Schillernd und außerhalb jedes Korsetts sind ihre Werke. Faszinierend und filmreif ihr Leben: Die gebürtige Tschechin Eliška Bartek zeigt momentan in ihrer Wahlheimat Berlin ihre aktuelle Arbeit „Farbrausch".
Wäre Eliška Bartek ein Schmetterling, so hätte sie zwei verschiedene Flügel: Einer bunt wie ein alpiner Blumengarten oder die flirrenden Lichter einer Großstadt. Der zweite wäre schwarz, grau- und grüngeädert, wie ein melancholischer Gedanke oder die Stille eines Rückzugs. Der Flügelschlag: mal schnell, mal ruhend. Die (Lebens-)Künstlerin Bartek erstaunt durch den Eklektizismus ihrer Techniken und Farbwelten. „Meine Ideen und Werke scheinen sich in viele Richtungen zu verlieren, aber funktionieren für mich immer gleich. Und da ich ein farbiges Individuum mit mehrschichtigem Charakter und einigen Widersprüchen bin, fällt es mir schwer, mich in gängige Farbmodelle einzureihen", so die Wahl-Berlinerin, die zwischen Fotografie, Radierungen, Videos und Ölmalerei herumzuflattern scheint. Das Aquarell ist ihr aktuelles Stilmittel. Die in Nový Jičín – einer kleinen Stadt in der mährisch-schlesischen Region Tschechiens – geborene Eliška Bartek hat ein Bouquet an Gelebtem in ihrem Portfolio. Viele Jahre pendelte sie zwischen den Kontinenten – Wien, Indonesien und Kuba gehörten zu ihren Stationen.
Sogar ihr Äußeres nehme manchmal die Umgebung an – sie lerne die Sprachen und Sitten der Länder und ergänze die erfahrene Kultur mit eigenen Visionen, so Bartek, die in ihrem geräumigen Wohn-Atelier in Kreuzberg ein übergroßes Foto hängen hat, das sie in zeitloser Erscheinung als Chinesin zeigt. 2007 assistierte sie in Peking Benyi Dong – einem angesehenen Vertreter der traditionellen chinesischen Malerei. Der malte nur mit Schwarz und drei Farben. „Unsere Synergie bestand darin, dass wir ein fünf Meter langes, handgeschöpftes Reispapier ausfüllten. Er malte Konturen mit schwarzer Tusche auf hellen Grund und ich die Farben in die Lücken. Ich hauchte dadurch jedem Bild die Form von Leben ein, die den Chinesen wohl eine völlig neue Sicht darauf offerierte. Sie klatschten bei jedem Pinselstrich. Als sie mir einen reichen Mann aussuchen wollten, damit ich bleibe, floh ich wie so oft in meinem Leben." Flucht sei ihr Steckenpferd, und genug exotische Männergeschichten hatten ihren Lebensweg ebenso durchkreuzt. Mit einem Fischer lebte sie im indonesischen Dschungel, ein anderer entpuppte sich als Mafioso.
Mit einem Fischer lebte sie im Dschungel
Ihren ungebrochenen Drang nach Freiheit versteht man, wenn man weiß, was ihr 1972 widerfahren war. Von der Strenge der Eltern und des tschechischen Regimes seelisch erdrückt, befreite sie sich durch die Malerei. Unter Einsatz ihres Lebens beschloss sie, der Enge zu entfliehen. Mit einem Koffer im Hohlraum eines Mercedes gelang ihr die Flucht mit Ernst, einem deutschen Freund. „Fünf Stunden wurden wir an der Grenze durchsucht. Ich konnte mir nicht mal die Nase kratzen. Man drückte auf den Sitz, auf meinen Busen – ich habe gebetet. Am Bahnhof von Donauwörth stieg ich aus und war wie gelähmt. Das erste, was ich sah, waren Gartenzwerge.
Eine Freundin wartete mit einem Mantel. Leider lebte ich dann in einem possessiven Beziehungsgefängnis, durfte nicht arbeiten. Ernst hat getrunken, neigte zu Gewalt", erinnert sich Eliška Bartek. Vom Kummer abgemagert, ein paar Bücher und eine Schreibmaschine unterm Arm flieht die junge Tschechin nach Augsburg, wird Arzthelferin und nimmt Kunstkurse – ein Dozent entdeckt sie, ebnet ihren Weg, der sich in der Kunstgewerbeschule in Zürich professionalisiert. Später wird sie Mitglied im Künstlerhaus Wien. „Manchmal sitze ich wie im Theater in der ersten Reihe und schaue mir zu. Mein Leben bestand aus verschiedenen Filmen – mit vielen kleinen Toden. Wenn ein Tiefpunkt erreicht war, kam mein Optimismus zutage. Meine Schutzengel machten viele Überstunden", resümiert Eliška. In Berlin hat sie eine Wahlheimat gefunden und pendelt seit 40 Jahren zwischen Deutschland und ihrem Zweit-Lebensschwerpunkt im Schweizer Tessin. Bartek nimmt sich den Raum, den sie braucht – bestimmt das Intervall.
Fast wäre sie Bäuerin geworden
„Vor Corona liebte ich das pulsierende Berlin – die pure Lebensfreude – war immer unterwegs, nie allein", so die Künstlerin mit der charmant-rauchigen Stimme, die in der Stadt neben schwarzer Kleidung und immer rot geschminktem Mund auch gern ein Glas mit prickelndem Content in der Hand hält. Ihr Alter sieht man ihr nicht an. Berlin sei wie eine sinnliche Liebesbeziehung, voller Lärm, Abgase und verschwitzten Leuten in den Bars. Durch Zufall hatte sie eine riesige Atelierwohnung in Kreuzberg gefunden. Die habe sie, wie viele Lebensstationen, mit dem Geld ihrer Bilder durchsaniert. Wie auch mal ein Bauernhaus in der Schweiz. Fast wäre sie Bäuerin geworden. Ins Tessin kam sie durch die Nummer sechs. Die stand auf ihrem Trikot als linke Verteidigerin in einer Damenfußball-Mannschaft. Für ein Ärzteturnier gegen das Kantonspital Locarno war sie mal als einzige Frau eingesprungen. „Ich wusste, hier ist mein zu Hause.
Viel später auf einer Wanderung kamen wir an der Dorf-Piazza in Pila vorbei. ‚Mein‘ Haus mit dem Schild ‚Da vendere‘ stand offen. Ich trat ein, schrieb mit der Farbe einer gelben Blüte die Telefonnummer auf eine Wanderkarte. Jetzt lebe ich seit 40 Jahren hier." Die Sehnsucht nach der Stille dort, einem Sein unter blanken Sternen packe sie schlagartig. Dort ist alles weit weg. Einsamkeit sei für sie relativ – habe zwei Konnotationen. Im durch Corona erstarrten Berlin hielt sie es nicht mehr aus. Sie malte nur noch schwarz wie beim Tod der Mutter, den sie in Form von Cliché-verre-Fotogrammen verarbeitet hatte. Damals entstand ihre Arbeit „Geheime Fotografie" – ein obskur-abstraktes Œuvre in Schwarz-Weiß. „Anstelle eines Pinsels halte ich die Kamera in der Hand. Mit einer offenen Linse hole ich mir das Licht des Mondes aufs Papier", erklärt sie. In ihrer Enklave im Tessin verarbeitet sie die Tristesse des Lockdowns völlig anders – als Frenesia di Color – Aquarelle im „Farbrausch".
„Ich atme die Landschaft ein"
Schon der Weg zu ihrem kleinen Steinhaus in Pila oberhalb von Intragna im Maggiatal ist wie eine Schleuse in die „gute Form" der Einsamkeit. „Wenn ich mit der kleinen Seilbahn in die verkehrsfreie Zone komme und den mühsamen Weg mit den von Hand geschlagenen Steinen hinaufgehe, will ich nicht mehr sprechen." Ein Schluck klares Wasser aus dem Brunnen belohnt den Aufstieg. Das Rustico habe sie allein renoviert, die Möbel restauriert, den 2.000 Quadratmeter großen Garten eigenhändig angelegt. Das Brennholz für Haus und Küche komme mit dem Helikopter. Das hole sie sich mit der Schubkarre. Die Küche ist ihr wichtigster Platz. Eliška kocht und bewirtet gern. So stehe in jeder Galerie der Welt immer ein großer Tisch im Raum. Das sei ihr wichtig, das stehe für Gastfreundschaft und sei auch eine Form von Kunst. Jeden Tag um 10 Uhr wird die Künstlerin von der Nachbarhündin Maila – eine Border-Collie-Dame – zu ausgiebigen Erkundungen abgeholt. Mittlerweile kennt Eliška jeden Stein und alle malerischen Ecken. „Es gibt Plätze, die den Eindruck erwecken, am Ende der Welt zu sein. Alles ist Gefühl, alles ist Farbe. Ich atme die Landschaft regelrecht ein, übertrage die Jahreszeiten im Maggiatal mit seinem gleichnamigen Fluss und übersetze sie in Farbe. Alles speichere ich tief in mir ab, gehe voll von diesen Eindrücken und der Sehnsucht nach Leben aber auch Vergehen und Tod nach Hause. Überall ist Vanitas." Das Violett der Steine im trägen Strom des Flussbetts, das hellgelb-fahle Winterlicht oder die dottergelb-orange gleißende Sommersonne bildet sie ab – von schneeschwer bis frühlingsknospenleicht. Vom Wind, Regen, Unwetter bis zu den bunten, tanzenden Herbstblättern im Wasserfall. Oben hängen keine eigenen Bilder – das Haus soll leben. Auch im Garten finden sich Motive. Nach ihren Farbausflügen setzt sie sich an den Arbeitstisch und beginnt mit flacher Hand die noch farbfrischen Gefühle auf Papier zu bringen. In der Stadt hat sie noch ein Atelier in der Fabbrica Rosa von Harald Szeemann – einem renommierten Kurator, der sein Archiv in Weinschachteln aufbewahrte. Warum das Leben so oft gut zu ihr war, erklärt sich Eliška so: „Man muss eine Vision haben. Wenn man nicht weiß, was man will, was soll das Schicksal damit anfangen? Ich wollte immer viel. Davon bekomme ich ein Drittel. Will man wenig, ist ein Drittel davon fast nichts. Ich habe ja schließlich nur ein Leben!"