Seit seiner Erfindung inspiriert das Auto die Kunst. Früher als Fetisch und Sinnbild für Freiheit, heute als Symbol für gesellschaftlichen Fortschritt und Wandel, der auch die grundlegende Frage nach dem Sinn des Automobils stellt. Wir zeigen Autoskulpturen-Klassiker und Kunst auf Rädern am Wegesrand.
Seit Jahrzehnten träumen Tüftler vom fliegenden Auto, doch der Weg von der ersten Skizze zum sicheren Endprodukt ist langwierig. Da hat es die Kunst schon einfacher. Um dem Auto Flügel zu verleihen, musste der deutsche Aktionskünstler HA Schult – der künstlerische Prozess in Ehren – lediglich die Idee dazu haben, zentnerweise Kunstharz in Form bringen und statisches Wissen anwenden. Der Goldene Vogel von Köln war geboren. Seit 1991 sitzt der sonderbar umgerüstete Ford Fiesta, vom Bau- und Erschaffensjahr 1989, mit einer Spannweite von zehn Metern auf dem Turm des Zeughauses in Köln. Nach jahrelanger Kontroverse hat er sich zu einer Top-Sehenswürdigkeit gemausert.
Ein Autokunstwerk von Jeff Koons, bekannt für seine zu Höchstpreisen versteigerten Werke, hob ebenso auch buchstäblich schon ab. Ein Helikopter flog den von dem US-Künstler gestalteten BMW M3 GT2 der BMW-ArtCar-Reihe 2012 auf den Preikestolen, wo er exponiert wie deplatziert verweilte. Die Felskanzel 600 Meter über dem Fjord bei Stavanger in Norwegen ist ein beliebtes Wanderziel.
Bevor Autokunst Berührungspunkte zu Tourismus und Werbung knüpfte, mussten Künstler das Phänomen Auto an sich verarbeiten, seit seiner Erfindung schon diente es als Inspirationsquelle. Im Gründungsmanifest des Futurismus von 1909 hieß es: „Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen … ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake." Die 2.000 Jahre alte griechische Skulptur der Siegesgöttin, zu bewundern im Louvre, trägt ebenfalls Flügel – sozusagen als Vorstufe zur Kartätsche, einem Artilleriegeschoss.
Die Kunst schürt Zweifel am Nimbus
Künstlerisch interpretiert wurden Mobilität und Tempo zunächst in Skizzen, Skulpturen und Gemälden. Marcel Proust begriff das Auto in einer Zeichnung um 1917 als Zaubergefährt. Salvador Dalí posierte 1938 vor dem „Regentaxi" mit einer Bronzestatue als überdimensionaler Kühlerfigur, das noch heute im Innenhof des Dalí-Museums in Figueres steht. 1941 kleidete der katalanische Surrealist in einem Gemälde einen Cadillac fast behütend ein („Dressed Automobiles"), bevor Christo 1963 einen VW Käfer bis auf die Räder und Stoßfänger verhüllte („Wrapped Beetle"). Gerhard Richter fror die Geschwindigkeit in seinen Ölgemälden „Ferrari" und „Zwei Fiat" (beide 1964) auf der Leinwand ein, zu der das Auto in den 70ern selbst wurde, wie die ArtCars-Reihe prominent belegt, für die BMW zum Auftakt 1975 Alexander Calder gewann, Vertreter der kinetischen Plastik, die Bewegung als Bestandteil des Objekts begreift. Es folgten werbewirksam Namen wie Roy Lichtenstein und Andy Warhol.
Das Auto stand lange fast ungetrübt für Fetisch und Fortschritt, für Lifestyle und Luxus als Symbol einer individuellen Freiheit. Die Kunst verwob als Erstes Zweifel mit dieser Erzählung. Andy Warhol befasste sich in den 60ern mit Verkehrsunfällen, und noch vor der ersten Ölkrise dekonstruierte der deutsche Bildhauer Wolf Vostell das Auto, indem er mit Einzelteilen experimentierte. 1969 schuf er den „Ruhenden Verkehr", ein in Beton gegossener Opel Kapitän, der zwar eine Runde im Kunstbetrieb machte, als er ans Museum für Moderne Kunst in Paris ausgeliehen wurde. Doch seit 1989 steht er unverrückt am Kölner Hohenzollernring und so aktuell wie nie für Parkplatznot und Verkehrsinfarkt. Ein Mahnmal zwar, aber ohne praktische Funktion.
Diese seinen Autokunstwerken einzuhauchen, ist die Absicht von Benedetto Bufalino. Er baute schon einen Peugeot 206 zur Tischtennisplatte um, ein Polizeiauto zum Grill, einen Fiat zur mobilen Pommesbude oder einen Betonmixer zum fahrenden Club mit einer zur Diskokugel umfunktionierten Mischertrommel. Er wolle „eigentliche Funktionen" des Autos unterdrücken und „menschlichere Funktionen zulassen", sagt der Franzose, der Autos auch mal gern auf den Kopf stellt – als Kapitalismuskritik und Tempo-Antithese. Wir ahnen es: Der derzeit angezeigte Wandel der Autobranche zum Mobilitätsdienstleister für alle – das wird große Kunst, wie wenige weitere Beispiele zeigen.
Altes Blech statt Gold
Goldfield heißt eine alte Goldgräberstadt in Nevada, zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Edelmetall dort aus der Erde geholt. 20.000 Menschen mit dem Traum vom großen Reichtum siedelten sich an, heute wohnen nur noch ein paar Hundert Einwohner in Goldfield. Aber am Ortsrand wurde ein anderer Schatz in die Erde gerammt: ein mit Graffiti besprühter alter Schulbus, ausrangierte Limousinen, Vans. Es ist der International Car Forest of the Last Church. Zwei gläubige Künstler haben dort mehr als 40 Fahrzeuge hochkant in den Boden eingegraben. Warum? Keine Hinweisschilder helfen bei der Interpretation. Einer der Künstler will die automobile Ansammlung aber als „Aufruf zu bedingungsloser Liebe und Mitgefühl" verstanden wissen, wie er dem Magazin „High Country News" sagte. Die Kunstinstallation ist frei zugänglich, und der Eintritt ist frei. (www.internationalcarforestofthelastchurch.com)
Pinseln statt Cruisen
Cadillacs, besungen und bewundert, sind das Sinnbild für eine automobile Lebensart, wie sie wohl nur in den USA aufkommen konnte. Doch mit den zehn Exemplaren der „Cadillac Ranch" in Texas westlich von Amarillo, wo jährlich an die 1.000 Autodiebstähle verzeichnet werden, lässt sich nicht mehr lässig cruisen. Die zehn von der Künstlergruppe Ant Farm 1974 installierten Straßenkreuzer sind eingegraben – in der Nähe des Verlaufs der alten Route 66. Symbolisieren sie damit noch automobile Freiheit, wie oft interpretiert? Immerhin: Auch die Installation wurde schon besungen. „Cadillac Ranch" heißt ein Musiktitel von Bruce Springsteen. (facebook.com/1974cadillacranch)
Der Schwimmbadbus
Als Kulturkritik an der Mobilität der Jetztzeit möchte Benedetto Bufalino sein Œuvre verstanden wissen. Mit Vorliebe versetzt der französische Künstler Autos nicht nur in neue Zusammenhänge, sondern legt diese symbolträchtig auf die Seite oder gleich aufs Dach. Was macht mehr Spaß – im Stau stehen oder in Bufalinos „Le Bus Piscine" planschen? Eine berechtigte Frage. Der zum Pool umgerüstete Bus vom Schrottplatz, dem Bufalino ein 9,1 mal 2,4-Meter-Becken einpflanzte, tourte als begehbare Installation schon durch mehrere französische Städte. (www.benedettobufalino.com)
Kunst verleiht Flügel
Die Kontroverse ist vorbei, heißt es aus dem Büro von HA Schult. Über Jahrzehnte beschäftigte der Goldene Vogel, der seit 1991 die Turmspitze des Zeughauses in Köln ziert, die Stadt. Wurde beim Denkmalschutz mit zweierlei Maß gemessen? Mittlerweile scheint man in Köln seinen Frieden geschlossen zu haben mit dem geflügelten Fiesta, er scheint sogar beliebt zu sein. Das Werk ist ein Überbleibsel der Kunstaktion Fetisch Auto, gesponsert von den Fordwerken Köln. Überzogen ist der Kleinwagen mit goldfarbenem Acryllack, das Flügelpaar aus Polyesterharz wiegt 1,6 Tonnen. Damit der Turm des denkmalgeschützten Gebäudes diese Last aushält, musste er baulich verstärkt werden. Seit HA Schults Goldenem Vogel steht jedenfalls fest: Kunst schafft es nicht nur ins, sondern auch aufs Museum, denn im Zeughaus ist das Kölnische Stadtmuseum untergebracht. (www.koelnisches-stadtmuseum.de; www.haschult.de)
Immobil statt mobil – Das „Car Building"
Ein bekanntes Diktum des Architekten und Objektkünstlers Hans Hollein ist: „Alles ist Architektur". Warum also nicht auch Autos, obwohl mobil statt immobil konzipiert? Skizzen seines „Car Building" fertigte der Österreicher bereits 1960 für eine Ausstellung in Köln an, die nie realisiert wurde. 2011, drei Jahre vor seinem Tod, wurde ein abgewandelter Entwurf schließlich umgesetzt: fünf ausrangierte VW Käfer, drei davon aufeinandergetürmt und zueinander verdreht. Zu bestaunen war das Werk im Rahmen der Ausstellung Car Culture im Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe. Das Car Building, auch Symbol für die Tücken bauplanerischer Statik, lagert für die Öffentlichkeit nicht zugänglich im ZKM-Depot. (www.zkm.de)
Sandstein statt Duroplast
Mehr als 17 Jahre meißelte und hämmerte der Berliner Bildhauer Carlo Wloch an einem einst 25 Tonnen schweren Sandsteinmonolithen herum. Über 3.000 Stunden, Auszubildende halfen ihm. Pünktlich zum 25. Jubiläum des Mauerfalls 2014 war der steinerne Trabant 601 fertig – bis ins Detail wie Radmuttern und Typenschild ausmodelliert.