Danger Dan ist Rapper, Sänger, Multiinstrumentalist und Provokateur in Personalunion. Nach mehreren Top-Ten-Platten mit der Antilopen Gang hat er sein zweites Soloalbum aufgenommen. Daniel Pongratz (38) spricht über Lebenstraumata, Verschwörungstheoretiker und eine solidarische Gesellschaft.
Danger Dan, Ihr neuestes Soloalbum „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" haben Sie nahezu allein am Klavier eingespielt. War es befreiend, diese minimalistische Platte zu machen?
Ich habe es mir noch befreiender vorgestellt. Ich habe alles ausgereizt, was ich kann, und musste dafür ganz viel üben. Texte wirken zu einer Klavierbegleitung ganz anders als zu Hip-Hop-Klängen. Sie bleiben länger stehen und klingen schnell kitschig. Das limitiert einen.
Zielen Sie mit der Platte vor allem auf neue Hörer- und Käuferschichten?
Ich kann mir vorstellen, dass die Eltern von Antilopen-Fans das endlich auch mal mögen. Meinen gefällt’s schon mal. Sie hören sonst Hannes Wader, Georg Kreisler und Bernies Autobahn Band.
Es heißt, Musiker erfinden sich immer dann neu, wenn die Plattenverkäufe runtergehen.
Es ist keine Verzweiflungstat, die Plattenverkäufe gehen ja bei allen runter. Wir haben damals viele physische Tonträger verkauft, aber jetzt hat keiner mehr einen CD-Player. Letztes Jahr sind zwei Antilopen-Gang-Alben erschienen, mehr geht nicht.
Haben Sie bei Helene Fischer ein Duett angefragt?
Ich habe nicht angefragt. Jetzt, wo Sie es sagen, ärgere ich mich darüber. Ich fände es total cool. Hat Fischer nicht beim „Frozen 1"-Soundtrack mitgesungen? Den singe ich nämlich gerade viel mit meiner Tochter. Dann könnte ich vielleicht sogar Lieder, die Helene Fischer spielt.
In „Lauf davon" heißt es, Lou Reed sei Ihnen erschienen und habe gesagt: „Lauf davon und fang irgendwo noch mal von vorne an!" Haben Sie lange in einem falschen Leben gelebt?
Ich war damals Organist in einer Reggaeband in Aachen. Wir waren gut gebucht, aber mir war das alles zu klein. Da habe ich alles stehen und liegen lassen und bin nach Bordeaux gefahren und habe dort mit ein paar Jungs Mist gebaut.
In Bordeaux haben Sie Autos geknackt. Hat Sie das Leben außerhalb der Gesellschaft fasziniert?
Total. Schon mit 18 hatte ich ein halbes Jahr lang starke Panikattacken aufgrund der Sorge, dass ich in einer kleinbürglichen Welt landen könnte. Seitdem kiffe ich nicht mehr. Aber die Attacken hörten erst auf, nachdem ich eine Ausbildung abgebrochen hatte und in eine Punker-WG gezogen war. Manchmal sind wir spontan nach Belgien an den Strand getrampt, wo wir in Rohbauten schliefen. Das war heilsam.
Wie standen Ihre Eltern dazu?
Die sind cool und meinten, ich solle machen, was ich wolle, müsse aber alles selbst finanzieren. Deswegen habe ich oft absurde Jobs gemacht und zum Beispiel bei C&A Anzüge verkauft oder bei Circus Roncalli als Lehrer gearbeitet. Mein Lebenslauf war damals schon so verhunzt, dass ich mich nie schriftlich beworben habe. Irgendwie hatte ich immer mehr Glück als Verstand, und mein Leben lief bis hierhin ganz gut.
Haben Sie sich David Bowie, das „Chamäleon des Pop", zum Vorbild genommen?
Nein. Mir macht Musik total Spaß. Skinhead-Reggae gefällt mir genauso gut wie Hip-Hop oder Bob Dylan. Ich glaube, jemand, der Jazz studiert hat, wird niemals Punk-Gitarre spielen können. Aus der Sicht eines richtig guten Pianisten ist meine Klavierplatte wahrscheinlich nicht wirklich geil gespielt und gesungen, aber das, was ich kann, kann ich auch in verschiedenen Stilen.
Haben Sie zur Einstimmung viel Rio Reiser gehört?
Mit Rio Reiser assoziiert zu werden, ist das größte Kompliment. Dieser Vergleich wird in Deutschland so inflationär verteilt, dass ich den manchmal gar nicht annehmen kann.
In „Ingloria Viktoria" begleichen Sie eine 20 Jahre alte Rechnung mit dem Viktoria Gymnasium in Aachen. Ist es wirklich wahr, dass der Direktor Ihnen schon am ersten Tag mit dem „Repressalienapparat" drohte?
Ich bin von Hessen mit meiner Schulakte nach Nordrhein-Westfalen gezogen. Meine Eltern wollten mich auf ein sehr gutes Gymnasium bringen mit ganz tollen Kindern. Aber bereits am ersten Schultag kam aus Hessen meine Akte an, und der Direktor holte mich in der ersten Stunde aus dem Unterricht. Er sagte, hätte er diese Akte vorher gehabt, wären mein Bruder und ich nicht auf seine Schule gekommen. Aber er würde uns noch einmal eine Chance geben.
Wie waren Sie als Schüler?
Ich war eine Herausforderung für Pädagogen. Ein gutes Lehrpersonal hätte versucht, klassendynamische Prozesse zu betreuen. Da hatte das Viktoria Gymnasium in Aachen aber gar keinen Bock drauf. Die wollten eine Elite haben, zu der wir nicht gehörten.
Wie lange haben Sie es dort ausgehalten?
Nach neun Monaten wurde ich schon wieder rausgeschmissen. Ein Freund, der ein Jahr später gehen musste, machte mich darauf aufmerksam, dass ich auf Wikipedia als bekannter Schüler dieser Schule genannt werde. Das konnte ich nicht unkommentiert stehen lassen, weshalb ich mit 20 Jahren Verspätung einen musikalischen Racheakt aufgenommen habe. Ich hoffe, dass viele Schülerinnen und Schüler das Lied „Ingloria Viktoria" hören und beim nächsten Abiturtag laut singen werden.
Ist es Ihr Lebenstrauma, zu einem „Roboter" erzogen zu werden, der „Ja und Amen sagt"?
Genau das war meine Angst. Ich habe mich aber immer ganz erfolgreich gewehrt gegen ein Leben aus dem Ikea-Katalog, bei dem man sich zwar frei entscheiden kann, aber alle Zimmer ähnlich aussehen.
Wie wichtig sind Schulnoten für Ihre Karriere gewesen?
Ich habe in der Schule nie eine Eins bekommen. Ich hatte ein Problem mit Rechtschreibung und Lesen und unglaublich viel Zeit dafür aufgewendet, allen zu erklären, warum ich das gar nicht brauchen würde. Heute kann ich darüber lachen und lustige Lieder schreiben, aber meine Schulzeit war schrecklich. Meine Lehrer hatten an mir auch keinen Spaß. Jahre später habe ich mich noch bei Lehrkräften entschuldigt, die ich damals gemobbt habe. Ich war teilweise ein destruktives Arschloch.
Sie haben ein Studium der Musiktherapie an der Uni von Maastricht absolviert. Wie ist Ihnen das ohne Abi gelungen?
Die elfte Klasse habe ich mehrfach versucht, aber es kam mir immer etwas dazwischen. Auf meinem Halbjahrszeugnis stand „Fachoberschule für Sozial- und Gesundheitswesen", und in Maastricht habe ich behauptet, es sei eine Art Hochschule gewesen. Die wollten mir auch eine Chance geben, und ich habe dann kurzzeitig Musiktherapie studiert. Leider konnte ich mich auch dort nicht auf grundlegende Dinge konzentrieren, auf die ich keinen Bock hatte. Als ich schließlich von einer Band das Angebot bekam, mit auf Frankreichtour zu gehen, habe ich das angenommen.
Welche Tugenden braucht es, um in der Musikwelt erfolgreich zu werden?
Das ändert sich gerade leider sehr. Man muss heute ein digitaler Allrounder sein, der Fotos, Video- und Audiodateien macht. Viel Musikfachpresse gibt es nicht mehr, weshalb sich vieles in die digitale Welt verlagert. Jugendliche lesen nicht mehr den „Rolling Stone", sondern hören sich an, was Fynn Kliemann sagt. In diese Welt gehöre ich nicht so richtig rein. Ein Majorlabel kann sich da vielleicht einkaufen, aber ich bin beim Ehrenlabel Antilopen Geldwäsche. Da fehlen mir die Mittel, um alle zu bestechen. Wir haben aber ein gewisses Renommee, von dem aus man starten kann. Wenn Fynn Kliemann mein Album nicht so geil findet, finde ich das nicht schlimm.
Was passiert mit der gewaschenen Kohle?
Ich versuche, die Insolvenz der Antilopen Gang zu verschleppen. Wir werden hoffentlich reich, aber die Wahrscheinlichkeit ist gering, weil im Moment unsere Haupteinnahmequelle wegfällt. Ich habe leider auch noch keine Corona-Hilfen bekommen und lebe seit einem Jahr vom Ersparten der Antilopen Gang. Sollte ich mit meinem Album Geld verdienen, landet das wieder auf dem Bandkonto in der Hoffnung, dass wir so lange überleben, bis wir wieder Konzerte geben können.
Für viele Kulturschaffende ist die Situation existenziell. Einige Theaterbetreiber haben bereits Klage eingereicht, denn die pauschale Schließung der Häuser sei unverhältnismäßig – angesichts der Hygienekonzepte. Wie denken Sie über das Auftrittsverbot?
Ich finde es richtig, denn wir sind in einer Pandemie. Viren verbreiten sich da, wo viele Menschen sind. Deswegen darf es im Moment keine Konzerte geben. Alle werden jetzt kreativ und entwickeln Konzepte, aber man könnte auch einfach mal versuchen, ein paar Wochen alles runterzufahren. Dann wäre die Pandemie schneller vorbei. Wichtig ist, als Gesellschaft solidarisch zu sein mit denen, die an der Krise nichts verdienen. Die Kohle sollte man sich dann bei den Krisengewinnern wie großen Versandhäusern wieder holen. Mich stört das Konzertverbot nicht, sondern eher, dass die armen Leute auf dem Fahrrad den Reichen das Essen vor die Haustür bringen und diese dann sagen, das sei ein Lockdown. Es würde alles noch solidarischer gehen.
In der Corona-Krise hoffen viele Freiberufler auf die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens.
In Frankreich erhalten Musikerinnen und Musiker nach einer bestimmten Anzahl von Konzerten im Jahr ein Grundeinkommen. Das hat dort zu einer vielfältigen und spannenden Musiklandschaft geführt, bei der jeder spielt, worauf er wirklich Lust hat. Ein Grund mehr, noch einmal nach Bordeaux abzuhauen. Wenn ich keine Corona-Hilfen bekomme, knacke ich halt wieder Autos.
In „Das schreckliche Buch" vergleichen Sie die Aktionen von Verschwörungstheoretikern und Corona-Leugnern mit Geschichten aus einem Groschenroman. Wieso haben in der Pandemie so viele Leute jeden Bezug zur Realität verloren?
Unsere furchtbar komplexe Welt ist schwierig zu verstehen. Es ist einfacher, sich eine simple Realität mit Sündenböcken auszudenken, als eine fundierte Kritik zu formulieren.
In der Pandemie kriechen alle aus ihren Löchern und verbreiten ihren Wahnsinn sehr unverblümt. Mein Freund Prof. Dr. Samuel Salzborn beschreibt das Problem ganz treffend: Es ist die Unfähigkeit, konkret zu fühlen und abstrakt zu denken. Diese Leute können sich nicht in das Schicksal eines Geflüchtenen oder Corona-Intensivpatienten hineinversetzen.
Haben Sie von Ihrem Anwalt überprüfen lassen, ob die Äußerungen über führende neurechte Akteure in Deutschland auf Ihrem Album von der Kunstfreiheit gedeckt sind?
Ich habe anwaltliche Beratung in Anspruch genommen. Ich möchte aber über das Ergebnis nicht offen reden, weil ich dann auch die Schwachstellen verrate. Ich mache mir aber keine großen Sorgen, mein Album ist von der Kunstfreiheit gedeckt. Ring frei! Sollte es das am Ende doch nicht sein, dann ist das Kunstwerk auch abgeschlossen. Ich kann nur gewinnen!
Der Berliner Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen hat 2005 mit seinem Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen die Antilopen Gang-Single „Beate Zschäpe hört U2" keinen Erfolg gehabt. Was störte ihn an dem Lied?
Ich glaube, er dachte, wir würden ihn in dem Lied als Antisemit bezeichnen. Die Aussicht auf einen positiven Ausgang war für ihn nicht sehr groß, was auch an seinen Äußerungen in der Vergangenheit lag. Am Ende hat er klein beigegeben und die Gerichts- und Anwaltskosten gezahlt. Ausgerechnet dieser Typ, der immer für Meinungsfreiheit plädierte, wollte gerichtlich gegen Kunst vorgehen!
Was hat Ken Jebsen das am Ende gekostet?
Ich glaube, sein Sommerurlaub war gestrichen.
Wer finanziert Leute wie Jebsen?
Er hat im Netz eine Seite, die man abonnieren kann. Er wollte von uns damals einen sehr hohen Betrag als Schadenersatz einklagen, und wir sollten darüber nicht reden. Ob er das auch mit anderen gemacht hat, weiß ich nicht. Aber das wäre ein Geschäftsmodell.
Glauben Sie, dass sich viele Leute Ihre satirischen Lieder zur Unterhaltung anhören und dann mit deren Themen ernsthaft beschäftigen?
Ich habe keine politische Agenda, die ich mit Musik verbreiten will. Ich sehe mich als Musiker, der auch über politische Dinge redet, weil sie mich beschäftigen. Auf uns kamen aber immer wieder Leute zu, denen unsere Lieder in ihrer Biografie und politischen Willensbildung weitergeholfen haben. Auch bei mir sind Bands wie Slime und Knochenfabrik Teil der Biografie.
Die Corona-Pandemie ist verheerend für die Subkultur der Städte. Viele Musikclubs kämpfen gegen Verdrängungen und Gentrifizierung. Haben Sie noch Hoffnung für den Underground, dem auch Sie entstammen?
Zu dem, was wir in den autonomen Jugendzentren veranstaltet haben, hat der Staat nie etwas dazugegeben. Ich will gar nicht, dass der Staat reguliert, was dort passiert, weil diese Zentren eben autonom sind. Subkultur lässt sich nicht kaufen und mit Subventionen locken. Sie muss von selbst laufen.
Haben Sie noch nie in Ihrem Leben Subventionen bekommen?
Doch, dieses Album ist komplett subventioniert von der Initiative Musik. Die Alternative wäre gewesen, diese Platte nicht zu machen und Hartz IV zu kassieren. Das ist aber auch Geld von Deutschland. Ich komme gerade um Subventionen nicht herum.