Als Spieler wurde Horst Hrubesch anfangs wegen seiner ungelenken Art verspottet – er wurde Europameister und Europapokalsieger. Als Trainer wurde er anfangs wegen seiner flapsigen Sprüche belächelt – heute ist er eine verehrte Kultfigur. Am 17. April wird Hrubesch 70.
Aus heutiger Sicht wirkt es schon verrückt, dass Horst Hrubesch kein erfolgreicher Vereinstrainer wurde. Dabei hat er es mehrfach versucht. Am längsten blieb er noch beim VfL Wolfsburg, zwei Jahre von 1988 bis 1990, damals aber noch in der Oberliga Nord. Ansonsten sind viele Flops unter seinen Engagements. Ganze fünf Spiele bei Dynamo Dresden 1994/95 bis zur Beurlaubung, sieben bei Samsunspor 1997, 15 Spiele beim FC Tirol, 19 bei Hansa Rostock.
Und auch sein Engagement beim DFB begann sehr unglücklich. Er startete als Co-Trainer von Junioren–Nationalmannschaften, trainierte das zum Scheitern verurteilte A2-Team, wurde fünf Tage vor der unglückseligen EM 2000 zum Co-Trainer von Teamchef Erich Ribbeck erklärt und weinte nach dem schmachvollen Vorrunden-Aus auf der Bank. Bei diesem Fünf-Spiele-Intermezzo blieb es – von ihm aus. Und ein Spruch nach dem 1:1 gegen Rumänien, als er erklärte, man müsse „alles noch mal Paroli laufen lassen". Es ist einer von drei Spruch-Klassikern, die Hrubesch zugeschrieben werden. Neben „Manni Bananenflanke, ich Kopf, Tor" bei der Beschreibung seiner Kopfballtore. Und „Ich brauche nur dieses eine Wort zu sagen: Herzlichen Dank!" nach seinem Abschiedsspiel.
Das klingt alles nach einem sehr schlichten Gemüt. Doch falls Horst Hrubesch das überhaupt ist, dann im allerbesten Sinne. Ein ruhiger Typ, der in der Lüneburger Heide lange Jahre Edelbluthaflinger züchtete und als leidenschaftlicher Angler ein Buch schrieb mit dem Titel „Dorschangeln vom Boot und an den Küsten." Was die anderen darüber dachten, kümmerte ihn herzlich wenig. Denn so ist Horst Hrubesch auch: ehrlich, kernig, authentisch. Darüber hinaus warmherzig, humorvoll und empathisch.
Einsilbig, aber kein schlichtes Gemüt
Wahrscheinlich ist er im Vereins-Fußball immer deshalb gescheitert, weil er langfristig zu lieb war, zu nachsichtig. Wann genau er beim DFB die Kurve gekriegt hat, ist nicht genau zu sagen, doch jedenfalls schaffte er es dort bald, dass die Spieler sich immer nach den Lehrgängen bei ihm als Ablenkung zum Alltag sehnten. Obwohl er mit seiner manchmal schroffen Art auch Leute vor den Kopf stoßen konnte. Angeblich rief Jérôme Boateng nach dem WM-Finale 2014 als erstes Hrubesch an und rief in den Hörer: „Trainer, ich bin Weltmeister!" Worauf dieser antwortete: „Ja, schon klar, aber bei den langen Bällen musst du noch an dir arbeiten."
Doch gerade die jungen Spieler folgten ihm bald blind. Weil sie einerseits schnell merkten, dass Hrubesch es ehrlich meinte und immer nur ihr Bestes wollte. Und weil sie andererseits schnell merkten, dass seine Kritik immer hilfreich war und jedes Befolgen sie verbesserte. Gerade die in jungen Jahren als schwierig geltenden Charaktere bekam Hrubesch hin wie niemand anderes. Deshalb verehren ihn viele bis heute hymnisch. Weil viele ohne ihn vom Weg abgekommen wären.
Als er zum Beispiel Antonio Rüdiger, den heute bei Chelsea spielenden Nationalspieler, unter seine Fittiche bekam, sei dieser „anfangs schon ein Pulverfass" gewesen, sagte Hrubesch. Er habe nicht verlieren können, habe den Hang zur Überheblichkeit gehabt. Aber er sei ein ehrlicher Typ gewesen und ein kämpferisches Vorbild. Sein Fazit: „Ich mag solche Typen." Rüdiger berichtete später, Hrubesch habe ihn in einem Einzelgespräch auch mal gefragt, „ob ich blöd bin oder nur so tue". Heute sagt Rüdiger „Papa" zu Hrubesch. Und er ist nicht der Einzige. „Er ist einer meiner größten Förderer", sagte er schon 2013: „Er weiß, wie ich ticke und wie er mich anpacken muss. Außerhalb nimmt er für mich fast eine Vaterrolle ein."
Younes spricht vom „perfekten Trainer"
Als Trainer sei er ein Spätstarter gewesen. Aber das sei er als Spieler ja auch, sagte Hrubesch später. Als er bei Rot-Weiss Essen spielte, arbeitete er als Dachdecker und spielte nebenher noch Handball. Dann stieg er mit RWE in die Bundesliga auf und direkt wieder ab. Schoss dann in der Zweiten Liga 42 Saisontore, was bis heute Rekord ist, und wechselte mit 24 zum Hamburger SV. Mit dem HSV gewann er 1983 den Europapokal der Landesmeister, den Vorläufer der Champions League. Mit der Nationalmannschaft wurde er 1982 Vize Weltmeister und war beim EM-Titel 1980 mit zwei Treffern beim 2:1 gegen Belgien im Finale der Matchwinner. Aus dem anfangs belächelten Klotz war ein geachtetes und gefürchtetes „Kopfball Ungeheuer" geworden. Hrubesch weiß also, wovon er spricht, wenn er den jungen Spielern erzählt, dass sie Widerstände überwinden müssen. Und er kann das alles wunderbar auf den Punkt bringen. Amin Younes, der in seiner Karriere unter anderem Trainer wie Lucien Favre, Joachim Löw oder Carlo Ancelotti erlebt hat, sagte dem „Spiegel" im Vorjahr, wenn er den für sich perfekten Trainer beschreiben solle, „dann habe ich Horst vor Augen". Hrubesch sei „ein knallharter Typ", dennoch hätten die beiden „so etwas wie eine Vater-Sohn-Beziehung." Er habe die „Mannschaft auf eine besondere Art auch erzogen, weil er den Spielern innerhalb bestimmter fester Richtlinien Freiheiten gewährt, aber auch Eigenverantwortung einfordert".
Als Beispiel erzählte Nationalspieler Younes die Geschichte von einem Spieler, der bei einem Turnier zu spät zum Essen gekommen sei. „Als das ein zweites Mal passierte, hat Horst die ganze Mannschaft zur Strafe laufen lassen – bis auf den Zuspätkommer. Den hat er in den Arm genommen und gesagt: „Du kannst nichts dafür. Die anderen müssen dafür sorgen, dass alle da sind." Wir haben das zuerst nicht verstanden. Aber danach ist nie wieder einer zu spät gekommen."
So bekam er alle in den Griff und feierte Erfolge. 2008 führte er die U19 um die späteren A-Nationalspieler Ron Robert Zieler sowie Lars und Sven Bender zum EM-Titel. Ein Jahr später dann die U21 um Manuel Neuer, Sami Khedira, Mats Hummels, Mesut Özil oder Benedikt Höwedes, die alle zu Korsettstangen beim WM-Triumph 2014 in Rio wurden. „Wir hatten alle das Funkeln in den Augen. Jeder, der sich nicht ins Spiel gebissen hätte, hätte vom Team einen Arschtritt gekommen", erzählte Hummels später. „Hrubesch hat uns wie ein Vater und Freund behandelt. Er schnauzt uns an, um uns danach wieder aus dem Dreck zu ziehen", sagte Neuer. Im Team nannten sie ihn „Papa Hotte".
2016 führte Hrubesch Deutschland schließlich erstmals seit 1988 wieder zur Olympia-Teilnahme und holte mit dem Team Silber. Kapitän Max Meyer erklärte später: „Alle waren sich einig, dass wir für den Trainer spielen, und jeder ist für den Trainer gelaufen, weil ihm jeder zum Abschied eine Medaille schenken wollte."
„Er hat Spaß reingebracht"
Denn danach wollte Hrubesch aufhören. Doch beim DFB ging inzwischen nichts mehr ohne ihn. Wann immer sich irgendwo eine Baustelle auftat, dachten alle direkt: „Das kann nur der Lange." Obwohl er seiner Frau längst den Ruhestand und eine Neuseeland-Reise versprochen hatte, wurde er zunächst aushilfsweise DFB-Sportdirektor und dann interimsmäßig Nationaltrainer der Frauen. Und wer dachte, dass Hrubesch dort mit seiner manchmal grob wirkenden Art anecken könnte, wurde eines Besseren belehrt. Denn am Ende hörte man dort genau dieselben Schwärmereien.
„Er hat Spaß reingebracht, hat uns so genommen, wie wir sind", sagte Verena Schweers: „Er ist einfach ein Supertyp, sehr sympathisch. Er war für uns eine Art Vaterfigur. Und dann spielt man am Ende auch für den Trainer." Und der schwärmte zurück. „In der Frauennationalmannschaft hatten wir auch ein paar Granaten drin. Bei denen gab es mehr echte Typen im Team als bei den Männern", sagte er der „Bild am Sonntag": „Zum Abschluss noch mal die Mädels zu übernehmen, war einfach eine großartige Geschichte." Seit 2020 ist er als Nachwuchsdirektor im Nachwuchsleistungszentrum zurück beim HSV. So schließt sich auch dieser Kreis.
Am Ende war Hrubesch die vielleicht wichtigste Person im DFB in den vergangenen 20 Jahren. Und man mag sich nicht ausdenken, wie vieles ohne ihn gelaufen wäre. Man kann aber auch den Gedanken nicht zur Seite legen, wie es laufen würde, wenn ein 20 Jahre jüngerer Horst Hrubesch mit der Erfahrung von heute Bundestrainer geworden wäre oder einen großen Verein übernommen hätte.
Er selbst ist niemand, der zurückdenkt oder überlegt, was gewesen wäre. Er ist seinen Weg gegangen. „Ich erzähle keine Geschichten", sagte er mal: „Meine Aussagen sind eindeutig und klar. Mir ist lieber, die Spieler sagen mir, dass sie mich für ein Arschloch halten, statt dass sie schweigen, mich aber spüren lassen, dass sie mich für ein Arschloch halten." Was ganz sicherlich die allerwenigsten taten.