Anfang März beginnt im internationalen Tischtennis eine neue Zeitrechnung. Durch die Turnierserie World Table Tennis soll der Sport nach dem Vorbild des „großen Bruders" Tennis attraktiver werden. Den durchaus vielversprechenden Ansätzen stehen allerdings – nur teilweise wegen der Corona-Pandemie – Probleme auf mehreren Ebenen gegenüber.
Schöne neue Tischtennis-Welt: Die Turnierserie „World Table Tennis" (WTT) feiert ab Anfang März durch zwei Wettbewerbe in Katar Premiere und soll Tischtennis im globalen Wettstreit der Sportarten auf ein neues Level in Augenhöhe der Rivalen heben. In Anlehnung an den „großen Bruder" Tennis sind dabei vergleichsweise innovative Präsentationskonzepte, massiv erhöhte Preisgelder und eine verstärkte Inszenierung der Stars für die ambitionierte Tochter-Organisation des Weltverbandes ITTF die bevorzugten Mittel der Wahl.
Dadurch erlebt Patrick Franziska – in Zeiten mehr oder weniger zahlreicher Re-Starts in der Corona-Pandemie – in dem Emirat einen tatsächlichen Neubeginn nach der Abschaffung der vorherigen „World Tour". Der Top-20-Star des deutschen Meisters 1. FC Saarbrücken-TT schlägt beim mit durchaus bemerkenswerten 400.000 Dollar Preisgeld dotierten „Star Contender" (ab 8. März) ebenso auf wie der frühere Weltranglistenerste Dimitrij Ovtcharov, der auch schon wenige Tage zuvor an gleicher Stelle zu den Teilnehmern am sogenannten „Contender" (ab 3. März) gehört.
Während Deutschlands Spitzenspieler Timo Boll aufgrund seiner Vorbereitung auf die für den Sommer geplanten Olympischen Spiele in Tokio auf den Trip an den Golf verzichtet, blickt Franziska den Events vor der Abreise in den Wüstenstaat nach mehr als einem Jahrzehnt in gewohnten Wettbewerbsstrukturen neugierig entgegen. „WTT wird versuchen, Tischtennis attraktiver zu gestalten. Das sah beim Testturnier im vergangenen Herbst in Macao auch schon ganz gut aus. Das Ziel ist ja, breitere und neue Publikumsgruppen zu erreichen, auch indem man die Spieler verstärkt auch aus anderer Sicht präsentiert, was wichtig ist, weil andere Sportarten das schon lange so machen. Im Tischtennis kann man in diesem Bereich noch einiges verbessern, deswegen halte ich das für einen wichtigen Schritt", meint der 28-Jährige.
Doch einmal mehr ist auch bei WTT nicht alles Gold, was glänzt. Aus unterschiedlichen Gründen stehen Experten aus der Tischtennis-Welt dem gesamten Projekt mit teilweise großer Skepsis gegenüber. Zunächst sind beide Wettbewerbe in Katar in der viergliedrig angelegten Turnierstruktur lediglich Events aus den beiden unteren Kategorien und taugen damit keinesfalls als Signal für einen Aufbruch des Tischtennis in eine neue Ära. Entgegen aller vollmundigen Ankündigungen gelang den WTT-Managern trotz eines mehrjährigen Vorlaufs für das Debüt kein angemessener Aufschlag mit einem Topturnier aus den beiden oberen Stufen „Grand Smashes" und „Champion". Im Gegenteil: So groß war die Not der WTT auf der Suche nach Ausrichtern für ihre ersten Turniere, dass schließlich Katar die Gelegenheit kühl kalkulierend ausnutzte und sich nun wieder einmal auf der Weltbühne des Sports – aller Kritik an der Menschenrechtslage im Land zum Trotz – von seiner Sonnenseite präsentieren darf.
Ein Rätsel ist die Finanzierung des Gesamtprojektes
Zweifellos erschwerte der Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 der ITTF-Tochter alle weiteren Planungen für eine gelungene Einführung ihrer Serie. Allerdings ist die Austragung der Premieren-Events in Katar nur ein Indiz auf den Mangel einer Gesamtstrategie. Bereits von Anfang April bis Anfang Mai nämlich sollen in China Turniere aller vier Kategorien stattfinden, doch bis Mitte Februar waren über die bloße Ankündigung hinaus keinerlei Einzelheiten bekannt – ungeachtet der Corona-Probleme sieht eine Planung gerade auch mit der von WTT beanspruchten Professionalität sicherlich anders aus.
Zumal die Schwierigkeiten beim Neustart hausgemacht zu sein scheinen. Als alleiniger Besitzer sämtlicher Vermarktungs- und TV-Rechte an internationalen Turnieren mit Ausnahme von Olympia, WM- sowie kontinentalen Titelevents will WTT potenziellen Ausrichtern ihrer Turniere die Bedingungen diktieren. Verbände wie der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB), der viele Jahre als Partner der ITTF die German Open als ein Highlight der World Tour organisierte, sollen dadurch von jeglichem Profit ferngehalten werden. Vor diesem Hintergrund dürften sich auch künftig kaum andere Gastgeber im WTT-Kalender finden lassen als Staaten mit autokratischen Strukturen wie eben Katar und China.
Ein Rätsel ist Beobachtern auch die Finanzierung des Gesamtprojektes. Zwar weist WTT diverse Vermarktungsagenturen aus, doch bislang ist noch nicht ein einziger Sponsor bekannt. Woher somit Preisgelder in Höhe von alleine zwei bis drei Millionen Dollar für jedes der vier geplanten Grand-Smashes-Turniere, die künftig analog zu den Grand-Slam-Turnieren im Tennis als „Leuchtturm"-Wettbewerbe fungieren sollen, fließen könnten, ist völlig unklar.
Zunächst „best of five", ab den Halbfinals plötzlich „best of seven"
Entsprechende Anfragen nationaler Verbände beantwortete WTT bisher nur ausweichend. Zum Vergleich: Die „Grand Finals" als bisher mit Abstand höchstdotiertes Turnier der World Tour schütteten zuletzt rund eine Million Dollar als Gesamtpreisgeld an die Teilnehmer des Jahresendturniers aus, bei den „regulären" Wettbewerben waren 300.000 Dollar der Höchstwert.
Doch auch in sportlicher Hinsicht sind Fragezeichen angebracht. Vielen drängt sich der Eindruck auf, dass WTT den Tischtennis-Sport auf mittlere Sicht buchstäblich neu erfinden will. Besonders augenfällig ist bei den bereits vorgestellten Plänen für Katar ein Moduswechsel mitten im Turnier, in dem von der Qualifikation bis zu den Viertelfinals zunächst „best of five" gilt, ab den Halbfinals allerdings plötzlich auf vier Gewinnsätze (best of seven) umgestellt wird.
Das Regelwirrwarr inklusive beinahe wissenschaftlich anmutender Meldebeschränkungen muss damit allerdings noch längst kein Ende haben. Beim Probelauf für WTT in Macao wurde in Entscheidungssätzen einmal bis zum siebten, ein anderes Mal aber nur noch bis zum fünften Punkt für einen Spieler gezählt, mal musste der traditionelle Vorsprung von zwei Punkten für einen Satzgewinn erreicht werden, mal nicht. Als eine weitere Idee testete das WTT-Management, dass die vier topgesetzten Asse zwar für die Vorrunde ein Freilos erhielten, dafür aber untereinander ein „Privatturnier" austrugen, um sich Gegner für ihren Einstieg ins Turnier aussuchen zu können. Franziska hält von derlei Experimenten nur sehr wenig. „Ich habe es am liebsten, wenn es möglichst einheitlich gehalten wird, damit man den Durchblick behält", meint der frühere Doppel-Europameister. „Tischtennis ist ohnehin schon sehr komplex mit unterschiedlichem Spielsystem in den Ligen oder auch Unterschieden zwischen Weltmeisterschaften und Olympia."
Geradezu argwöhnisch verfolgen besonders auch die Manager der Vereine die Entwicklung von WTT. Durch die Ausdehnung der größten Turniere auf bis zu zehn Tage sowie die Erhöhung der grundsätzlichen Anzahl von Wettbewerben im Laufe eines Kalenderjahres fürchten die Clubs eine Veränderung der bislang weitgehend ausbalancierten Kräfteverhältnisse zwischen Einzel- und Clubwettbewerben zulasten der Vereine. Tatsächlich können die Spieler in der Weltrangliste im Gegensatz zur bisherigen Praxis nur durch Teilnahmen an zahlreichen WTT-Turnieren ihre Positionen halten oder verbessern, entsprechend dürften künftig die Zeitfenster für Vereins-Einsätze in der Bundesliga oder in der Champions League erheblich zusammenschrumpfen. Zwar schließt sich Franziska Unkenrufen vom bevorstehenden Untergang der Bundesliga nicht an, doch auch Saarbrückens Topspieler sieht Veränderung auf alle Beteiligten zukommen: „Verbände und Vereine machen sich schon Sorgen. Es wird wichtig sein, dass man gute Absprachen untereinander trifft, aber besonders, dass sich Verbände, Vereine und WTT zusammensetzen und arrangieren. Es muss für die Spieler realisierbar sein, alles unter einen Hut zu bringen, weil viele Spieler eben auch Verträge mit den Vereinen haben und auch brauchen."