Frankreich verkündet kurz vor dem Jahrestag der Fukushima-Katastrophe eine Verlängerung der Laufzeit alter AKW. Markus Pflüger vom Anti-Atom-Netz Trier über den langen Kampf gegen Cattenom, die Endlagersuche und die Diskussion um Kraftwerke und Klimaschutz.
Herr Pflüger, die französische Atomaufsicht hat gerade der Verlängerung der Laufzeit auch älterer AKW zugestimmt. Wie ordnen Sie das ein?
Die Atomindustrie in Frankreich ist hochverschuldet. Da geht es wohl darum, noch so viel Geld wie möglich aus den Anlagen zu holen. Und das geht zulasten der Sicherheit, in der Großregion. Cattenom soll bis 2035 am Netz bleiben. Das ist untragbar.
Der Kampf gegen grenznahe französische Atomanlagen scheint, wenn man auf Cattenom blickt, ebenso mühselig wie erfolglos.
Es ist manchmal schon schwierig, sich nicht entmutigen zu lassen. Gerade wenn man nach Frankreich blickt, mit Cattenom und dem Endlagerprojekt Bure, sieht es so aus, dass wir bisher nichts erreicht haben. Wir haben neben der Kritik an den Atomkraftwerken aber immer auch konstruktive Vorschläge und Forderungen mit Blick auf eine Energiewende eingebracht. Und da gibt es auch immer wieder Erfolge. Aber grundsätzlich sind wir es den zukünftigen Generationen schuldig, immer wieder auf die Gefahren der Atomkraft hinzuweisen. Die ständige Möglichkeit eines größeren Unfalls ist höchstgefährlich, auch, weil man es noch auf Jahrtausende mit dem strahlenden Erbe zu tun haben wird.
Einerseits haben Sie in Trier Cattenom vor Augen, gleichzeitig die deutsche Entwicklung mit dem Ausstieg: Worauf richten sich die Blicke da mehr?
Es schon merkwürdig. Auf der einen Seite eine insgesamt positive Entwicklung, an der wir als Antiatom- und Umweltbewegung unseren Anteil haben. Auf der anderen Seite läuft es weiter. Das ist aber auch gleichzeitig ein guter Hintergrund, um mit den französischen Atomkraftgegnern für den Ausstieg zu kämpfen. Es ist möglich, es war ja sogar in der Bundesrepublik möglich. Davon erzählen wir natürlich den französischen Freunden. Wir können, wir müssen das schaffen.
Aber pflegt Frankreich nicht eine grundsätzlich andere Einstellung und Mentalität in dieser Frage?
Es ist dort natürlich schwieriger, weil ein Staatskonzern dahinter steht, und weil damit auch die Vorstellungen verbunden sind: eine militärische Größe zu sein, aber auch, was Energie-Unabhängigkeit betrifft. Das ist natürlich Unsinn, denn das Uran kommt aus Afrika, aus Kanada, zerstört dort riesige Gebiet. Es gibt also Abhängigkeiten auf anderer Ebene. Es stimmt, in Frankreich ist es schwer, aber es gibt auch eine starke Bewegung. Das Réseau „Sortir du nucleaire" (Anm. d. Red.: Französisches Netzwerk Atomausstieg) hat über 800 Mitgliedsorganisationen. Da findet schon einiges statt, aber es spiegelt sich kaum in den Medien. Die Kritik an der Atomkraft wird in Frankreich auch als Angriff gegen den Staat gewertet, entsprechend stark sind auch die Repressionen gegen Kritiker.
Das Anti-Atom-Netz Trier und die Arbeitsgemeinschaft Frieden (AGF) arbeiten eng zusammen. Was macht das gemeinsame Interesse aus?
Erst mal sind viele, die in der Antiatombewegung sind, auch in der Friedensbewegung aktiv. Das hat stark mit der Untrennbarkeit ziviler und militärischer Nutzung von Atomkraft zu tun. Das war auch einer der Gründe, warum damals Franz Josef Strauß die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wollte, um letztendlich atombombenfähiges Uran auch in Deutschland produzieren zu können. Die ist ja aufgrund des Widerstandes nicht gebaut worden. In Frankreich oder England ist das ein sehr enger Zusammenhang. Deshalb unterstützen sich Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung, gerade beim Thema Atomwaffen und beim Protest in Büchel. Zuletzt ging es um gemeinsame Aktionen für den Atomwaffenverbotsvertrag. Deutschland hat diesen Vertrag bisher nicht unterzeichnet.
So ein breites Bündnis gibt es ja auch seit jeher gegen Cattenom, über Landes- und Parteigrenzen hinweg. Aber es hat bislang wenig beeindruckt.
Es scheint wenig zu beeindrucken. Aber ich glaube schon, dass das immer wieder nagt. In der Großregion gibt es eine insgesamt gute Zusammenarbeit, aber Cattenom ist immer wieder ein Schatten. Luxemburg und große Teile des Saarlandes und von Rheinland-Pfalz könnten bei einem Unfall unbewohnbar werden. Ich denke schon, dass es über kurz oder lang ein Umdenken geben wird. Ich hoffe sehr, dass dazu nicht ein weiterer großer Unfall notwendig ist.
Ein zweites Fukushima, ein drittes Tschernobyl?
Es wäre schrecklich. Es gab jetzt vor wenigen Tagen ein Leck im Unterdrucksystem von Reaktor Block III. Es ist eine Hochrisikotechnologie. Und es geht immer um eine drohende Kernschmelze. Ich habe schon den Eindruck, dass auch in Frankreich die Kritik zunimmt, aber doch immer noch viele da sind, die ein Umdenken bislang verhindern.
Warum?
Es geht bei der Frage auch um einen Weg aus der zentralistischen Energieversorgung, hin zu dezentralen Energieversorgungen mit regenerativen Systemen. Das ist durch das zentralistische System in Frankreich viel weniger möglich. Mit dem Klimawandel nimmt der Druck aber zu. Und dabei ist die Atomkraft nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Es gibt aber einflussreiche Stimmen, auch in Deutschland, die das genau umgekehrt sehen, gar über eine Renaissance der Atomkraft nachdenken. Schließlich stoßen AKW kein CO2 aus.
Das ist aber eine unvollständige Rechnung. Es fällt sehr wohl CO2 an. Wenn man die Produktion in der Gesamtheit betrachtet, die ganze Kette von der Produktion von Uran bis zur Endlagerung, ist die CO2-Bilanz sehr viel schlechter als bei erneuerbaren Energieträgern. Trotzdem gibt es diese Diskussion über eine Renaissance. Die Erfahrungen von Fukushima, von Tschernobyl, von anderen Unfällen auch in den USA und Russland, sollten den Leuten aber zeigen: Das Risiko ist viel zu hoch und Atomkraft kein Beitrag zum Klimaschutz.
Hat es durch Fridays for Future neue Impulse gegeben?
Wir haben uns hauptsächlich mit den Gefahren der Atomkraft auseinandergesetzt. Jetzt ist natürlich auch das Thema Klimaschutz mehr in den Mittelpunkt gerückt. Unsere Erfahrung ist aber auch: Den Jüngeren ist das Thema Atom gar nicht mehr so präsent. Die sind mit Cattenom groß geworden, für die ist das einfach da. Und es ist ja auch schwer, jeden Tag an die Gefahren zu denken, die damit wie ein Damoklesschwert über uns drohen.
Derzeit läuft ein aufwendiges Verfahren zur Endlagersuche in Deutschland. Bringt das nochmal neue Aufmerksamkeit für das Atomthema?
Je länger die Endlagerdebatte läuft, umso deutlicher wird, wie viele Milliarden das über Generationen kostet. Die Atomindustrie hat bis jetzt Profit gemacht, die Folgekosten, die die Gesellschaft trägt, werden das um ein Vielfaches übersteigen. Und die technischen Herausforderungen werden jetzt immer deutlicher. Da geht es um Dimensionen, mit denen es keine Erfahrungen gibt. Eigentlich kann man ein Atomendlager auch erst planen, wenn man mit der Atomkraft Schluss gemacht hat und weiß, um wieviel Atommüll es geht, statt immer noch neuen zu produzieren.