Der Ruf nach mehr Befugnissen für den Bund in der Pandemie-Bekämpfung wird lauter. Eine knappe Mehrheit würde das unterstützen. Gestritten wird, ob damit wirklich alles besser laufen würde.
Das war deutlich und unmissverständlich. „Rauft Euch zusammen!" Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu Ostern den Ton getroffen, den die meisten Bürger im Land seit geraumer Zeit sehnlich vermisst haben. Spätestens in der Vor-Oster-Woche war nach der verkorksten „Osterruhe" nicht mehr wirklich auszumachen, was mehr zermürbt: Die nicht enden wollende Pandemie oder das politische Gezerre zwischen verschärftem Lockdown und Öffnungen. Eine „Krise des Vertrauens", befand das Staatsoberhaupt.
Zuvor hatte bereits die Kanzlerin offenbar den Rand gestrichen voll, zog in Erwägung, dem Trauerspiel durch eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes ein Ende zu machen. Ziel: Mehr Kompetenz des Bundes und damit eine einheitliche Linie. „Es gibt die große Sehnsucht nach einheitlichen Regeln", sprang Horst Seehofer Kanzlerin Angela Merkel zur Seite. Es schien, als hätte sich zumindest die Polit-Prominenz so etwas wie eine neue Nachdenklichkeit über die einst beschlossenen und sofort wieder gecancelten Osterruhetage verordnet. Statt Ministerpräsidententreffen mit der Kanzlerin samt Beschlüssen, die teilweise schon relativiert wurden, bevor sie getroffen waren, ist nun ein Krisenstab im Gespräch. Das klingt ein wenig nach einer Expertenregierung in schwierigen Zeiten. Schon die Diskussion darüber ist ein Eingeständnis. Ohnehin schwelt schon lange die Diskussion, ob das föderale System einer solchen Krise gewachsen ist.
Lauter Ruf nach Einheitlichkeit
Der Ruf nach mehr Einheitlichkeit im Vorgehen hat sich im Herbst letzten Jahres durchgesetzt, als die Zahlen nach einem etwas entspannteren Sommer wieder drastisch stiegen und sich die befürchtete zweite Welle abzeichnete. Damit begannen die Bund-Länder-Spitzengespräche, die schon bald an Verhandlungsrunden erinnerten wie zu Zeiten des Streits um den Bund-Länder-Finanzausgleich. Begleitet war dieses nie wirklich gelungene Ringen um mehr Einheitlichkeit aber von Anfang an von der Forderung, regional unterschiedlich in Abhängigkeit von der realen Entwicklung vor Ort zu reagieren.
Europäische Nachbarn hatten schon im Spätsommer „Corona-Ampeln" eingeführt, anhand derer mit unterschiedlichen Maßnahmen je nach Entwicklung der Fallzahlen reagiert werden sollte. In Deutschland hat es bis Ende Oktober gedauert, um sich dieser Idee zu nähern. Zuvor hatten sich allerdings schon die Regierungschefs in der EU über eine europaweite Ampel verständigt. Hintergrund war vor allem eine Orientierung für Reisewillige. „Grün" waren dabei Regionen mit einer 14-Tage-Inzidenz unter 25. Die zweite Welle ließ Europa aber seither nicht mehr an eine Ampel denken, die etwa ab einer Inzidenz von 35 von grün auf orange umschaltet, ab 50 rot und über 100 dunkelrot zeigt. Es war zumindest ein Ansatz, einerseits für alle verbindliche Orientierungen zu schaffen, andererseits den regional-lokal unterschiedlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen.
Dieses Ziel sollte auch der „Stufenplan" haben, Anfang März stolz präsentiert nach einer erneuten Bund-Länder-Runde. Ein solches Modell war lange gefordert worden. Um Öffnungsperspektiven zu bieten, die ohnehin durch viele Gerichtsbeschlüsse fällig waren, bei gleichzeitiger Bekämpfung der dritten Welle und Eindämmung der ständigen Diskussionen rund um die Spitzengespräche. Zwei Wochen später geriet der Plan durch die Osterruhe-Debatte fast in Vergessenheit.
Mit dem Saarland-Modell, einer an Negativtests gebundenen Öffnung in Kultur, Sport und der Außengastronomie kehrt die Ampel wieder zurück ins Bewusstsein. Sie sieht „gelb" ab einer Inzidenz von 100 vor. Wann „rot" greift, ist etwas vage formuliert und an die Begutachtung eines Gremiums gekoppelt.
In der Debatte um mehr Kompetenzen beim Bund, also einer stärkeren zentralen Regelungsbefugnis, kommt solchen Modellen wie der Ampel oder dem Stufenplan eine entscheidende Funktion zu. Sie könnten allgemeingültige Regelungen mit lokalen beziehungsweisen regionalen sinnvoll verzahnen und damit im föderalen System differenziert Handlungsfähigkeit gewährleisten. Das funktioniert aber nur, wenn sich dann auch alle an die allgemeinen Regelungen halten, wenn sie vor Ort Entscheidungen treffen.
Genau daran aber krankte das System im ständigen Überbietungswettbewerb, mal um noch schärfere Regelungen, mal um Lockerungen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, einer ist jedenfalls, dass es keine Sanktionen gibt, wenn sich ein Länderchef nicht an die Rahmen-Verabredungen halten will. Da werden dann auch schon mal die verabredeten Grenzwerte großzügig interpretiert oder andere Wege beschritten. Das wiederum fördert den Eindruck eines großen Durcheinanders, bei dem keiner mehr weiß, wo er eigentlich dran ist.
Mehr Disziplin statt Streit um Kompetenz
Der Ruf nach mehr Einheitlichkeit und stärker zentralen Regelungen ist die logische Konsequenz. So wundert wenig, wenn nach Ergebnissen des Meinungsforschungsinstituts Yougov kurz vor Ostern etwa über die Hälfte der Befragten für mehr Bundeskompetenz plädierten (53 Prozent). Ein gutes Drittel (36 Prozent) hält dagegen ein gemeinsam abgestimmtes Verfahren für besser. Der Rest kann sich nicht entscheiden, was er von all dem halten soll. Zu einem derartigen Meinungsbild haben ohne Zweifel die vorösterlichen Vorgänge beigetragen. Letztlich dürfte dabei aber auch eine schon länger anhaltende Stimmung beigetragen, die von Zweifeln an der Funktionsfähigkeit des föderalen Systems getragen ist.
Längst vergessen, dass ausgerechnet dieses System mit dafür verantwortlich gemacht wurde, dass Deutschland deutlich besser durch die erste Welle gekommen ist als die meisten Nachbarländer. Die Probleme haben sich erst mit Beginn der zweiten Welle gezeigt. Dazu hat beigetragen, dass die Atempause in den Sommermonaten nicht in dem ernsten und konsequenten Maß genutzt wurde, um sich auf die zweite Welle vorzubereiten, wie es erforderlich gewesen wäre.
Ob daran das föderale System die Hauptursache ist, ist weder bewiesen noch widerlegt. Es ist allerdings auch nicht erwiesen, dass mehr Bundeskompetenz und Durchgriffsmöglichkeit zu besseren Ergebnissen führen. Die Corona-App, herausgegeben vom RKI, einer Bundesbehörde, gilt beispielsweise immer noch nicht als das große Hilfsmittel zur Eindämmung der Pandemie.
Als im Oktober letzten Jahres angesichts der zweiten Welle bereits eine ähnliche Diskussion über Kompetenzen geführt wurde, konnte sich Bayerns Ministerpräsident Söder bereits mehr Kompetenzen für den Bund vorstellen. Der Föderalismus stoße an seine Grenze, befand der Bayer. Kanzlerin Merkel blieb zurückhaltend: Der Föderalismus habe sich bewährt, „weil sehr viel spezifischer vor Ort reagiert werden kann". Der Tonfall hat sich ein halbes Jahr später deutlich geändert, wenn sie hinsichtlich der konsequenten Umsetzung von Beschlüssen wie der Notbremse feststellen musste: „Es gibt mehrere Bundesländer, die eine sehr weite Interpretation haben und das erfüllt mich nicht mit Freude".
So sieht auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund einen zentralen Kern der Auseinandersetzung nicht in der Frage des Föderalismus und der Kompetenzverteilung, sondern in der Disziplin. Mehr Einheitlichkeit sei wünschenswert, weil Bürger die unterschiedlichen Regelungen sonst kaum nachvollziehen könnten, betont Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg und ergänzt: „Das würde dann allerdings voraussetzen, dass sich alle dann auch wirklich an die getroffenen Vereinbarungen halten." Was im Kern nichts anderes heißt, als des Bundespräsidenten Appell: „Rauft Euch zusammen".