Nach zehn Jahren scheidet er vorzeitig als Intendant des Saarländischen Rundfunks aus. Prof. Thomas Kleist über Herausforderungen im digitalen Zeitalter, die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Systems und den Kampf um die Eigenständigkeit.
Herr Kleist, Sie hören jetzt vorzeitig als Intendant des Saarländischen Rundfunks auf. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen, und was waren Ihre schwierigsten Entscheidungen als Intendant?
Den Zeitpunkt des Ausscheidens habe ich aus persönlichen und SR-strategischen Gründen so gewählt. Dabei muss man wissen, dass ich in meinem Leben selten etwas länger als zehn Jahre gemacht habe, mit der Ausnahme, dass ich seit über 40 Jahren verheiratet bin. So war ich zehn Jahre Direktor der Landesmedienanstalt, zehn Jahre selbstständig als Anwalt und Unternehmensberater, zehn Jahre Direktor des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR), war zehn Jahre Verwaltungsratsvorsitzender des SR und bin jetzt zehn Jahre Intendant. Als Intendant muss man jeden Tag viele Entscheidungen treffen. Zwei Entscheidungen sind mir besonders schwer gefallen. Die eine, als Intendant anzutreten. Denn das entsprach damals nicht meiner persönlichen Lebensplanung und auch niemand anderes hatte mich auf dem Plan. Das Zweite war, als Intendant vorzeitig aufzuhören. Denn ich brenne nach wie vor für diesen Sender und hätte eigentlich gern noch bis 2023 weiter gemacht. Aber so ist es für den SR strategisch gut. Denn 2023 sind wir mitten in den nächsten Beitragsverhandlungen. Um sich in diese komplexe Materie und die Netzwerke der ARD erfolgreich einbringen zu können, braucht man ein, zwei Jahre Zeit der Einarbeitung, die ich meinem Nachfolger damit einräume. Außerdem sind im nächsten Jahr Landtagswahlen. Ich wollte verhindern, dass die Intendantenwahl in den Sog politischer Wahlen gerät.
In Ihrer Bilanz: Was sehen Sie selbst als Highlights dieser zehn Jahre?
Wichtig waren mir immer die direkten Begegnungen mit Saarländerinnen und Saarländern. Wenn man SR-Intendant ist, muss man Menschen mögen und das Land lieben. Das Zweite war die Existenzsicherung des SR und eine bessere finanzielle Ausstattung, das hatte ich dem Rundfunkrat versprochen. Zweimal ist es mir gelungen, den ARD-Finanzausgleich zu verbessern. Mehr als 50 Millionen Euro kommen auf diese Weise zusätzlich ins Saarland. Der SR ist jetzt finanziell gut ausgestattet und wegen der ausgebliebenen Beitragsanpassung haben wir das Bundesverfassungsgericht angerufen (Entscheidung über Beitragsanpassung, nachdem das Land Sachsen-Anhalt nicht zugestimmt hat, Anm. d. Red.) und bis dahin eine für den SR auskömmliche Übergangsregelung verhandelt. Weitere Highlights waren das erfolgreiche Ringen um die Rückkehr zur Live-Berichterstattung der Tour de France im Ersten, aber auch die SR-internen Reformen im Programm und der Organisation sowie die grandiosen Auftritte unseres Orchesters mit dem neuen Chefdirigenten Pietari Inkinen. Und natürlich der große Erfolg unseres neuen jungen Tatort-Teams mit einer Zuschauerquote von erstmals mehr als zehn Millionen.
Wie hat sich der SR verändert? Wo steht der Sender heute?
Wichtig war es, dem SR ein eigenes Profil zu geben und den SR dem Wandel der Zeit anzupassen. So war die Ausrichtung als Grenzlandsender mit hoher Frankreichkompetenz ein Alleinstellungsmerkmal in der ARD. Und intern das virtuelle Studio im SR-Fernsehen eine Leitinvestition mit einem völlig neuen, modernen Outfit im Vorabendprogramm. Bei allen Veränderungen war es wichtig, die Menschen auf dem Halberg zu beteiligen und mitzunehmen. Das Ergebnis einer Mitarbeiterbefragung zeigte, dass sich 80 Prozent der Belegschaft mit dem Auftrag und den Zielen des SR identifizieren. Das hat uns richtig stolz gemacht und uns Zuversicht für Veränderungen in der Zukunft gegeben. Auf dieser Basis konnten wir dann im vergangenen Jahr eine große Strukturreform durchführen mit den Zielen Crossmedialität für Hörfunk, Fernsehen und Online und die digitale Transformation ins Internet. Im Hinblick darauf haben wir auch eine Reihe größerer Baumaßnahmen durchgeführt, ein sichtbares Zeichen dafür, dass es auf dem Halberg weitergeht und der SR eine gute Zukunft hat.
Das steht aber immer wieder zur Diskussion, das zeigt auch die jüngste Diskussion über den Vorstoß Ihres SWR-Kollegen Kai Gniffke. Hat Sie das wirklich überrascht?
Ich selbst habe zahlreiche Kooperationen insbesondere mit dem SWR angestoßen. Aber der SWR-Intendant hat mit seinen Vorschlägen, die weit über eine gesunde Zusammenarbeit unter benachbarten Sendern hinausgehen, schlichtweg überzogen. Ganze Direktionen zusammenzulegen riecht nach Fusion. Das mussten wir brüsk zurückweisen.
Was spricht dagegen?
Als Kai Gniffke SWR-Intendant wurde, war ich es, der die Initiative ergriffen und Vorschläge für eine auf Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit abzielende Zusammenarbeit gemacht hat. Damit wollte ich auch der Politik mit Blick auf die Beitragsdiskussion ein Angebot unterbreiten, wie wir die Arbeitsprozesse weiter optimieren könnten und zwar nicht nur bilateral zwischen SR und SWR, sondern unter Einbeziehung auch des HR und sogar des ZDF, etwa im Bereich von Fernsehproduktionen. Dabei habe ich aber immer klargemacht, dass die Eigenständigkeit des SR nicht zur Disposition stehen darf. Eine so verstandene enge Zusammenarbeit der Sender im Südwesten könnte für die Politik sogar eine Blaupause sein für anstehende Reformen im gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Deshalb habe ich auch volle Unterstützung meiner Gremien und der saarländischen Politik bekommen. Wohl auch, weil sich für viele hier im Land ein eigenständiger SR und ein eigenständiges Saarland geradezu gegenseitig bedingen.
Sind vor dem Hintergrund der ständigen Gebührendiskussionen die Strukturen noch angemessen?
Ich bin ein großer Befürworter von Reformen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Angesichts der Beitragsfinanzierung müssen wir uns mit unseren Programmangeboten gegenüber dem Publikum Tag für Tag beweisen. Dazu gehören aber auch schlanke Strukturen und bestmögliche Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Fusionen haben aber häufig gegenteilige Wirkungen. Aus eigener Erfahrung weiß ich die Feinheit der kleinen Einheit bei uns im SR sehr zu schätzen. Denn wir sind in vielen Bereichen sparsamer und effektiver als die Großen. Ich setze da auf das, was man „kooperativer Föderalismus" nennt. Das heißt die Sparsamkeit, Schnelligkeit und Flexibilität kleiner Einheiten nutzen und dort zusammenarbeiten, wo sogenannte Skaleneffekte großer Organisationen zu echten Einsparungen führen.
Noch mal zu den Gebühren: Weil die eben von jedem Haushalt gezahlt werden müssen, unabhängig von der Nutzung, sind sie ja immer wieder in der Kritik, auch was die Höhe betrifft.
Der Beitrag ist jetzt 17,50 Euro und hoffentlich bald 18,36 Euro. Bei 30 Tagen im Monat sind das pro Tag rund 60 Cent. Auf Saarländisch würde man sagen so viel wie ein Doppelweck mit nix druff. Als Gegenleistung gibt es eine große Vielfalt an Hörfunk-Angeboten mit ausführlicher regionaler Information und allen Musikfarben von der Klassik bis zum Pop und Fernsehprogramme rund um die Uhr: ARD, ZDF, Arte, 3Sat, Phoenix, Tagesschau24, Kika. Zu glauben, eine Privatisierung würde das Ganze günstiger machen, wäre völlig falsch. Die Realität zeigt uns etwa beim Sport, dass der Zuschauer für private Angebote häufig viel tiefer in die Tasche greifen muss, als wenn wir das übertragen. Im Übrigen sind wir als SR im Saarland Medium und Faktor zugleich. Denken Sie etwa nur daran, wie viele kulturelle Aktivitäten wir hier im Land unterstützen und vieles auch erst möglich machen. Und nur am Rande sei erwähnt: Das alles geht nur mit einem eigenständigen SR im Saarland für das Saarland. Auch dafür habe ich gern zehn Jahre gekämpft.
Neben der Gebührendiskussion steht das öffentlich-rechtliche System auch immer wieder inhaltlich in der Kritik. Einer der Vorwürfe lautet: „Staatsfunk".
Wir sind staatsfern, aber nicht staatsfrei, will sagen: Zu unseren Aufgaben zählt es, die Regierenden medial zu kontrollieren. Gleichzeitig sind wir aber auch Teil unseres öffentlichen Staatswesens, für das das Parlament die Spielregeln vorgibt. Und als Intendant stehe ich sozusagen dazwischen, wie eine Firewall vor unseren Journalistinnen und Journalisten, damit diese ungestört ihrer verantwortungsvollen Aufgabe nachgehen können. Das ist manchmal eine Gratwanderung, bei der man als Intendant Rückgrat zeigen muss.
Aber täte dem öffentlich-rechtlichen System nicht auch ein Stück Selbstreflexion angesichts einer sich rasant verändernden Medienlandschaft und damit ganz anderem Nutzerverhalten gut, gerade bei einer kleineren Anstalt?
Selbstreflexion ist für uns geradezu überlebenswichtig. Denn: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Also müssen wir uns ständig verändern, auch, weil sich das Verhalten unseres Publikums, insbesondere der Jüngeren, durch das Internet stark geändert hat. Der gesamte Onlinebereich ist für uns eine große Herausforderung. Vor diesem Hintergrund habe ich in der Intendanz ein Digital-Strategieboard angesiedelt und damit die Entwicklung im Onlinebereich zur Chefsache erklärt. Es geht um die Entwicklung neuer Formate für das Internet und um Kommunikation im Netz. Denn dort treffen wir auf die jüngere Generation. Die kommt nicht mehr wie selbstverständlich zu uns; wir müssen zu ihnen ins Internet und auf die digitalen Plattformen. Und dort funktioniert vieles anders als in den klassischen Programmen, es gibt andere Gesetzmäßigkeiten. In der linearen Welt werden Sendungen konzipiert, die oft über viele Jahre, manchmal Jahrzehnte, erfolgreich funktionieren, wie etwa der „Aktuelle Bericht" des SR. Die Verfallszeiten im Internet sind dagegen oft relativ kurz. Da muss man ständig mit den Usern kommunizieren und sich deren Gewohnheiten anpassen. Da braucht man dann auch neue Berufsbilder wie die Community Manager, Community Developer und den SEO-Experten (Search Engine Optimization; Suchmaschinenoptimierung, Anm. d. Red.) zum ständigen direkten Kontakt zum Nutzer. Für den SR sind das große Herausforderungen, die da auf uns zukommen. Denn gleichzeitig müssen wir ja auch unser klassisches Hörfunk- und Fernsehpublikum mit einem abwechslungsreichen Angebot in guter Qualität versorgen. Und das alles bei im Wesentlichen gleichbleibenden Einnahmen.
Wie sieht es mit Nachwuchs aus in Zeiten der Influencer und Blogger? Gibt es junge Leute, die sich für den Journalismus interessieren, für den die Öffentlich-Rechtlichen stehen?
Wir stellen jedes Jahr sechs oder sieben Volontärinnen und Volontäre ein und haben dafür in der Regel gut 150 Bewerbungen. Das Interesse am Journalismus, wie wir ihn verstehen, ist ungebrochen. Wir bieten heute eine crossmediale Ausbildung in Hörfunk, Fernsehen und Online an. Qualitätsjournalismus bedeutet für uns egal auf welchem Ausspielweg nach wie vor in erster Linie Wahrhaftigkeit, Sorgfalt bei der Recherche, Sachlichkeit bei der Berichterstattung und Unparteilichkeit im Konflikt. Das ist im Zeitalter des Internets nicht anders. Was sich geändert hat, ist die Schnelligkeit der Informationsvermittlung, ohne die Gründlichkeit zu vernachlässigen, der Wunsch nach sogenannter Echtzeitkommunikation. Unser Publikum will direkt dabei sein, wenn etwas passiert und dennoch gründlich informiert werden. Da kommt es darauf an, dass man dabei ist, eins zu eins berichtet, ohne dass das in Voyeurismus abgleitet. Das sind neue Qualitätsanforderungen im Zeitalter des Internet.
In der digitalen Welt gibt es Angebote im Überfluss. Wohin geht die Reise für den SR?
Für mich ist und bleibt die Regionalität und die regionale Verankerung das Alleinstellungsmerkmal insbesondere gegenüber den Global Playern. Die „GAFAs" dieser Welt – Google, Amazon, Facebook, Apple – sind zwar die Türöffner ins weltweite Netz, lassen aber die Menschen dort oft allein. Da müssen wir dagegenhalten und ihnen Nähe vermitteln, Orientierung geben, Rückhalt und Heimat. Im Regionalen sind wir deutlich stärker als die Internetriesen. Oder besser gesagt: Insoweit ergänzen wir uns sogar gut. Darin sehe ich auch unsere Chancen für die Zukunft. Wir als Öffentlich-Rechtliche leiten unsere Existenz ja aus unseren Kulturräumen ab. Auch deshalb machen Fusionen zu größeren Einheiten, die aus fernen Zentren gesteuert werden, übrigens wenig Sinn.
Braucht es dafür das System öffentlich-rechtlicher Anstalten?
Ja! Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss frei von staatlicher Einflussnahme aufs Programm und frei von ökonomischen Abhängigkeiten Vielfalt und unabhängigen Journalismus organisieren. Insoweit ist er für unsere freiheitliche Demokratie geradezu konstituierend. Dafür muss jeder von uns einen Beitrag entrichten. Dies bedeutet für mich als Intendant und alle Programmverantwortlichen wiederum eine große Verantwortung für unser Gemeinwesen und konkret die Verpflichtung zur Unparteilichkeit, Wirtschaftlichkeit und zur Qualität. Der internationale Vergleich zeigt ganz deutlich, dass überall dort, wo man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeschafft beziehungsweise dezimiert hat, die Demokratie und das Gemeinwesen Schaden erleiden. Es ist ein hohes Gut, das es zu verteidigen gilt. So habe ich auch meine Aufgabe für mich selbst definiert.
Ein persönliches Wort zum Schluss?
Ich bin eigentlich kein Freund von Orden und Auszeichnungen, denn eine Aufgabe, die man übernommen hat, gut und mit großem Einsatz zu erfüllen, ist für mich selbstverständlich. Dennoch hat es mich persönlich berührt, den französischen Orden Ritter der Ehrenlegion durch die französische Botschafterin aus Berlin ausgehändigt zu bekommen. Denn dies war für mich die Bestätigung, dass unsere konsequente Ausrichtung als Sender auf der Grenze und Botschafter für die deutsch-französische Freundschaft und die europäische Idee den SR mit klarem Profil in der ARD unverwechselbar und letztlich unverzichtbar macht. Ich habe den Orden daher gern stellvertretend für alle im SR, die an dieser Idee mitwirken, entgegengenommen. Intendant des SR sein zu dürfen, war für mich persönlich eine große Anstrengung, aber auch ein großes Glück. Ich wusste aber auch, dass dieses Amt nur geliehen ist und man es zum richtigen Zeitpunkt wieder zurückgeben muss. Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Am Ende bleibt mir Dankbarkeit gegenüber allen, die mit mir den Karren zehn Jahre lang erfolgreich gezogen haben.