Gleich in zwei Bundesländern sieht es für die FDP gut aus in Sachen Regierungsbeteiligung. Das Potenzial wäre da, doch in der Bundespolitik kommt davon noch zu wenig an. Dort bleibt die Partei private Bühne für Christian Lindner und Wolfgang Kubicki.
Nur wenige Parteien hatten nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Grund zur Freude. Eine von ihnen war aber gewiss auch die FDP. Um ganze plus 2,2 Prozentpunkte konnten die Liberalen im Ländle punkten. Das bringt ihnen gleich sechs Sitze mehr im Stuttgarter Landtag ein – und vielleicht sogar Regierungsverantwortung. „Es gab keine unüberbrückbaren Differenzen", sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke nach dem ersten Sondierungsgespräch mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Gemeinsam mit der SPD könnte man in Baden-Württemberg eine Ampel-Koalition aufbauen. Bislang hatten die Grünen gemeinsam mit der Union regiert.
Dass die Ampel eine starke Koalition sein kann, zeigte bereits Rheinland-Pfalz. Auch dort könnte eine Wiederauflage rechnerisch möglich sein, auch wenn die FDP 0,7 Prozentpunkte der Stimmen verloren hatte. Dennoch sprach Parteichef Christian Lindner vor dem Hintergrund der 5,5 Prozent Stimmanteil sowie den gewonnenen Stimmen in Baden-Württemberg von einem „guten Wahlergebnis", das die FDP als Auftrag verstehe, die eigene Rolle eigenständig zu definieren. Heißt im Klartext: Ein Linksruck in der Partei ist nicht gewünscht. Warum auch, decken die Gelben doch aktuell eine Lücke ab, die sich in der Union aufgetan hat. Denn den wirtschaftsliberalen Kurs haben die Konservativen mittlerweile gänzlich verlassen und damit die FDP als alleinigen Vertreter dieses Flügels zurückgelassen.
Gleich zweimal Ampelkoalition
Da verwundert es nicht, dass nun eine von der FDP angefertigte interne Analyse der Union aufgetaucht ist. In dem Papier rechnet man mit dramatischen Auswirkungen für die Union als Folge der Korruptionsaffäre der Bundestagsfraktion. Von einer drohenden „politischen Explosion" ist die Rede, die nicht nur die Union, sondern das politische Gemeinwesen beschädigen könne. „Schadenfreude ist deshalb kategorisch fehl am Platz", werden die eigenen Abgeordneten in dem Schreiben gemahnt.
Dennoch wäre die FDP gut beraten, sich erst einmal selbst genauer unter die Lupe zu nehmen, bevor sie andere Parteien haarklein analysiert. Denn trotz der aktuell guten Prozente – auch im Bundestrend, der in aktuellen Umfragen bei zwischen sieben bis zehn Prozent verspricht – hätten die Liberalen noch genug an sich selbst zu schrauben. Der Last-Minute.Jamaika-Ausstieg haftet ihnen noch immer an. Viel Vertrauen ging damals flöten, als Christian Lindner am späten Abend des 19. November 2017 verkündete, dass es besser sei nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Aber auch parteiintern steht die FDP vor einer entscheidenden Herausforderung: Teamfähigkeit.
Nach der fatalen Wahlklatsche 2013 hatten viele die FDP abgeschrieben. Ein Parteiaustritt jagte den nächsten, nachdem man erstmals über die Fünf-Prozent-Hürde gestolpert war. Schlussendlich waren es Christian Lindner und sein Parteivize Wolfgang Kubicki, die die totgeglaubte Partei wiederbelebten. Und das, obwohl anfangs niemand so recht an ein Miteinander der beiden geglaubt hatte. Denn Lindner wie auch Kubicki sind für ihre Egos bekannt. Dennoch hatten sich beide Alpha-Tierchen zusammengerauft – mit Erfolg. Dass die Liberalen dieser erstaunlichen Zweierallianz viel zu verdanken haben, steht außer Frage. Aber dennoch beginnt genau hier das Problem: Sie ist die private Bühne zweier legendärer Selbstinszenierer geworden. Das hat auch intern für einige Spannungen gesorgt, die Stimmen jener, die Lindners Führungsqualitäten hinterfragen, spätestens seit dem Wahl-Fauxpas in Thüringen, wo FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde (und sogleich wieder abdanken musste), werden immer lauter.
Doch auf dem Ohr scheint Lindner taub, an seinem Ego scheint es jedenfalls nicht zu kratzen, ging er doch hocherhobenen Hauptes weiter, ganz im Gegensatz zu seiner damaligen Amtskollegin Annegret Kramp-Karrenbauer, die als Folge des Debakels den CDU-Parteivorsitz an den Nagel hing.
Weder Lindner noch Kubicki neigen dazu, andere neben oder gar über sich zu dulden. Dabei hätten auch andere Parteifunktionäre einen Platz im Rampenlicht verdient. Seien es Michael Theurer, Otto Fricke oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die gute Leistungen auf Landes- und Bundesebene vollbringen, aber im Schatten der Parteispitze völlig untergehen, oder auch Nicola Beer und Katja Suding, die eigentlich als stellvertretende Bundesvorsitzende auf einer Stufe mit Kubicki stehen sollten, in der Öffentlichkeit aber mittlerweile völlig untergegangen sind.
Viele fähige Politiker vor Ort
Dabei wäre noch genug Platz. Insbesondere den Bürgern, denen Lindner und Kubicki zu dominant erscheinen, könnten andere Gesichter eine politische Heimat bieten. Aber auch den beiden Führungspersönlichkeiten würden weitere Akteure gut stehen, befinden sich doch auch die beiden öfter einmal in Disputen –
nicht nur betreffend der inhaltlichen Ausrichtung, wie vor einigen Jahren in Sachen Russlandpolitik oder bei den geplatzten Jamaika-Verhandlungen, sondern gerade auch dann, wenn es um das Image der Partei geht.
Wo es Christian Lindner nicht frisch und modern genug sein kann, mangelt es Wolfgang Kubicki an Anlaufpunkten für die Generation über 60. Beide Wählergruppen wären für die Partei wichtig, doch eine scheint immer hinten runterzufallen. Es gibt eben keinen Hans-Dietrich Genscher oder Guido Westerwelle mehr, die den liberalen Gedanken mit jeder Faser ihres Selbst zu verkörpern schienen und damit Wähler mobilisieren konnten. Die Ära nach ihnen lässt viele – auch Experten – immer häufiger hinterfragen, ob die Zeit der liberalen Politik ihren Zenit nicht bereits überschritten hat. Dabei bietet die Corona-Pandemie gerade fruchtbaren Boden für den freiheitlichen Gedanken, für den die FDP doch stehen will. Viele Bürger, die mit den aktuellen Maßnahmen von Bund und Ländern unzufrieden sind, sich aber nicht in die rechte Ecke drängen lassen möchten, finden in der FDP einen Verbündeten. Wenn sie jetzt auf das richtige Pferd setzen, könnten gerade Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel ein wichtiger Stimmbringer für die Liberalen sein. Die Bemühung um einen liberalen Mittelweg in Pandemie-Zeiten kann aber auch nach hinten losgehen. Nämlich dann, wenn die Partei, die lieber nicht regiert, als falsch regiert, den Ruf des ständig Meckernden einnimmt, dem es aber an eigenen Vorschlägen mangelt. Denn der Wähler will mehr als nur Zuspruch, er möchte Perspektiven und konkrete Vorschläge.
Bis zur Bundestagswahl muss die Partei also liefern, wenn sie an den Erfolg im Südwesten anknüpfen und auch hier Regierungsverantwortung übernehmen will. Dazu braucht sie aber nicht nur eine klare Linie und tragende Inhalte, sondern auch ein entsprechendes Personaltableau. Bis September ist es nicht mehr lange – die Zeit, die der FDP dafür bleibt, ist so begrenzt, wie der Platz, den Christian Lindner und Wolfgang Kubicki neben sich frei lassen.