Bisher galt lange Schwarz-Grün als gesetzte Option. Mit den Landtagswahlen Mitte März und der Maskenaffäre wird auch eine Regierungsbildung ohne die Union nicht mehr ausgeschlossen.
Der jüngste Deutschlandtrend hat die Diskussionen beflügelt, die bereits seit den Landtagswahlen vom 14. März an Fahrt aufgenommen haben. Eine „Ampel" mit Grünen, SPD und FDP liegt demnach im Moment rein rechnerisch gleichauf mit der amtierenden Groko. Beide Konstellationen kommen nach der aktuellen Sonntagsfrage auf jeweils zusammen 46 Prozent. Damit ist eine Regierungsbildung ohne Unionsbeteiligung rechnerisch im realistischen Bereich. Im Gegensatz zu der lange als sicher geltenden neuen Großen Koalition (Schwarz-Grün) wäre es aber, nach derzeitigem Stand, eine knappe Angelegenheit.
Knappe Mehrheiten können bekanntlich unterschiedliche Effekte haben. Zum einen haben die Koalitionspartner untereinander ein gewisses Drohpotenzial zur Durchsetzung je eigener Ziele in der Koalition. Dreierkonstallationen haben immer auch einen fragilen Charakter. Zum anderen können knappe Mehrheiten durchaus sehr disziplinierend wirken. Und Disziplin bräuchte eine Bundes-Ampel.
Die politisch-inhaltlichen Schnittmengen zwischen den potenziellen Partnern SPD, Grüne und FDP sind auf Bundesebene nicht so überragend groß, dass sich daraus ein großes politisches Projekt formulieren ließe. Andererseits sind Krisenbewältigung, Klimawandel und wirtschaftlicher Transformationsprozess ausreichende Mega-Herausforderungen. SPD und Grüne mögen sich vergleichsweise schnell bei den meisten Themen verständigen können. Schwierig würde es mit den Liberalen spätestens, wenn es um grundsätzliche Fragen geht. Beim Verständnis über die Rolle des Staates driften die Ansätze erheblich auseinander. Die SPD sieht sich in ihrem Ansatz eines „starken Staates" gerade durch die Pandemie-Krisenzeiten mehr als bestätigt. Das ist bei den Grünen vielleicht nicht mehr ganz so ausgeprägt wie in früheren Zeiten, als ihre Vorschläge ihnen das Image einer „Verbotspartei" eingebracht haben. Trotzdem überwiegt auch bei ihnen der Ansatz, dass der Staat im Zweifel stärker lenkend und regulierend eingreifen muss, um als notwendig erachtete Ziele in der nötigen Konsequenz zu verfolgen.
In sechs Monaten kann viel passieren
Beim Schlagwort von der sozial-ökologischen oder nach anderer Präferenz ökologisch-sozialen Wende werden sich Rot und Grün schnell einigen können. Andererseits liegen Grüne und FDP bei der Frage bürgerlicher Freiheitsrechte nicht allzu weit auseinander. Koalitionsverhandlungen über wirtschaftspolitische Fragen dürften dagegen lange und heftige Nachtsitzungen werden, wenn es denn dazu käme.
Die SPD würde in dieser Konstellation von ihrer langjährigen Regierungserfahrung im Bund profitieren. Ein nicht unwesentliches Plus. Auf eine „Bazooka" wie Olaf Scholz können weder Christian Lindner noch Annalena Baerbock zurückgreifen. Übrigens auch Robert Habeck nicht, allerdings gilt inzwischen als ausgemacht, dass die Grünen mit Frau Baerbock als Kanzlerkandidatin in das eigentliche Wahlkampfrennen ziehen.
Nach den Merkel-Jahren und der ungeliebten Groko würde eine Ampel für frischen Wind in der Republik sorgen. Dass der an vielen Stellen dringend nottut, haben nicht zuletzt die Krisenzeiten gezeigt.
Für die Grünen ist die Vorstellung, erstmals das Kanzleramt zu besetzen, eine reizvollere Option als die Rolle eines Juniorpartners einer neuen Großen Koalition zu übernehmen. Wissend, dass diese Konstellation dem kleineren Partner bislang noch nie gut getan hat, selbst wenn er einen maßgeblichen Teil seiner inhaltlichen Vorstellungen gegenüber einem geschwächten Seniorpartner durchsetzen konnte.
Nicht völlig unrealistisch scheint auch die Möglichkeit, dass die SPD von der erkennbaren Schwäche der Union unter anderem in Folge der sogenannten Maskenaffäre profitieren kann, was bei stagnierenden Werten der Grünen noch zu einem knappen Rennen um Platz zwei in der Parteienlandschaft führen könnte. Das wiederum würde die Option einer „echten Ampel" eröffnen.
Mit der Aussicht auf andere Machtoptionen jenseits der bisher als gesetzt angenommenen schwarz-grünen Konstellation hat der März das Wahljahr wieder spannend gemacht.