Freiherr Carl Ferdinand von Stumm-Halberg war der mächtigste Industrielle im 19. Jahrhundert im Saar-Lor-Lux-Raum. Er war ein strenger Patriarch, aber einer mit sozialem Gewissen. Dieser Tage jährt sich sein Todestag zum 120. Mal.
Ende des 19. Jahrhunderts, als die den Erdball beherrschenden europäischen Großmächte immer größere Kriegs- und Handelsflotten und immer stärkere Panzerschiffe bauten, erlebten Kohle und Stahl einen Triumph ohnegleichen. Der wäre ohne markante Unternehmergestalten nicht denkbar gewesen. Was Krupp im Ruhrgebiet, das war der Industrielle Carl Ferdinand von Stumm-Halberg damals im Montanrevier an der Saar. „König Stumm", wie ihn Reichskanzler Otto von Bismarck nannte, war der einflussreichste saarländische Unternehmer und Politiker des 19. Jahrhunderts. Er gehörte zu den mächtigsten, reichsten und umstrittensten Persönlichkeiten seiner Zeit.
Herzstück seines Imperiums war das 1806 begründete Neunkircher Eisenwerk der Gebrüder Stumm, dessen Aufstieg zum Großunternehmen sich unter C. F. Stumms straffer Führung vollzog. Als der Industrielle am 8. März 1901 starb, beklagte die sympathisierende „Neue Saarbrücker Zeitung" den Verlust „eines der besten und edelsten Söhne" der deutschen Nation. Bei aller Kritik an seinem autokratischen Führungsstil würdigte auch die „Saarbrücker Zeitung" Stumms unternehmerischen Weitblick. Er habe das Neunkircher Werk zu „ungeahnter Blüte" gebracht und alle Persönlichkeiten an der Saar um Haupteslänge überragt: der „arbeitstüchtigste Sohn Saarbrückens".
C. F. Stumm trat 1858 mit 22 Jahren in das Unternehmen ein, das er ab 1871 allein leitete. Von Neunkirchen und Dillingen aus begründete er an Saar und Ruhr, in Lothringen und Luxemburg ein wahres Imperium aus Bergwerken und Eisenhütten. Um die Jahrhundertwende gehörten zum Stumm-Konzern das Neunkircher Eisenwerk, die Halberger Hütte in Brebach, die Dillinger Hütte (60 Prozent Beteiligung), die Hochofenwerke in Ückingen bei Diedenhofen (heute Thionville), dazu Gruben in Lothringen und Luxemburg (Minette-Erze), an der Lahn (Manganerze) und in Westfalen (Steinkohle).
Auch als Politiker im Reichstag engagiert
Den rasanten Aufstieg des Stumm-Konzerns zeigt die ehemalige Neunkircher Hütte. Zwischen 1861 und 1900 wuchs deren Belegschaft nach Recherchen des Historikers Fritz Hellwig von 1.200 auf 4.200 Mann. Glanzzeiten auch für den Privatbesitz der Familie. Als er starb, hinterließ „König Stumm" ein Vermögen von etwa 40 Millionen Mark.
Der Industriebaron machte sich auch als engagierter Arbeitgeber und Politiker einen Namen. Als Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und Reichstagsmitglied für die Freikonservative Partei, eine konsequente Verfechterin der Bismarck’schen Politik, nahm Stumm aktiven Anteil am politischen Geschehen der Nation. Nicht zur Freude seiner Gegner bei Zentrum und der SPD. Stumms Ansichten wurzelten tief in der Ideenwelt des vorindustriellen Zeitalters.
Wie die meisten Unternehmer seiner Zeit vertrat er den Herr-im-Haus-Standpunkt und verband patriarchalische Fürsorge mit strenger Bevormundung seiner Arbeiter auch im privaten Leben. Ohne Stumms Genehmigung durfte kein Arbeiter heiraten: Es gelte, „törichte Heiraten" zu verhindern. Die Eheschließung wurde erlaubt, wenn ein Arbeiter 24 Jahre alt war, einen gewissen Mindestlohn verdiente und seine Frau imstande war, für geordnete Haushaltsführung und Kindererziehung zu sorgen. In diesem Fall gab es – bei guter Führung – für junge Paare Heiratsausstattungen und Werkswohnungen mit niedriger Miete.
Stumms Arbeiter waren zudem zu regelmäßigem Kirchgang verpflichtet und mussten SPD-nahe Wirtshäuser und Zeitungen meiden. Disziplin und Unterordnung wurden großgeschrieben. Andererseits kümmerte sich der Unternehmer intensiv um das Wohlergehen seiner Belegschaft. Frauen- und Kinderarbeit lehnte Stumm ab. Arbeiterinnen mit Billiglöhnen auszunutzen, widersprach seiner Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit. Er zahlte seinen Leuten ausreichende Löhne, wohlgemerkt nach dem Maßstab, den er für angemessen hielt. Gewerkschaften und Parteien sah er in diesem Zusammenhang als überflüssig an. Dennoch hatte „der gute Vetter Carl", wie ihn die Hüttenleute später nannten, bei seinen Beschäftigten ein recht positives Image. Das lag an den nicht ungünstigen sozialen Gegebenheiten bei Stumm. Den Werksangehörigen stand eine breite Palette betrieblicher Einrichtungen zur Verfügung: Etwa eine Kleinkinderschule für die Jüngsten, dann eine Hüttenschule, eine Näh- und Handarbeitsschule und eine Fortbildungsschule für schulentlassene Jungen und Mädchen. Erwähnenswert auch die Hüttenbücherei, sonntägliche Hüttenkonzerte im Stumm’schen Park mit Kinderkarussell und die alljährliche Weihnachtsbescherung.
Eindeutiger Gegner von Gewerkschaften
Die für damalige Verhältnisse vorbildliche Hüttenknappschaft der Firma Gebr. Stumm versorgte die Kranken, Invaliden, Witwen und Waisen. Ein Krankenhaus, Alters- und Waisenheim ergänzten die soziale Angebotspalette. In Neunkirchen (Christuskirche) und Brebach ließ Stumm evangelische Gotteshäuser errichten. Er unterstützte auch den Bau der katholischen Marienkirche in der Bliesstadt.
Das hinderte ihn nicht daran, sich mit Sozialpolitikern wie dem Linksliberalen Friedrich Naumann oder dem im Mosel-Saar-Raum wirkenden Trierer Publizisten und Abgeordneten der katholischen Zentrumspartei Georg Friedrich Dasbach anzulegen. Dasbach lieferte sich mit dem Saar-Industriellen manches Rededuell im Berliner Reichstag.
Die Sozialreform war dem protestantischen Christen Stumm ein Herzensanliegen. Wesentliche Anstöße zur weltweit vorbildlichen Sozialgesetzgebung Bismarcks – Versicherungsgesetze gegen Krankheit (1883), Unfall (1884), Invalidität und Alter (1889) – sind Stumm zu verdanken. Die organisierte Arbeiterschaft in Gestalt der SPD war ihm jedoch ein Dorn im Auge.
Gegen diese helfe nur ein „eiserner Besen", riet er der Regierung 1895 im Reichstag. Er halte es „für eine Pflicht gegen die Monarchie und die Gesellschaft, die Arbeiter von dem roten Banne der Sozialdemokratie" und der Tyrannei ihrer Agitatoren zu befreien. Entsprechend verfügte das von Stumm und dem Chef der Saargruben, Achenbach durchgesetzte „Sozialistengesetz der Saarindustrie" von 1877: Wer sich an sozialdemokratischer Agitation beteilige, entsprechende Zeitungen halte beziehungsweise Versammlungen, Vereine und Gasthäuser besuche, solle entlassen werden und „auf keinem anderen Werke Aufnahme finden". Wer bei Stumm in Neunkirchen hinausflog, hatte es schwer, an der Saar überhaupt wieder einen Job zu finden.
Dass die Arbeiterschaft eigene Vorstellungen von ihren Rechten hatte und der herrschaftlichen Fürsorge entrinnen wollte, hat der in vorindustriellem Denken befangene Fabrikherr nicht erkannt. Zudem war er – wie Bismarck – erfüllt vom „Albtraum der Revolution", von tiefer Angst vor den „dunklen Mächten des Umsturzes". Diese waren nach konservativer Auffassung während des Commune-Aufstandes 1871 in Paris mit seinen über 25.000 Toten losgebrochen. Auf ebendiese Revolte hatte sich der spätere SPD-Vorsitzende August Bebel im Mai 1871 im Reichstag berufen, als er den Kampf des gesamten europäischen Proletariates im Geist der Commune an den Horizont malte.
1888 erhoben in den Freiherrenstand
Stumm fühlte sich der christlichen Nächstenliebe verpflichtet. Er sah sich weder als brutalen Sklavenhalter noch als Ausbeuter. Seine Aversion gegen die SPD galt einer Partei, die zur Ideologie von Marx und Engels stand, das Privateigentum an Produktionsmitteln beseitigen, sprich die Unternehmer enteignen und die bürgerliche Gesellschaftsordnung umstürzen wollte. Das kaiserliche Deutschland dankte dem Großindustriellen seine staatstreue Gesinnung. Wie Krupp für Kanonen, so avancierte Stumm zu einem der größten Lieferanten von Panzerplatten für die junge deutsche Flotte. 1888 wurde Stumm in den erblichen Freiherrenstand erhoben, ab 1891 durfte er sich nach seinem Schloß auf dem Saarbrücker Halberg – heute Sitz des Saarländischen Rundfunks – nennen.
1892 ehrte Kaiser Wilhelm II. „König Stumm" mit einem Besuch an der Saar. Der Industrielle Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg starb kurz vor seinem 65. Geburtstag (1901) an Speiseröhrenkrebs. Wo einst das Neunkircher Eisenwerk Tausenden Arbeit und Brot gab, lockt heute der Konsumtempel einer Einkaufsgalerie. Das Stumm-Denkmal davor erinnert an den berühmtesten Sohn der Stadt.