die Anzahl der danach noch verfügbaren Parkplätze."
Künstlicher Leidensdruck für Autofahrer ist das eine, die Lebens- und Erlebnisqualität von Innenstädten die andere Seite. Beides müsse Hand in Hand gehen, so Manz, „gerade weil wir uns die Frage stellen müssen, welche Funktion Innenstädte künftig haben sollen." Schon zuvor diskutierten Ingenieure, Architekten und Stadtplaner über die Stadt der Zukunft, nicht nur darüber, wie sie aussieht, sondern welche Funktionen sie vereint. Die Pandemie beschleunigt nun bereits begonnene Veränderung. Was durch den Lockdown in vielen Innenstädten geschieht, wird Konsequenzen haben: Die klassischen Kundenmagneten wie Warenhäuser, Boutiquen, Bars und Kneipen oder Restaurants sind geschlossen – und damit die Innenstadt wie leer gefegt. Gleichzeitig boomt der Internethandel. Das bleibt nicht unbedingt so, ist in der Tendenz aber auch bereits seit Jahren zu beobachten. „Die Frage muss also sein: Was bieten die Innenstädte zukünftig, und welche Art von Verkehr brauchen wir, um zu diesem Angebot zu gelangen?", fragt Verkehrswissenschaftler Manz. Idealerweise bietet sie kurze Wege: zum Arbeiten, zum Einkaufen, zur Freizeit. Wer braucht da noch ein Auto? In Zürich etwa immer weniger Menschen. Dort ging der Autoanteil am Modal Split von 40 auf 25 Prozent zurück – innerhalb von 15 Jahren. „Wir verunmöglichen das Autofahren im Innenstadtbereich – mit diesem Spruch haben Politiker Wahlen gewonnen", erklärt Wilko Manz dazu. Die einfache Rechnung: für jeden gebauten Tiefgaragenplatz entfiel eine Stellfläche an der Straße. „Heute sind die Zürcher so weit, dass sie den Innenstadtring und die Radialen zurückbauen." Heißt: Es gibt nun pro Fahrtrichtung nur noch zwei statt vier Fahrstreifen und daneben großzügige Angebote für alternative Mobilität. „Dafür braucht man politischen Mut."
Dennoch: Eine autofreie Stadt heißt nicht, dass sie verkehrsfrei ist. Denn Ladengeschäfte müssen beliefert werden, Krankenwagen und Polizei einfahren, Handwerker an Baustellen heranfahren dürfen, Behinderte ihre Wohnungen erreichen. Im Grunde das, was auch die Saarbrücker Bahnhofstraße trotz Status als Fußgängerzone immer noch leisten muss – „und diese Zone möchte niemand mehr hergeben", so Verkehrsplaner Christof Kreis.
Sein Weg bleibt jedoch schwierig. „Von diesem hohen Autoanteil im Saarland herunterzukommen bedarf viel Zeit und Überzeugungsarbeit. Aber der Klimawandel kommt uns nun entgegen." Verkehrswissenschaftler Wilko Manz: „Wir müssen die Bewohner im Blick behalten und ihnen zeigen, wie es aussehen könnte, wenn der Straßenraum entsprechend umgestaltet ist. So erleben wir nicht nur die Nachteile, sondern auch die Vorteile."