Die Bundestagswahl am 26. September stellt Bundeswahlleiter Georg Thiel vor besondere Herausforderungen. Eine Verschiebung oder eine reine Briefwahl sind derzeit keine Optionen.
Herr Thiel, angesichts der unsicheren Entwicklung gibt es Diskussionen, die Bundestagswahl zu verschieben. Wäre das überhaupt möglich?
Artikel 39 Grundgesetz regelt, dass die Neuwahl zum Deutschen Bundestag frühestens 46, spätestens 48 Monate nach Beginn der Wahlperiode stattfinden muss. Der Bundespräsident hat den Wahltermin ja mittlerweile dementsprechend auf den 26. September festgelegt, das ist rechtswirksam. Eine Verschiebung ist nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich.
Was wären das für „enge Voraussetzungen"?
Eine Verschiebung innerhalb des genannten Zeitkorridors kann der Bundespräsident nur bei besonderen Ereignissen wie Naturkatastrophen oder Seuchen veranlassen. Eine Verschiebung außerhalb des Zeitkorridors wäre nur nach einer Verfassungsänderung möglich.
Worauf müssen Sie sich bei dieser Wahl besonders einstellen?
Wir müssen natürlich insbesondere bei der Wahlorganisation vor Ort, also in den Wahllokalen und bei der Auszählung, die erforderlichen Hygiene- und Abstandsregeln vorsehen. So müssen ausreichend große Wahlräume zur Verfügung stehen, eventuell kann es sinnvoll sein, dass die Wählerinnen und Wähler ihren eigenen Stift für die Stimmabgabe mitbringen. Bei der Bundestagswahl haben wir den Vorteil, dass wir bereits wichtige Erfahrungen bei Kommunalwahlen und dann auch Landtagswahlen gesammelt haben. Hier tauschen wir uns mit den Landeswahlleitungen ständig aus. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt: Wahlen unter Pandemiebedingungen sind möglich.
… aber eben schwierig. Deshalb ist ja auch über eine reine Briefwahl diskutiert worden. Wäre das möglich?
Fakt ist, dass Sachsen-Anhalt das Landeswahlrecht im Vorfeld der anstehenden Landtagswahl so geändert hat, dass eine reine Briefwahl möglich wäre. Derzeit ist aus meiner Sicht allerdings für die Bundestagswahl nicht davon auszugehen, dass eine solche Option nötig sein wird. Und der Gesetzgeber müsste ohnehin erst die Voraussetzungen dafür schaffen durch eine Änderung des Bundeswahlgesetzes.
Würde eine reine Bundestags-Briefwahl den Charakter der Wahl aus ihrer Sicht verändern?
Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits mehrfach mit der Briefwahl beschäftigt und die Urnenwahl als Leitbild bekräftigt. Hier geht es um die Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit und Geheimheit der Wahl, also, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Stimme unbeobachtet und ohne Einwirkung anderer abgeben können. Das liegt bei einer Briefwahl in der Eigenverantwortung der Wählerinnen und Wähler. Die Briefwahl wurde aber vom Verfassungsgericht nicht beanstandet, da dadurch möglichst allen Wählerinnen und Wählern eine Teilnahme an der Wahl ermöglicht werden kann. Hier geht es um den Wahlrechtsgrundsatz der Allgemeinheit der Wahl. Gerade in Pandemiezeiten gewinnt dieses Ziel natürlich an Bedeutung. Wie gesagt halte ich es im Moment aber für hypothetisch, über eine reine Briefwahl nachzudenken.
Es gibt – wie schon in den USA – bereits jetzt Warnungen, Briefwahlen seien manipulationsanfällig. Ist da was dran.
Nein, eine Manipulation des gesamten Wahlergebnisses durch einen Missbrauch der Briefwahl kann durch Vorkehrungen des Gesetzgebers in Deutschland ausgeschlossen werden. Der Gesetzgeber hat verschiedene Vorkehrungen getroffen, um Missbrauch bei der Briefwahl möglichst auszuschließen. Beispielsweise muss man eine Versicherung an Eides statt abgeben und es erfolgt eine Kontrollmitteilung an die Wohnanschrift, wenn man sich die Unterlagen an eine andere Anschrift schicken lässt. Briefwahlunterlagen werden zudem nur bei Vorliegen einer Vollmacht an eine andere Person ausgehändigt. Natürlich muss der Gesetzgeber laufend beobachten, ob die Vorkehrungen gegen Missbrauch ausreichend sind. Ein massenhafter Missbrauch der Briefwahl dürfte durch diese Vorkehrungen aber wie gesagt ausgeschlossen sein. Allenfalls in Einzelfällen sind bei hinreichender krimineller Energie Missbrauchsversuche denkbar. Solche Taten können zudem strafbar sein.