Warum die Europawahlen im Juni 2024 von großer Bedeutung sind
Die politischen Krisenphänomene, mit denen wir 2023 wiederholt konfrontiert wurden, hinterlassen ihre Spuren bei den Wahlen in der ganzen Europäischen Union. Die letzte Parlamentswahl in den Niederlanden mit den beachtlichen Erfolgen der Rechtsextremen wirft da nur eines von vielen Schlaglichtern. Überall, wo 2024 gewählt wird, stehen die Umfragen auf rechts, da gibt es fast keine Ausnahme. Ermutigende Ergebnisse wie die der letzten Parlamentswahl in Polen scheinen angesichts dieses gesamteuropäischen Trends eher zu verblassen.
Dies wird Konsequenzen für die Europawahl am 9. Juni 2024 haben. Wenn die Wahlbürger aufgerufen sind, die Zusammensetzung des neuen Europäischen Parlaments zu bestimmen, werden sie nicht zuletzt ihre nationalen Stimmungen und Vorlieben zum Ausdruck bringen. Es ist wie stets zu befürchten, dass jene, die tatsächlich gesamteuropäische Politik bei ihrer Entscheidung in den Vordergrund stellen, in der Minderheit sein werden. Mit einer starken Rechten in Frankreich, in Deutschland, in Österreich, Italien und vielen weiteren Ländern kann man sich ausrechnen, dass sich die Zusammensetzung des neuen Parlaments signifikant verändern wird.
Eine starke rechte Mehrheit, politisch angetrieben durch Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus, bedeutet auch eine latent europafeindliche Mehrheit. Eine Institution, die für die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union – allen Unkenrufen zum Trotz – von zentraler Bedeutung ist, wäre dann in den Händen von Europafeinden, zu denen sich ja auch noch eine nicht geringe Anzahl auf der linksradikalen Seite gesellt. Diese Aussichten sollten all jenen große Sorgen machen, die – bei aller Kritik – an der Idee des europäischen Projektes festhalten und in der europäischen Einigung weiterhin eine positive Perspektive für eine bessere politische, soziale und ökonomische Zukunft sehen.
Was kann getan werden, um dieses Szenario zu verhindern? Es wäre an der Zeit, dass sich alle pro-europäischen Kräfte am Riemen reißen, kleinere Differenzen und politische Unterschiede für einen Moment hintanstellen, um gemeinsam für das europäische Projekt in der Öffentlichkeit zu werben und den Europawahlkampf genau dafür aktiv zu nutzen.
Wir sehen eine seltsame politische Schizophrenie bei vielen Wahlergebnissen: Auf der einen Seite befürworten beispielsweise die meisten Ungarn die Vorteile, die ihnen die EU bringt, mit der Reise- und Niederlassungsfreiheit ganz oben auf der Liste, um dann auf der anderen Seite einen rechten Populisten zu unterstützen, der die EU maximal als gefällige Melkkuh ansieht, ansonsten an ihr aber kein gutes Haar lässt. Diese Haltung in der Wahlbevölkerung findet sich in vielen EU-Mitgliedsländern wieder. Proeuropäische Kräfte müssen die Vorteile der europäischen Zusammenarbeit betonen, ohne in Lobhudelei auszubrechen.
Doch die realen Erfolge werden schnell vergessen oder als allzu selbstverständlich angesehen. Wie böse dann das Erwachen ist, zeigt der Brexit: In Großbritannien gibt es jetzt schon wieder eine stabile Mehrheit, die den Austritt aus der EU für einen großen Fehler hält. Dieses böse Erwachen sollten wir uns in anderen Mitgliedsländern ersparen, und eine proeuropäische Mehrheit im Europäischen Parlament – egal, welcher politischen Couleur – sollte daher in unser aller Interesse sein.
Der kommende Wahlkampf in Deutschland ist dabei entscheidend, denn hier werden die meisten Parlamentssitze verteilt. Wir alle sollten unsere Politikerinnen und Politiker daran erinnern, was diesmal auf dem Spiel steht. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Erkenntnis bereits zu allen vorgedrungen ist.